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Selma! Ein menschliches Ruhren durchzog im Augenblick
seine Brust. Wie sie dichtete, wie sie schrieb, wie sie die
erhabensten Gedanken gleichsam spielend aus demVorn ihrer
Phantasie schöpfte, um sie der großen, nach wahrer Poesie
lechzenden Menge zugänglich zu machen! Herr Joachim
Joachimsthal zog aus Dankbarkeit, dieweil man ihn auf der
Straße zu bemerken geruhte, seinen Hut und winkte dabei
zärtlich lächelnd zu den beiden hinüber. Der Bankier er⸗
widerte mit der Hand den Gruß, während seine Begleiterin
unter dem Halbschleier ihre weißen Zähne zeigte. Dann
lehnte sie sich wieder in den Fond des Wagens zurück und
warf Herrn Salo einen heißen Blick zu, in dem der ganze
stumme Austausch ihrer Gedanken lag, die sich um den
Narren im grauen Kaisermantel drehten.
Eine ganze Weile noch stand der glückliche Joachim auf
demselben Fleck und blickte der Droschke nach. Es war ihm,
als müßten die Menschen rechts und links es ihm nun
vom Gesichte ablesen, daß jene in schwarzen Sammet ge—
kleidete Dame die große Schriftstellerin Selma Joachims⸗
thal sei, deren berühmtester Roman: „Der Sohn des
Volkes“ viel zu dem plötzlichem Bankerott eines sonst gut
situierten Verlagsbuchhändlers beigetragen haben sollte.
Dann steuerte er wieder der Redaktion des „Volks-—
boten“ zu. Nach einer Viertelstunde kehrte er zurück. Die
bedenkliche Anschwellung an der Seite des Paletots, wo
die tiefgehende Manuskripttasche sich befand, zeugte davon,
daß der Feuilleton⸗Redakteur des „Volksboten“ ein ganz
verständiger Mann sein mußte, der es lieber vorzog, durch
Abweisung eines dreibändigen Romans den großen
Manuskripten⸗Schrank nicht noch mehr auf unbestimmte
Zeit anzufüllen.
Als Joachim Joachimsthal, wüst um sich blickend, nach—
sann, welcher Redaktion er jetzt sein angestammtes Hau—
sierertalent zu erkennen geben sollte, um zu einem einst⸗
weiligen Vorschuß zu kommen, wurde er plötzlich von Felix
Rosenstiel begrüßt, der ihn am Arme faßte.
„Na, Onkel Joachim, wie geht's, was macht Tante?
Eben wollte ich zu euch.“