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Seitenstraße einbiegen wollte. Sie kannte ihn als einen
der ärgsten WüstlingeBerlins, der allabendlich bei Laternen⸗
schein das Lindenviertel durchstreifte, um mit seinen
Augen junge, unverdorbene Mädchen zu verschlingen. Sonst
war er ein sehr bekanntes Mitglied des Unionklubs, und bei
Hiller und Dressel als ein ausgezeichneter Gourmand be—
kannt. Seine Frau lebte von ihm getrennt, und man sagte,
daß seine eigenen Töchter sich vor ihrem Vater auf der
Straße schämten. Der Portier seines Hauses in der Doro—
theenstraße hätte einem Dutzend Sittenschilderern Stoff
zu ihren Romanen geben können, wenn er aus der Schule
geplaudert haben würde. Aber dieser Herr, der jetzt vor der
Mutter Knabe stand, dessen lange, hagere Gestalt in einem
dicken Pelz steckte, war sehr reich und führte einen Namen,
der zu den ältesten des Landes zählte. Er war ein Protek—
tor der Waisen und Witwen, sein Name stand unter jedem
Aufruf, der an die Wohltätigkeit Berlins appellierte, un⸗
zählige Kreaturen zogen tief den Hut vor ihm, und doch war
er ein durch und durch moralisch verkommenes Subijekt.
Die äußerliche Verkommenheit armer, beklagenswerter
Seelen nohm sich der seinigen gegenüber aus wie der rein—
leuchtende Diamant im Schmußtz der Straße.
Mutter Knabe blickte rechts und links, die Straße war
leer.
„Ich habe etwas für Sie, Herr Graf,“ begann die
flüsternd und pries ihre Ware an.
Man wurde einig. „Ich lasse die Haustür auf, Sie
wissen doch?“ Das alte Weib nickte, dann schritt sie über
den Damm, während der feine Herr langsam seiner Wege
ging.
Merks Tochter war nahe daran einzuschlafen, als die
Alte wieder vor ihr stand und sie aufweckte. Sie gingen
beide nebeneinander her, Magda wußte nicht, wohin; ihr
Kopf war ihr schwer wie Blei, und der Schlaf lag ihr in
allen Gliedern. Sie entsann sich nur dunkel, daß sie, von
ihrer sauberen Lehrherrin geleitet, eine Treppe hinauf-
stieg, in der Meinung, sie befinde sich bereits in der Ge—