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Siebentes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

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in der Gartenstraße an. Er habe binnen viernndzwanzig 
Stunden eine Ehrenschuld von hundertfüntei Mark an 
„seinen Freund“, den Offiziersaspiranten vor , mit dem 
er sich in eine Wette eingelassen, zu zahlen. Sonst müsse 
er sich eine Kugel durch den Kopf jagen. Serene schlug vor 
Schrecken die Hände zusammen. Ihr Felir sich erschießen, 
so ein junges Blut, an den sie die größten Hoffnungen 
knüpfte ? Sie versuchte sofort den wie geknickt erscheinenden 
würdigen Neffen mit Aufbietung all ihrer tantlichen Zärt- 
lichkeiten zu beruhigen. Du lieber Himmel, wenn man 
jung ist, begeht man tolle Streiche, die schon verzeihlich 
sind. Mit einem vornehmen, jungen Mann aus hochadliger 
Familie hatte er gewettet, sein Ehrenwort gegeben, und 
man hatte es angenommen? Der Gedanke an diese „Be— 
ziehungen“ ihres Lieblings zu aristokratischen Kreisen zog 
die Plebejerin am meisten zum Geldschrank hin. 
Felix fuhr zufrieden von dannen und erklärte in Ge— 
danken seine Tante für eine Nachteule, die eigentlich nicht 
wisse, was sie tue. Aus dem netten Hausmädchen Rosa 
konnte also mit einem Schlage eine elegante Geschäfts⸗— 
dame entstehen. Das hatte sie sich vor einem Jahr noch 
nicht träumen lassen, als sie sich tagtäglich in zerrissenen 
Kleidern mit der jüngsten Jöre auf dem Arm, mit ewig— 
leerem Magen auf dem schmutzigen Hofe der Mietskaserne 
in der Gerichtsstraße herumdrücken mußte. Und doch, wie 
einfach hatte sich das alles entwickelt! So eine elegante 
Toilette hatte sie sich immer gewünscht, wenn sie des Nach— 
mittags bei der Mutter Knabe am braunen Kachelofen saß 
und die Kolportage-Romane verschlang. 
Als sie zum ersten Male aus ihrem kleinen Zimmer in 
der Mauerstraße, das Freund Felix ihr gemietet hatte, die 
glänzende Leipzigerstraße entlang ging, kom sie sich fast 
wie jenes Fabrikmädchen vor, das in den gelben Groschen— 
heften am Ende zur Frau Baronin geworden war. An 
keinem Schaufenster konnte sie vorübergehen, ohne 
nicht einen Blick in die große Spiegelscheibe zu werfen, 
aus der ihr Bild ihr entgegenlachte; und vor jedem dritten
	        
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