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Aber Frauenzimmer, binde dir doch ein Tuch um
die Schultern, wenn hier jemand hereinkommt, was soll
der denken ?
Fräulein Hedwig lachte und meinte, daß außer „ihrem
Ede“ niemand zu erwarten sei; und vor dem werde sie sich
doch nicht genieren!
Dann hielt es Frau Knabe an der Zeit, mit Magda
auf das eigentliche Thema zu kommen. „Es geht euch
schlecht, sehr schlecht, mein Kind, ich weiß es, und duů
brauchst mir das nicht zu verschweigen.“ Sie erfahre so
manches, was andere Leute nicht erführen; sie stelle sich
das schrecklich vor, eine kranke Mutter und vier hungrige
Kinder, deren Vater im Gefängnis sitze, ohne jeden Ver—
dienst, womöglich bei der nackten Broikruste. Eins nur
könne sie nicht begreifen, daß so ein großes, starkes Mädchen,
wie Magda, das ruhig mit ansehe, ohne aus eigenem
Willen etwas dagegen zu tun. Sie müsse doch gewiß schon
vierzehn Jahre sein. Ob sie denn nie daran gedacht habe,
das Los ihrer Mutter zu erleichtern ?“
Magda schwieg noch, aber es fiel ihr wie Schuppen
von den Augen. Wirklich, daran hatte sie noch nicht gedacht.
Ihre Mutter lag hilflos auf dem Krankenlager, konnte
nichts verdienen, und sie großes Mädchen stahl eigentlich
dem lieben Gott den Tag ab. Sie schämte sich plötzlich, daß
fremde Leute sie erst darauf aufmerksam machen mußten.
Und Mutter Knabe fuhr fort, ihr ganzes Interesse für
die Familie Merk an den Tag zu legen. „Ich wüßte etwas
für dich, mein Kind, womit du dir täglich deine Mark
verdienen fönntest — ich meine, wenn du mir behilflich
wärest, Rosen und Streichhölzer zu verkaufen. Verstehst
du? die Rosen, solange noch die Zeit dafür ist, und die
Streichhölzer, wenn der Herbst und Winter kommt.“
Sie ließ Magda, die jetzt groß aufblickte, erst gar nicht
zu Worte kommen , sondern erging sich sofort in Erklärungen,
die nur darauf berechnet waren, das Mädchen ganz von
diesem Gedanken gefangen zu nehmen. Man könne nicht
leichter zu einem ehrlichen Verdienst kommen, als auf diese