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Haͤuser schief, tanzten alle Laternen vor den Augen. All⸗
maͤhlich begann Magda die Wirkung der kalten Luft zu
spuren. Sie verlor die Müdigkeit, konnte die Augen wieder
auftun und gerade gehen, wenn auch der Rausch sie noch
immer in seinem Bann hielt.
„Kannst du nicht wenigstens ein Stückchen allein voraus-
gehen?“ fragte die Alte und nannte Magda ihr „liebes,
gutes Kind“.
Merks Tochter tat das auch und schritt voran, ohne
darüber nachzudenken, was ihre Nachbarin damit bezwecke.
In der Friedrichstraße, in der Nähe der Linden, meinte
die Mutter Knabe, ob Magdo sich ein paar Augenblicke auf
eine Treppenstufe setzen wolle. Sie möchte noch gern in
einen Keller hinabsteigen, um ihre Ware anzubieten. Magda
tat es denn auch und stützte den heißen Kopf in die Hände.
Die Kupplerin beobachtete Merks Tochter, sah, wie sie
vor Müdigkeit den Kopf senkte, und schritt dann nach der
anderen Seite der Straße. Um diese Zeit war die Friedrich⸗
straße noch sehr belebt, wenn auch nur von jenen Ge—
stalten, die Berlin des Vormittags nicht zu sehen bekommen,
weil sie das stete Bedürfnis hoben, sich an seinen Nachtseiten
zu berauschen, um den halben Tag davon zu träumen.
Bezechte und lärmende Studenten zogen truppweise vor⸗
über, um vor der nächsten roten Laterne, die ihnen um diese
Zeit verlockender erschien als die hellste Leuchte der Wissen—
schaft, wieder Halt zu machen. Die elegante Demimonde
hielt ihren nächtlichen Strich ab, steckte Gemeinheiten ein
und teilte sie zungengeläufig aus. Aber man hielt sich nicht
quf, blieb eine halbe Minute stehen, wechselte ein paar
Worte und rauschte dann wieder vorbei. Hinter den Mauern
der Häuser, hinter den Laternen der Kneipen und hell—
erleuchteten Scheiben lockte die Wärme, die die Schritte
beflügelte und den Straßenaufenthalt denen überließ, die
ohne ihn nicht leben konnten.
Die Kupplerin ging ein paarmal langsam auf und ab
und musterte scharf jeden männlichen Passanten. Plötzlich
blieb sie vor einem alten Herrn stehen, der gerade in eine