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die großen Magazine, Wohltätigkeits-Bazare und Kunst⸗
ausstellungen (letztere nur der Mode wegen) mit ihrem Be—
suche beehrt. Der Kopf sitzt dicht auf den Schultern, und
ihr Doppelkinn zeigt den Anflug eines grauen Bartes.
Trotzdem hat sie sich wie ein sechzehnjähriges Mädchen ge—
schnürt und macht in ihrer dunklen, enganschließenden
Sammettaille beim Dahinschreiten den Eindruck einer alten
aufgeblähten, schwarzen Henne, die gern noch einen jungen
hahn herausfordern möchte.
Und neben diesem über und über mit Schmuck be—
hangenen weiblichen Wesen, dessen „noble“ Allüren durch
das Entfernen von Sammet, Gold und Diamanten ihr
Ende erreicht haben würden, taucht als Gegensatz die wirk⸗
liche Aristokratin auf, die nur durch die Grazie ihrer natür⸗
lichen Erscheinung wirkt. Es zeigt sich die Beamtenfrau,
die ihre gute, bürgerliche Erziehung nie verleugnet; die
alternde Tochter des Geheimrats, die in einem halben Dut⸗
zend Exemplaren zu gleicher Zeit erscheint, und der lachende
und rosige Vackfisch, dessen stolzer, zierlicher Gang und ge⸗
schmackvolle Toilette das Kind aus gutem Hause verraten.
Und in dieser Kette der besser situierten Klassen der Ge—
sellschaft, die trotz alledem ohne Anschluß an das tolle Leben
inmitten der Stadt nicht existieren zu können glaubt, be⸗
merkt man auch jene weniger glänzenden Glieder, die
gleichfalls zu ihrem Halt bestimmt sind.
Da sehen wir Diener in Livree, die mir Briefen
in der Hand der Stadt zueilen, Gouvernanten und
Vonnen, die letzteren inmitten von Kindern, die wie
kleine Gefangene ein paar Stunden des Tages die frische
Luft genießen sollen. Die Knaben tragen Matrosen⸗
anzüge, und die kleinen Mädchen Hüte à la Marie An—⸗
toinette, Kleidchen einer Balleteuse und rote Strümpfe,
dadurch den Eindruck geputzter Affchen machend. Sie
unterhalten sich mit ihrer Bonne französisch und können
einen Sekonde⸗Leutnant bereits von einem Premier⸗
leutnant unterscheiden. Die Hüterin läßt inzwischen
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