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Sechstes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

126 — 
„Papa Zipfel,“ sagte sie ganz laut, „für zehn Pfennig 
Spiritus, aber Sie möchten es anschreiben, Mutter hat kein 
Geld zu Hause gelassen.“ 
Jetzt erblickte sie Felix. 
„Ah, guten Tag, Herr Rosenstiel, wie kommen Sie 
denn hierher? Ich muß nachher zu Ihrer Tante, um das 
letzte Kopfkissen zu versetzen, damit ich ein gutes Kleid be— 
komme. Wissen Sie schon —? Ich gehe von nächster Woche 
ab in Dienst.“ 
Sie blickte dabei mit einem gewissen Stolz im Kreise 
umher, als hätte sie plötzlich ein Geheimnis enthüllt, wo⸗ 
nach man sie wie eine Respektsperson behandeln müsse. 
Nichts in ihrem Außeren, in ihren Bewegungen verriet, 
daß der Tod ihres Vaters ihr nahegegangen sei, und daß 
sie ihn mehr empfinde, als irgend einen anderen Vorfall 
des Tages. Im Gegenteil — es machte den Eindruck, als 
hätte die Befreiung von ihrem Vater wie die Abwälzung 
einer Last auf sie gewirkt, deren Erleichterung man durch 
irgend etwas Ausdruck verleihen müsse. Seit gestern trug 
sie ihr schweres, blondes Haar, in dem ein knallrotes Band 
prangte, in langen Strähnen aufgelöst über den Nacken. 
Für Trauer hatte sie keinen Sinn. 
„Das ist Jakobs Alteste,“ flüsterte Zipfel Joachimsthal 
zu, der sie vom Kopf bis zu den Füßen mit Aufmerksamkeit 
musterte. 
Der lange Kesselschmied betrachtete mißtrauisch Rosa 
und Rosenstiel. Er war im Grunde genommen ein ehrlicher 
Geselle, der, wenn er bei der Arbeit war, seine volle Schul⸗ 
digkeit tat und gerade so viel Leichtsinn besaß, einen über 
den Durst zu trinken und sein ferneres Schicksal dem lieben 
Gott zu überlassen. Es war ja wahr — er hatte sich oft 
nicht zart diesem Mädchen gegenüber—nmen, aber er 
hatte im stillen seine Absichten gegen chegt und das 
mehrmals Jakob zu verstehen gegeben. Einmal mußte er 
sich doch ein Heim gründen, und wenn es auch nur in 
einer Kammer mit einem Bett, einem Tisch und ein paar 
Stühlen gewesen wäre. Und da hatte er an dieses Mädchen
	        
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