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ihre Blicke rechts und links gleiten und stellt im geheimen
Betrachtungen an über blonde und brünette Männer.
Selbst die Stuben⸗ und Hausmädchen dieses Quartiers
zeigen auf der Straße etwas von dem Abglanz ihrer Herr—
schaft. Sie erscheinen im Schleier und Glacéhandschuhen
und bemühen sich, bei einem Besuch in den kleinbürger—
lichen Kreisen der Stadt durch ihr ganzes Auftreten sich
einen vornehmen Anstrich zu geben und den Ton des „gnä⸗—
digen Herrn“ und der „gnädigen Frau“ nach Kräften nach—
zuahmen. Sie sprechen von einem „grünen“ und „blauen
Salon“, von „Diners“ und „Soupers“ und suchen der
ganzen Bedeutung des Wortes „wir“ beim Abschied von
ihrem einstigen Familienanhang durch höchst wichtige Be⸗
merkungen, wie: „Wir haben heute Gesellschaft,“ — „wir
haben heute Empfangsabend,“ — „wir haben heute Ein—
ladung dort und dorthin bekommen,“ Ausdruck zu verleihen.
Dabei werden sie aufrichtig bewundert, wenn sie aus der
kleinen, ihnen jetzt zu eng gewordenen und äußerst ärmlich
vorkommenden Wohnung hinausrauschen, um ihren Ur—
laub innezuhalten, und wenn sie etwas von dem Dufte
des Parfüms ihrer Gebieterin hinterlassen.
In diesem öffentlichen Leben und Treiben des Westens
von Berlin wird der Beobachter vergeblich nach jenen wech⸗
selnden Bildern suchen, die in den Handels Gewerbe—
und Fabrik⸗Vierteln der Stadt zu bestimmten Stunden dem
Aussehen der Straßen eine völlige Veränderung geben.
Hier ertönt nicht die Fabrikpfeife des Nordens und Ostens,
hier wird nicht zwölf Uhr mittags und sieben Uhr abends
zu einer Stunde, die plötzlich durch Ströme eiliger Menschen
Straßen und Plätze wie durch Zauberschlag überfluten läßt.
Der Typus des Berliner Arbeiters und der Arbeiterin zeigt
sich hier nur in ganz vereinzelten Fällen — er geht unter
in dem stets gleichmäßig auf- und abwogenden Zuge der
Passanten, die weder au Ort noch an Zeit gebunden sind.
Ein trockener, klarer Wintertag mit glitzerndem Schnee,
auf dem die milde, leuchtende Nachmittagssonne durch ihre
Strahlenbrechung Milliarden glänzender Diamanten her⸗