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„Grad' aus dem Wirtshaus komm ich heraus
Straße, wie wunderlich siehst du mir aus?
Rechter Hand, linker Hand, alles vertauscht,
Straße, ich glaube gar, du bist berauscht —“
Plötzlich bannte er seine Schritte und blieb stehen. Er
stand vor Magda. Er beugte sich nieder und sagte pathe⸗
tisch: „Einsame Wanderin an der Straße des nächtlichen
Lebens, sage an, was fehlt dir? Bist du eine alte oder eine
ijunge, eine häßliche oder eine schöne Zigeunerin, um in
der Sprache meiner Kunst zu reden? So es dir an einer
Herberge gebricht, stehe mir Rede und Antwort. Es ist
nicht gut, daß ein beklagenswertes Wesen, so man Mensch
nennt, in dieser Nacht auf der Straße nächtige. Alldieweil
es mir bereits des öfteren auf der Heerstraße meiner
Künstlerlaufbahn so gegangen ist, weiß ich aus eigener Er⸗
fahrung, wie wohl dem Menschen unter Umständen ein
warmes Bett und ein warmer Ofen ist. Heda — rühre
dich, Tochter der Nacht!“ Er hatte die Hände aus seinen
Armeln gezogen und rüttelte an Magda, die wie in bleierner
Starre durch die Erschütterung aus ihrer Lage kam, aber
keinen Laut von sich gab.
„So zeige mir dein Gesicht, auf daß ich den Stempel
Gottes sehe.“ Er erhob jetzt ihren Kopf, trat beiseite,
damit der Schein der nächsten Laterne auf die Schlafende,
falle, und erkannte nun Merks Tochter. Erst starrte er die
vor ihm Sitzende an, als hätte er sich getäuscht; dann wußte
er, daß er sich nicht geirrt habe. In unheilvoller Ahnung
rüttelte er mit aller Macht an Magda. Er fühlte an ihren
Händen, die eisig kalt waren; er legte sein Ohr an ihren
Mund, um den Atem, der kaum merklich ihre Brust hob
und senkte, zu spüren, und wurde von einer entsetzlichen
Aufregung gepackt, die ihn ernüchterte.
Aus dem betrunkenen Komiker wurde ein barmherziger
Samariter. Er blickte die Straße rechts und links hinunter,
und brüllte förmlich: „Wächter! Wächter!“ durch die Nacht.
Der graue Zylinder fiel ihm vom Kopf und rollte über das
Trottoir; er achtete nicht darauf. In seiner Herzensangst