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Full text: Das grüne Huhn / Reicke, Georg (Public Domain)

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Er war ihr eine Bestätigung ihrer neu gewonne⸗ 
nen Ansichten durch die oberste Instanz, die es für 
sie gab, und sie hatte große Lust, die Zeilen mit der 
geliebten festen Handschrift an die Lippen zu 
drücken. Aber das kam ihr mädchenhaft über— 
spannt vor und schien ihr zu ihrer neuen festeren 
Lebensauffassung nicht mehr zu passen. Um doch 
aber etwas zu haben, worin sie das Frohlocken 
ihrer Seele äußern konnte, kaufte sie sich auf der 
Straße ein Pfund Kirschen und schritt, die saftigen 
Früchte schmausend und die Kerne rechts und links 
im Bogen bei Seite spuckend, in urvergnügter 
Stimmung unter den alten Bäumen der Char— 
lottenburgerstraße dahin, so daß die Vorüber— 
gehenden sich über das Betragen des Mädchens 
wunderten, das so sittsam angezogen war und sich 
so unmanierlich betrug. 
14. 
Das Wetter war umgeschlagen, endlich, nach— 
dem wochenlang die gleiche Hitze gebrütet hatte. 
Ueber Nacht war ein starkes Gewitter gekommen 
und am nächsten Morgen erlebten die Berliner 
den eigenartigen Genuß, auf ihren Thermometern 
das Quecksilber unter dem Zehnerstriche suchen zu 
müssen. Zunächst hing der Himmel noch voll 
ziehender grauer Wolken — aber allmählich ver— 
dichteten diese sich mehr und mehr, und gegen 
Mittag fing es an zu regnen. Das dauerte dann 
stundenlang fort. Dazu pfiff ein kalter Wind, und 
man hatte mit einem Male die Empfindung, daß
	        
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