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Erstes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

sonders hervor. Sie hatte dasselbe kastanienbraune Haar 
wie diese, denselben kleinen Mund, dieselbe zierliche Nase, 
denselben ovalen Schnitt des Gesichtes und auch dieselben 
schalkhaften Grübchen in den Wangen. Und wenn sie den 
Kleinen im Arme hatte, mit ihm schäkerte und dabei lä— 
chelte, zeigten sich auch dieselben Perlenzähne der Mutter. 
O, wenn man nur hineinsteigen wollte, in die Arbeiter⸗ 
viertel Berlins, um zu sehen, wie viel solcher kleinen, un— 
schuldigen Hausmütterchen es gibt, deren einzige köstliche 
Puppe das hilflose Geschwisterchen ist, das sie auf ihren 
Armen tragen, mit dem sie spielen und scherzen. Magda 
war der Typus einer solchen kleinen Hausfrau, der die Ge— 
meinheit des Daseins es später meistens verwehrt, es in 
Wirklichkeit zu werden. 
Ida warf sich ein Tuch um die Schultern und machte 
sich zum Ausgehen bereit. Dabei dachte sie an ihren Mann. 
Seit zwei Monaten hatte der Eisendreher Merk keine Be— 
—E 
des Oranienburger Tores massenhafte Arbeiterentlassungen 
stattgefunden. Das waren die Nachwehen der goldenen 
Zeit des Gründens und des Schwindels, die auf Jahre 
hinaus ihre Schatten in die Zukunft warfen. Während 
dieser acht Wochen war Merk von der Straße nicht herunter⸗ 
gekommen. Er fragte in allen Fabriken an, er sprach in 
sämtlichen Werkstätten vor, wo er ir zend bekannt war und 
glauben durfte, daß man ihn bei Veder nicht abweisen 
würde. Frühmorgens um sechs, wenn die Expeditions⸗ 
lokale jener Zeitungen, in deren Inseratenteil die meisten 
Arbeitsannoncen zu finden waren, geöffnet wurden, stand 
er bereits auf der Straße, im dichten Haufen jener Stellen⸗ 
suchenden, die neugierig die Spalten der noch halbfeuchten 
Blätter durchflogen, um entweder enttäuscht langsam von 
dannen zu gehen, oder mit hastigen Schritten dem Orte 
einer aussichtsvollen Stellung zuzusteuern. Vergeben?, 
die Bemühungen des Eisendrehers waren nie von Erfolg 
begleitet. Im Gegenteil, der Blick in die Zukunft wurde 
immer trüber. Die großen Fabriken entließen mehr Leute
	        
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