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„Wollen Sie mir das Heft bis morgen leihen, ich möchte
meiner Mutter etwas daraus vorlesen, und darf ich Sie
dann bitten, mich morgen abend unten zu befuchen?“ fragte
Leonhard Sirach Oskar Schwarz, während Magdas Augen
von einem zum anderen wanderten.
— zBenn Ihnen etwas daran liegt, sehr gern,“ erwiderte
skar.
Leonhard streckte ihm jetzt die Hand entgegen. „Wir
werden gew'ß noch gute Freunde werden,“ sagte er, „auf
Wiedersehen also.“
Er verbeugte sich vor Magda, so daß sie es komisch fand,
und schritt dann mit dem etwas unregelmäßigen Gang
eines Kurzsichtigen dem Keller zu. 9
Die laute Stimme von Frau Schwarz erschallte. Magda
möge doch ein paar Minuten herunterkommen. —
Beide stiegen hinunter. Frau Schwarz saß wie gewöhn⸗
lich auf einem erhöhten Truͤt am Fenster und hatte einen
Mantel auf dem Schoß, an dem sie nähte. So mußte sie
stundenlang sitzen, in gebückter Haltung emsig beschäftigt,
während sie abwechselnd die Brille putzte und einen Blick
zum Stück Himmel emporsandte. Zu ihren Füßen hockte
ihre Tochter Marie und versuchte aus bunten Flicken ein
Röckchen für die Puppe zusammenzustellen.
Es sah sehr kahl aus im Zimmer, denn es war nicht
viel mehr zu finden, als oben bei Merks.
Als Magda erzählte, daß Sirachs Sohn über Oskars
Geschichten so erstaunt gewesen sei, meinte Frau Schwarz,
der müsse wohl etwas davon verstehen, denn er komme ihr
immer wie ein sehr gelehrter Mensch vor, wenigstens nach
seinem ewigen Ernst zu urteilen.
Im selben Augenblick klopfte es, und Fräulein Dorchen
trat ein. „Sie können wohl auch nichts mehr sehen, Frau
Schwarz ẽ begann sie, „man merkt, daß die Tage schon
sehr kurz werden.“ Dann fügte sie hinzu: „Könnten Sie
mir wohl Ihre Schere einen Augenblick leihen ? Ich habe
meine zum Schleifen gegeben.“ ——z—