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Die bekam es fertig und streckte ihr womöglich in Gegen—
wart Rosenstiels und der Mamsell die Hand entgegen, um
sie wie eine alte Bekannte zu begrüßen. Das hätte ihr ge—
rade gefehlt! Dann wieder empfand sie teuflische Genug⸗
tuung darüber, daß dieselbe stolze und sittsame Magda von
früher, die sich immer auf ihr besseres Kleid und geschei—
teltes Haar mit den schweren Flechten so viel eingebildet
hatte, sie jetzt so erblicken werde in ihrer eleganten, schwarzen
Robe, den großen Federhut auf dem Kopf, die rote Kette
um den Hals und mit dem Weinglas in der Hand, an der
Seite eines feinen Herrn. Das ganze Haus in der Ge—
richtsstraße würde es bald erfahren, was aus der Rosa
Jakob für eine vornehme Dame geworden sei. Was sie
am meisten ärgerte, war, daß selbst die armselige Kleidung
Magdas Schönheit nicht verbergen konnte. Der Mann
mußte blind sein, der dieses Mädchen nicht in bessere Klei—
dung steckte, um ihre Reize ins richtige Licht zu bringen,
Rosa fiel es sofort auf, wie Magda während der Zeit ge—
wachsen, breiter und stärker geworden war. Ein geheimer
Neid besiel sie, daß irgendwer gleich ihr sie aus ihrer Ar—
mut hervorziehen könne, um etwas Besseres aus ihr zu
machen.
Magda hatte nur einen langen Blick anf Rosa geworfen
und sich dann an Rosenstiel gewandt Ihr Gesicht glühte
und ihr Herz schlug schneller, denn sie fühlte, daß sie sich
seit Wochen in keiner ähnlichen Lage befunden habe, als
jetzt. Alle Welt hätte es wissen können, was sie trieb, um
ihre kranke Mutter zu ernähren; diesemFrauenzimmer jedoch
würde sie das Geheimnis nicht um ihr 25ben preisgegeben
haben. Aber plötzlich siegte der Stolz, — jener trotzige,
hartnäckige Stolz, der den Kopf in den Nacken wirft und
das Auge groß und hell leuchten läßt in dem Bewußtsein,
sich immer auf geradem Wege zu befinden. Was wollte
man auch von ihr? Mehr als abweisen konnte man sie
nicht.
Felix Rosenstiel schien heute besonders gut gelaunt zu
sein trotz der Müdigkeit, die aus den halbgeschlossenen Augen