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Zweites Kapitel

Full text: Drei Weiber / Kretzer, Max (Public Domain)

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Geld genug habe, sich ihrer besonders anzunehmen. Sie höre 
schon viel zu viel Schmeicheleien, um sich nicht jhrer Reize be— 
wußt zu werden. „Ich möchte wissen, was nach einem Jahre 
aus ihr geworden ist,“ fügte er hinzu, indem er den kleinen 
Dessertteller dicht unter seine große Rase hielt und mit dem 
Löffel einen Berg Schlagsahne in schnalzender Hast vertilgte. 
Die Zungenspitze versuchte dann nach der Entleerung jedes 
döffels in unästhetischer Weise die struppigen Schnurrbarts⸗ 
borsten von dem letzten Rest der Süßigkeit zu befreien. 
„Sehen Sie nur, er schlingt wie ein Alligator,“ raunte 
Schichlisky bei dieser Beobachtung der Frau Major zu. 
Doktor Gerechter suhr in seiner Unterhaltung fort: „Man 
sollte von Staats wegen allen armen Mädchen, die sich einer 
auffallenden Schönheit erfreuen, entweder eine ansehnliche Mit⸗ 
gift aussetzen, oder sie frühzeitig bei Todesstrafe das Gelübde 
der Keuschheit ablegen lassen. Die Frage vom Falle des Weibes 
wäre dann gelöst.“ 
Der Musiker lachte und fügte hinzu: „Jedenfalls kämen 
dann die unehelichen Kinder am besten dabei fort. Sie hätten 
nicht nötig, alle Tage nach einem Vater zu schreien. Übrigens 
habe ich mir nie den Kopf über diese Frage zerbrochen. Ich 
genieße die Weiber, wo ich sie finde. Ich bin bis jetzt immer 
sehr gut dabei gefahren und habe meinen gesunden Appetit 
nie verloren.“ 
Im Nebenzimmer war die Musik abermals verstummt. In 
den Pausen pflegte Paulus Liese dicht an den Türrahmen zu 
treten und hinter den Falten der Portiere dem Geräusch der 
Festesstimmung zu lauschen. Er sah nur eine blendende Licht⸗ 
fülle, in der sich die Personen verschwommen vor seinen Augen 
bewegten. Aber er hatte sich bereits die Stimmen gemerkt, 
die er in Verbindung mit den Namen der Angeredeten brachte. 
So konnte er erraten, wer jedesmal sprach. Als in seiner Nähe 
Olga einmal das höfliche „Darf ich bitten“, hervorbrachte, er⸗ 
kannte er sie sofort. Nun lauschte er doppelt aufmerksam. Im 
Seelenleben des halberblindeten Menschen spielte sie eine große 
Rolle. Sie war unzertrennlich von seinem Sehnen, seinem 
bofsen und seinen Wunschen. Als sie noch ein Kind war, hatte
	        
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