19209
auf offener Straße seine Monologe hielt: über die Undank⸗
barkeit der Welt, über vertrocknete Lorbeerkränze, über
—
armen Kindlein und über D:2der Dierling.
„Das ist ein miserables Matter,“ rief er durch den
treibenden Schnee. „Wie, was? Haben Sie vielleicht etwas
dagegen?“ Er blieb vor einer Laterne stehen und blickte zu
ihrem erleuchteten Haupt empor. Und den Zylinder weit
im Nacken sitzend, den Rockkragen in die Höhe geschlagen
und seine Hände in den Ärmeln wie in einem Muff ver⸗
wahrt haltend, sprach er weiter: „Prahlen Sie doch nicht
so mit Ihrem bißchen Licht, Sie winziges Flämmchen der
großen Erleuchtung unserer weisen Väter der Stadt. Ja,
rede nur, strecke dein Zünglein rechts und links, ich verstehe
deine Sprache, denn ich bin groß geworden am Quell
des Lichts. Aber was bist du Nachtlampe in diesem unend⸗
lichen Raum gegen die allgewaltige Flamme, die im Herzen
von Frau Zierling glüht, schwelgt und prasselt, alles aus
Liebe zum beklagenswerten Herrn Emanuel Sängerkrug.
Schweige, hörst du, und labe dich an den weißen Motten,
die vom Himmel zu dir herunterschwirren.“ Er machte
eine Pause und blickte noch immer in das flackernde Licht.
Dann fuhr er fort:
„Was summst du da in deinem Glaskasten? Du
meinst, zum Licht dränge sich alles, jedes Wesen kehre zum
Licht zurück? Hast du vielleicht Schillers „Tell“ gelesen
und des Melchthals erhabene Gedanken verstanden? Ja,
ja, Beschützerin der Betrunkenen und Verirrten, gebrauche
nur deine Zunge weiter, ich verstehe dich, aber ich danke
für dein Kompliment. Ich will nicht mehr das große Licht
sein, zu dem Frau Friederike ewig zurückkehrt, um sich an
seinen Strahlen zu erwärmen. Hörst du? Schweige!
Und sorge dafür, daß das Goethesche „Mehr Licht“ sich bis
nach der Gerichtsstraße ausdehne. Hast du verstanden?
Na, gut, — leuchte ruhig weiter.“
Und er schritt hinfort und fing laut an zu singen.