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2Während einiger Minuten sprachen die beiden Fraue
nur von ihren Arbeiten. Dorchen meinte, sie könne es mun
bald nicht mehr aushalten, von früh bis spät mit zusammen⸗
gedrückter Brust an der Nähmaschine zu sitzen und die Füße
wie bei einer Tretmuhle zu bewwegen. Das halte am Ende
keine Riesin aus, viel weniger sie schwaches Mädel. Und
die Preise gingen immer mehr herab. Jetzt arbeite sie
Herrenhemden, da bekomme sie dreißig Pfennig fürs Stück.
Wenn sie fünf den Tag fertig machen wolle, dürfe sie schon
nicht aufstehen. Da hätte sie dann fünfzehn Silbergroschen,
was wäre das? Wenn sie nicht so bescheiden lebte, auch noch
— —
könnte sie gat nicht bestehen. Was müßten nun manchmal
die Menschen machen, die bei gleichem Verdienst noch An⸗
gehörige durchzubringen hätten?
Frau Schwarz schwieg einen Augenblick. Sie zog die
letzten Heftfäden aus dem gerade fertig gewordenen Mantel
und zog ihn über einen Kleiderbügel. Dann nahm sie ihre
Brille ab und wischte sich die Augen, die sich während der
Arbeit getrübt hatten. Sie seufzte und sagte: „Da wäre
wieder einer fertig, an dem ich drei Tage lang gesessen
habe, für lumpige fünf Mark.“ Das seien schon Zustände
in der Welt, fuhr sie fort, diese Gesellschaft würde immer
reicher, und sie armes Wurm müsse sich halb blind nähen.
Wenn sie nun morgen mit dem Mantel zu Baruch komme
und Geld haben wolle, lasse man sie erst wie eine Bett⸗
letin eine halbe Stunde stehen und mache ihr obendrein
—5 — Abzug am Lohn. Da sitze der Hragen nicht recht,
da fanve man, an der Verschnürung etwas Schiefes die
Knbpfe muüßten weitergeruckt werden und vbombgn
könne fie dann mit ihrer Last nach Haufe buckelrt, vordus
gesebt, daß sie sich den Abzug vonm Gelde hefallen lassch
wolle. Das sei aber immer so, wenn jemand an einer Sache
durchaus etwas aussetzen wolle, dann suche er es an allen
Ecken und Enden hervor... Vor nichts graule sie sich mehr,
als vor dem Wieder⸗Auftrennen. Wenn man eine Arbeit
zweimal machen müsse, ohne ewas dafür vergütet zu be⸗
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