denn je, und die Beschäftigten arbeiteten nur noch drei
Viertel des Tages. Dabei brach der Winter früh herein
und durchfegte mit seinem eisigen Wind bereits die Straßen
und Plätze. So ein Winter ohne Arbeit, ohne Brot im un⸗
geheizten Zimmer war Ida während ihrer vierzehnjäh—
rigen, bisher immer von Glück und Zufriedenheit gekrönten
Ehe wie etwas unnennbar Schauriges erschienen, vor dem
sie sich entsetzte. Er kam ihr wie ein Gespenst vor, das die
grinsenden Züge von Not und Elend trägt. Und wenn
sich zu diesem Gespenst auch noch das Fürchterlichste der
Armut, das man Krankheit nennt, gesellte, dann war der
Kelch menschlichen Leidens gerade voll genug, um eine
ganze Familie zu vernichten. . . Wenn Merk wie ge—
wöhnlich heute keine Beschäftigung bekommen haben würde
und in völliger Trostlosigkeit nach Hause käme, was dann?
Der Notgroschen war längst aufgezehrt, man hatte bereits
ans Versetzen denken müssen, und wußte noch nicht, woher
man die Miete für den kommenden Ersten schaffen würde.
Dazu kam, daß Magda an Schuhzeug vollständig abge—
rissen war und neuer Stiefel bedurfte, sollte sie in der Ge—
meindeschule bleiben. Auch der elfjährige Franz hatte für
den Winter nichts Warmes anzuziehen. Er war ein flei—
ßiger und aufgeweckter Junge mit einem besonderen
Talent zum Zeichnen. Alle Hausbewohner lobten seine
Artigkeit, und der Lehrer seiner Klasse stellte ihn allen
Mitschülern als Muster voran. Konnte er vom Küchen⸗
herde eines Stückes Kohle habhaft werden, so setzte er sich
in irgend eine Ecke und begann auf die blaugetünchte Wand
allerhand Figuren zu zeichnen, die den großen Ziehhund
des Grünkramhändlers vorn im Keller, den mageren Gaul
des Kohlenhändlers im Nebenhause, oder das lange, bart⸗
lose Gesicht des Hauswirts vorstellen sollten. Er war in
seine Kunst so vertieft, daß der das fröhliche Schreien der
Kinder auf dem Hofe und im langen Torweg völlig über—
hörte und mit den Spielbedürfnissen anderer Knaben nichts
gemein zu haben schien. Wenn Merk, den Kleinsten auf
dem Arm, den Jungen bei einer derartigen Gelegenheit