„Warum sagst du, daß der Urheber der Re-
formation nicht von Gott sei?“ war die Frage
des Pfarrers, die Hilde sehr verständig schien.
„Hätte Gott die Kirche reformieren wollen,
so hätte er sich dazu eines solchen Mannes
nicht bedient, wie Luther war“, lautete die Ant-
wort.
„Warum nicht?“ fragte Hilde unwillkürlich.
Dem Geistlichen genügte aber diese sche-
matische Antwort, die wie alle andern nichts
weiter als in Antwort gekleidete Fragen waren.
Eine Erklärung gaben sie nie.
Um so mehr wunderte sich Hilde über die
Bestimmtheit, mit der sie aus diesen über-
zeugten Kinderherzen kamen. Die kleinen Kerle
waren ordentlich stolz. Und ihre Augen
glänzten, wenn sie ihre aus dem Katechismus
auswendig gelernten Weisheiten herauspol-
terten. Ganz sicher hatten sie dabei das be-
stimmte Gefühl, dem Gegner mit scharfer Ver-
standeswaffe einen moralischen Hieb versetzt
und sich ein Verdienst um den eigenen Glauben
erworben zu haben. _
Und Hilde sagte sich: das also ist das rich-
tige Alter, um ein gläubiger Katholik zu wer-
den; in dem man ohne selbst zu denken, Be-
hauptungen für Beweise nimmt und so die
Glaubenslehre nicht etwa nur als etwas Selbst-
verständliches gelten 1äßt, sie vielmehr als etwas
aus eigener Anschauung Erfaßtes und als wahr
Erkanntes zu seinem wertvollsten Besitztum
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