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Erstes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

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hockte, in dicke Tücher und Schals gewickelt, ein korpulentes 
schmutzig aussehendes Weib, das an seinen unreinen, flei— 
schigen Händen ein Dutzend kostbarer Ringe trug, deren 
der Eintretende im Halbdunkel zuerst ansichtig wurde, wenn 
die dicke Person mit dem ausdruckslosen, halb verschwom— 
menen Gesicht sich nach vorn beugte, um einen Blick nach 
der Tür zu werfen. Dieses Ungeheuer, das stets, auch 
bei der größten Hitze, fror, ewig über schlecht eHZeiten klagte, 
an Rheumatismus litt, jeden frischen Lufthauch wie einen 
Feind betrachtete, nannte sich Serene Laib, die Gattin des 
spindeldürren, in einem schlotternden Schlafrock steckenden 
Mannes, der sich jetzt von einem alten Schreibsekretär am 
Fenster erhob und in gebückter Haltung, hüstelnd, näher 
trat, die Hand fortwährend vor den Mund haltend, als 
wollte er immer ein Stück seiner Lunge bewahren. 
Herr Isidor Moritz Laib nannte sich vor einem Jahr 
noch „marchand tailleur“ und betrieb einen lukrativen 
Kleiderhandel in der Rosentalerstraße. Die Sucht, Wohl⸗ 
tätigkeiten zu üben, trieb ihn eines Tages dazu, insofern 
aus dem menschlichen Elend gute Zinsen zu schlagen, als 
er sein erspartes Kapital dazu benutzte, mitten im Arbeiter⸗ 
viertel ein Rückkaufsgeschäft zu eröffnen. Seine Kenntnis 
als Kleidermacher, seine während der Jahre gesammelten 
Geschäftskniffe kamen ihm dabei vortrefflich zu statten. 
Er hielt das Reglement seiner Zunft nach jeder Richtung 
hin aufrecht: er war vorsichtig im Ankauf, ließ sich nie mit 
Hehlern ein, gab nie Geld ohne die gehörige Legitimation, 
wählte und prüfte jedes Versatzobjekt mit der Miene eines 
Kenners und nahm nie weniger und mehr Zinsen als pro 
Monat fünfundzwanzig Pfennige auf den Taler. 
Ida wünschte einen „Guten Tag“ und hatte das Paket 
auf die Tischplatte gelegt. Es war noch nicht sechs, die 
Arbeiterfrauen hatten noch nicht ihr Geld bekommen, und 
so befand sich Frau Merk allein vor dem Ladentisch. Herr 
Moritz Isidor Laib erwiderte kaum merklich den Gruß. 
Seine dürren Finger tasteten nach dem Bündel, mit der 
Absicht eines Menschen, der nicht viel Umschweife mit einer
	        
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