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mit dem der Geber sie betrachtete, lag die Frage: „Was wird
aus dir dereinst werden, Tochter des Proletariats ?
Mit der Zeit mußte sich Frau Merk daran gewöhnen,
ihre Tochter nie des Nachts vor zwölf Uhr nach Hause
kommen zu sehen. Einmal bat sie Frau Schwarz, sie möchte
doch zu der Herrschaft nach der Chausseestraße gehen und
diese bitten, Magda nicht so spät da zu behalten, das ginge
nicht mehr so fort. Als aber Magda durch Zufall davon
hörte, quälte sie die Mäntelnäherin so lange, bis diese
davon Abstand nahm. Dann wäre es mit einem Mal um
ihre Stellung geschehen, denn die Dame loasse sich keine
Vorschriften machen. Ihre Mutter sollte nur wissen, wie
gut ihre Herrin zu ihr sei, dann würde sie nicht so peinlich
sein. Erst gestern habe sie ihr Stoff zu einem neuen Kleide
geschenkt, das sie sich nun bei einer Schneiderin machen
lassen werde. In Wahrheit hatte Merks Tochter sich dieses
Zeug selbst gekauft mit dem Erlös, den sie sich aus den
Trinkgeldern erspart hatte. Gewiß meinte sie es nur gut,
wenn sie aus einer Lüge in die andere kam, aber nach
nud nach verstrickte sie sich selbst so hinein in dieses Ge—
webe, daß sie sich nicht mehr herausfand.
Außer der falschen „Lucca“ kam Magda auch noch mit
an deren Mädchen zusammen, die nicht älter waren wie
sie, oft auch noch jünger. Die mußten gelernt haben,
ihre Käufer zu taxieren, denn sie fanden immer gleich
die richtige Antwort auf irgend ein zweideutiges Wort
der Gäste und ließen sich die Butter vom Brote nicht
nehmen. Und dann, wenn sie unter sich waren, wie tausch⸗
ten sie da ihre Erfahrungen aus! An gewissen Straßenecken
der Friedrichstadt saßen auf den Stufen der geschlossenen
Läden drei, vier von ihnen, die ihre Kasse nachzählten.
Zu ihnen gesellten sich hausierende Jungen im gleichen
Alter, die Zigarren pafften und in der Unterhaltung mit
den Mädchen die schmutzigsten Worte gebrauchten.
Der Buckligen pflegte sie sich am liebsten anzuschließen,
ohne dabei zu bemerken, wie gerade dieser Umgang am
schädlichsten auf sie einwirkte. Das arme Geschöpf erschien