10 —
hockte, in dicke Tücher und Schals gewickelt, ein korpulentes
schmutzig aussehendes Weib, das an seinen unreinen, flei—
schigen Händen ein Dutzend kostbarer Ringe trug, deren
der Eintretende im Halbdunkel zuerst ansichtig wurde, wenn
die dicke Person mit dem ausdruckslosen, halb verschwom—
menen Gesicht sich nach vorn beugte, um einen Blick nach
der Tür zu werfen. Dieses Ungeheuer, das stets, auch
bei der größten Hitze, fror, ewig über schlecht eHZeiten klagte,
an Rheumatismus litt, jeden frischen Lufthauch wie einen
Feind betrachtete, nannte sich Serene Laib, die Gattin des
spindeldürren, in einem schlotternden Schlafrock steckenden
Mannes, der sich jetzt von einem alten Schreibsekretär am
Fenster erhob und in gebückter Haltung, hüstelnd, näher
trat, die Hand fortwährend vor den Mund haltend, als
wollte er immer ein Stück seiner Lunge bewahren.
Herr Isidor Moritz Laib nannte sich vor einem Jahr
noch „marchand tailleur“ und betrieb einen lukrativen
Kleiderhandel in der Rosentalerstraße. Die Sucht, Wohl⸗
tätigkeiten zu üben, trieb ihn eines Tages dazu, insofern
aus dem menschlichen Elend gute Zinsen zu schlagen, als
er sein erspartes Kapital dazu benutzte, mitten im Arbeiter⸗
viertel ein Rückkaufsgeschäft zu eröffnen. Seine Kenntnis
als Kleidermacher, seine während der Jahre gesammelten
Geschäftskniffe kamen ihm dabei vortrefflich zu statten.
Er hielt das Reglement seiner Zunft nach jeder Richtung
hin aufrecht: er war vorsichtig im Ankauf, ließ sich nie mit
Hehlern ein, gab nie Geld ohne die gehörige Legitimation,
wählte und prüfte jedes Versatzobjekt mit der Miene eines
Kenners und nahm nie weniger und mehr Zinsen als pro
Monat fünfundzwanzig Pfennige auf den Taler.
Ida wünschte einen „Guten Tag“ und hatte das Paket
auf die Tischplatte gelegt. Es war noch nicht sechs, die
Arbeiterfrauen hatten noch nicht ihr Geld bekommen, und
so befand sich Frau Merk allein vor dem Ladentisch. Herr
Moritz Isidor Laib erwiderte kaum merklich den Gruß.
Seine dürren Finger tasteten nach dem Bündel, mit der
Absicht eines Menschen, der nicht viel Umschweife mit einer