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Sabine, die eben noch aller Freuden voll gewesen,
war während des Berichtes ihrer Schwester sehr ernst.
geworden und hatte bei einzelnen Stellen ihrer Er—
zählung die Stirn in Falten gelegt.
„Aber das ist ja schrecklich!“ sagte sie, als Lene ge—
endet hatte.
„Gar nicht!“ erwiderte das zierliche junge Mädchen
mit dem Ausdruck fröhlichen Leichtsinns. „Ich freue
mich, daß es so gekommen ist! Da hätte ich's ja doch
nicht ausgehalten.“
„Ja, aber... wenn sie dir nun ein schlechtes Zeugnis
gibt, dann findest du doch keinen Dienst.“
„Danach sehe ich mich auch gar nicht um. Kinder—
geschrei habe ich satt.“
„Aber was soll denn aus dir werden? Du mußt
doch eine Stelle haben.“
„Die werde ich schon finden,“ entgegnete Lene mit
lächelnder Zuversicht und zeigte ihre glänzenden milch—
weißen Zähne. „Du hast doch was gefunden. Und
was du kannst, werde ich wohl auch noch können. Ich
werde Verkäuferin wie du.“
„Aber ich bin es ja nicht mehr,“ versetzte Sabine.
Lene blickte verwundert zu ihrer Schwester auf und
wiederholte: „Du bist es nicht mehr?“
„Nein! Und wie das so zufällig gekommen ist,
wollte ich dir ja gerade sagen. Deswegen wollte ich
dich aufsuchen.“
Und nun war die Reihe des Erzählens an Sabinen.
Die jüngere Schwester hörte aufmerksam zu, ohne den
langen Bericht ein einziges Mal zu unterbrechen.