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Sechstes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

137 — 
Er stöhnte und fuhr sich fortwährend mit der Hand 
von unten nach oben übers Gesicht, als wäre es ihm unan⸗ 
genehm, Dinge aufzuwärmen, durch welche er den letzten 
Druck auf den Geldbeutel dieses wucherischen Paares aus⸗ 
üben mußte. 
Dann fuhr er fort, stoßweise die Sätze hervorbringend: 
„Du bist stets zähe, liebe Serene, wenn es sich um das 
Wohl deines eigenen Bruders handelt. Da heißt's immer, 
ihr hättet kein Geld. Wer hat das große Haus in der 
Friedrichstraße? Ihr habt es. Wer hat euch so manchen 
noblen Herrn zugeführt, dem ihr gegen Wechsel und hohe 
Zinsen Geld gegeben habt? Ich habe es! Wer hat da— 
mals dafür gesorgt, daß bei der Wuchergeschichte vor Ge⸗ 
richt der Name Laib nicht in die Presse kam? Ich habe 
dafür gesorgt. Wer weiß am besten, daß der Herr Laib, 
als er noch ‚marchand tailleur“ auf seine Karten schrieb, 
große Posten von ungetreuen Hausdienern gestohlenen 
Tuches zu einem Spottpreise angekauft hat und dadurch 
reif für den Staatsanwalt wurde —?“ 
Ehe er noch das „ich weiß es“ dem letzten Satze folgen 
lassen konnte, hatte Frau Serene mit dem ganzen Ausdruck 
eines plötzlichen Entsetzens die Hände unter den Tüchern 
emporgehoben und theatralisch ihrem Bruder entgegen⸗ 
gestreckt. Mit weit aufgerissenen Augen rief sie dem wan⸗ 
delnden Manne in Baßtönen entgegen: 
„Joachim, hör auf“, das Mädchen kommt! Sag' kein 
Wort mehr und mach' deine Schwester nicht unglücklich.“ 
Sie legte sich schweratmend in den Sessel zurück und 
stieß einen langen Seufzer aus. 
Der große Augenblick, den man benutzen mußte, war 
für Joachimsthal gekommen. Er trat auf seine Schwester 
zu und raunte ihr entgegen: „Wirst du geben, Serene? 
Was reizt du mich immer dazu, vom Staatsanwalt zu 
sprechen? Denkst du, mir blutet nicht selber das Herz, 
wenn ich immer sagen muß, daß dein Mann ein Hehler 
war? Wirst du mir das Geld holen?“ 
Joachim, hör' auf, das Mädchen kommt. Ich gehe 
schon.
	        
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