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Sie stöhnte wie ein verwundetes Tier, sah sich rechts
und links um und gurgelte förmlich, als hätte ihr jemand
die Kehle mit einem Strick zugeschnürt. Dann erhob sie
sich mit aller Kraftanstrengung und schlurfte auf ihren
Filzschuhen der Tur zum Geschaͤftsraum zu. Als in dem—
selben Augenblick das Dienstmädchen eingetreten war und
sich am Ofen beschäftigte, drehte sie sich noch einmal um.
Aus der Handbewegung, die sie Joachim zuwarf, war die
tödliche Angst zu erkennen, mit der sie ihren Bruder
verließ.
Vor dem Ladentisch im Rückkaufgeschäft stand Rosa und
unterhandelte mit Laib wegen eines Bettkissens. Felit
Rosenstiel stand hinter seinem Onkel und lachte sich mit
dem Mädchen an.
„Na, Herr Laib,“ sagte sie, „geben sie doch eine Mart
mehr. Herr Felix, reden Sie nur ihrem Onkel zu, dann
wird's schon gehen.“
Moritz Isidor wollte davon nichts wissen. Für den
Plunder gebe er nicht mehr als drei Mark.
Als er sich umwandte, um hüstelnd zu dem fettigen
Folianten zu schreiten, benutzte sein Neffe die Gelegenheit,
großmütig einen Taler zu den einzelnen drei Mark—
stücken zu legen. Dabei lehnte er sich über den Ladentisch,
so daß sein Atem fast das Gesicht des Mädchens berührte.
„Nehmen Sie schnell,“ sagte er, „das schenke ich Ihnen.“
Er faßte sie ans Kinn, sie lachte ihn an, zeigte ihre weißen
Zähne und erwiderte: „Na — wenn schon, denn schon!
Man muß alles mitnehmen, sagt Frau Knabe.“
Als sie den Schein in Empfang genommen hatte, und
draußen auf dem Flur war, befand sich Rosenstiel hinter
ihr und erging sich in Zudringlichkeiten, die sie sich ruhig
gefallen ließ. „Auf Wiedersehen in der Bülowstraße,“
sagte er dann, als oben eine Tür ging.
„Auf Wiedersehen in der Bülowstraße,“ äffte sie in
derselben Betonung nach, gab ihm einen Klaps und lief
lachend die Treppe hinab, hinaus in den wirbelndenSchnee,
der jetzt wieder in dichten Flocken herniederfiel.