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„Papa Zipfel,“ sagte sie ganz laut, „für zehn Pfennig
Spiritus, aber Sie möchten es anschreiben, Mutter hat kein
Geld zu Hause gelassen.“
Jetzt erblickte sie Felix.
„Ah, guten Tag, Herr Rosenstiel, wie kommen Sie
denn hierher? Ich muß nachher zu Ihrer Tante, um das
letzte Kopfkissen zu versetzen, damit ich ein gutes Kleid be—
komme. Wissen Sie schon —? Ich gehe von nächster Woche
ab in Dienst.“
Sie blickte dabei mit einem gewissen Stolz im Kreise
umher, als hätte sie plötzlich ein Geheimnis enthüllt, wo⸗
nach man sie wie eine Respektsperson behandeln müsse.
Nichts in ihrem Außeren, in ihren Bewegungen verriet,
daß der Tod ihres Vaters ihr nahegegangen sei, und daß
sie ihn mehr empfinde, als irgend einen anderen Vorfall
des Tages. Im Gegenteil — es machte den Eindruck, als
hätte die Befreiung von ihrem Vater wie die Abwälzung
einer Last auf sie gewirkt, deren Erleichterung man durch
irgend etwas Ausdruck verleihen müsse. Seit gestern trug
sie ihr schweres, blondes Haar, in dem ein knallrotes Band
prangte, in langen Strähnen aufgelöst über den Nacken.
Für Trauer hatte sie keinen Sinn.
„Das ist Jakobs Alteste,“ flüsterte Zipfel Joachimsthal
zu, der sie vom Kopf bis zu den Füßen mit Aufmerksamkeit
musterte.
Der lange Kesselschmied betrachtete mißtrauisch Rosa
und Rosenstiel. Er war im Grunde genommen ein ehrlicher
Geselle, der, wenn er bei der Arbeit war, seine volle Schul⸗
digkeit tat und gerade so viel Leichtsinn besaß, einen über
den Durst zu trinken und sein ferneres Schicksal dem lieben
Gott zu überlassen. Es war ja wahr — er hatte sich oft
nicht zart diesem Mädchen gegenüber—nmen, aber er
hatte im stillen seine Absichten gegen chegt und das
mehrmals Jakob zu verstehen gegeben. Einmal mußte er
sich doch ein Heim gründen, und wenn es auch nur in
einer Kammer mit einem Bett, einem Tisch und ein paar
Stühlen gewesen wäre. Und da hatte er an dieses Mädchen