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Sechstes Kapitel

Full text: Die Verkommenen (Public Domain)

Sechstes Kapitel. 
Wer den Westen von Berlin in seiner ganzen Eigen— 
rümlichkeit kennen lernen will, der schlendere an einem 
schönen Tage vom Leipziger Platz aus die Potsdamer⸗ 
straße hinunter und beobachte mit scharfen Blicken Häuser 
und Menschen. Was die Königstraße der Königstadt, die 
Friedrichstraße der Friedrichstadt, die Oranienstraße der 
Louisenstadt, das ist die Potsdamerstraße dem high life 
Berlins. Berlin setzt sich aus verschiedenen großen Städten 
zusammen, deren allmählicher Ubergang nur demjenigen 
auffällt, dessen Blick für die nichtigsten Dinge geschärft ist, 
der die einzelnen durch Handel und Wandel, Reichtum und 
raffinierten Luxus, harte Arbeit undEntbehrung bestimmten 
Grenzen dieser großen, gleichsam mosaikartig zusammen— 
hängenden Gemeinschaft von Menschen genau kennt und 
es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, all die tausend⸗ 
fältigen Elemente in ihrem Drängen und Treiben, Wogen 
und Hasten ebenso zu studieren, wie er hinuntertaucht in 
die Seele und hinter Sammet und Seide, Flitter und 
Gold, Lumpen und Elend dieselben Leidenschaften, die⸗ 
selben Verirrungen erblickt, die in dem einzigen, gewal⸗ 
tigen Vernichtungsschrei zum Ausdruck kommen: „Stirb 
du, damit ich lebe!“ 
Es ist fast, als hätte jeder Stadtteil Berlins seine eigene, 
mächtig pulsierende Ader, in der im Laufe des Tages den 
Blutwallungen des Körpers gleich die Menschen auf⸗ und 
abwogen, um schon durch die äußere Erscheinung, durch
	        
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