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Schlaf, das ganze Einwirken der Kneipenluft hatten ihrem
Gesicht alles Blut genommen und ihm einen fsast greisen⸗
haften Ausdruck verliehen.
Eines Tages hatte ein Stammgast in einer der Kneipen
mit weiblicher Bedienung die Kunde verbreitet, das ver⸗
wachsene Geschöpf könne „famos“ singen. Nichts lag näher,
als das man sich von diesem „Zwiespalt der Schöpfung“
überzeugen mußte. Man fand sofort nach ihrem ersten
„Debut“ eine vortreffliche Bezeichnung für sie, die sie bald
unter den Studenten und übrigen Wirtshausbrüdern zu
einer wohlbekannten Persönlichkeit machte. Man nannte
sie „die falsche Lueca“ oder kurzweg „Lueca“. Von nun
an mußte die Bucklige bei jeder Gelegenheit ein Lied
«zum besten“ geben, vornehmlich ein solches, was dem
innlichen Geschmack der Zecher entsprach. Betrat sie
eines jener niedrigen, verräucherten Lokale, in denen der
lagernde Zigarrendampf die Milchglasschalen der Gas—
flammen wie mit einem Nebel umhüllte und die Töne
eines verstimmten Klaviers sich mit dem Stimmengewirr
der Gäste mischten, so erblickte man in ihr sofort die
Person zum willkommenen Vergnügen.
Noch ehe sie mit ihrem bekannten: „Kaufen Sie Wachs—
streichhölzer, Schweden, Zigarrenspitzen ?“ beginnen konnte,
rief laut eine Stimme: „Lucca singen!“ — Ein halbes
Dutzend Kehlen ließ den vereinzelten Ruf nicht einschlafen.
„Luecca singen!““ — „Auf den Stuhl steigen!“ — „Das
Wirtshaus an der Lahn!“ — so lallte, grunzte und gröhlte
es von allen Seiten. Und das verwachsene Geschöpf folgte
den Rufen, erklomm einen mitten in das Lokol gestellten
Stuhl und sang unter wieherndem Gelächter, aus dem
man nicht recht erkennen konnte, galt es dem Text des
Liedes oder der unglücklichen Erscheinung der Sängerin,
eine Kneippariante des „Wirtshaus an der Lahn“.
Wie Magda die zudringliche Liebenswürdigkeit der
Käufer mit in den Handel nehmen mußte, so die falsche
Lucca den Spott und die sittliche Verrohung derselben.
Mit der Zeit hatte sich die Bucklige an diese unfrei—