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Full text: Bauen und Wohnen in der Krise (Rights reserved)

Bauen und Wohnen in der Krise Aktuelle Entwicklungen und Rückwirkungen auf Wohnungsbau und Wohnungsmärkte beauftragt vom Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ erstellt durch Pestel Institut gGmbH Hannover Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. Kiel Hannover, Januar 2023 i CBP BDB DMB DGFM IG BAU Auftraggeber: Verbändebündnis SOZIALES WOHNEN Koordination Deutsche Gesellschaft für Mauerwerksund Wohnungsbau e. V. (DGfM) Dr. Ronald Rast DGfM-Geschäftsführer Kochstraße 6-7 10969 Berlin Tel.: 030 / 25 35 96 - 40 Fax: 030 / 25 35 96 - 45 E-Mail: mail@dgfm.de Homepage: www.dgfm.de Verantwortlich für den Inhalt: Matthias Günther Pestel Institut gGmbH Gretchenstraße 7 30161 Hannover Tel. 0511 / 99094-20 E-Mail: guenther@pestel-institut.de ii Inhalt Seite 1 Ausganglage und Ziele 1 2 2.1 2.2 2.3 Bevölkerungsentwicklung Geburten und Sterbefälle Wanderungen über die Bundesgrenze Künftige Bevölkerungsentwicklung 2 3 4 10 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 Wohnungsbedarf Ausgangssituation zur Berechnung des Wohnungsbedarfs Demografischer Wohnungsbedarf Wohnungsbedarf benachteiligte Gruppen Qualitativer Wohnungsbedarf Wohnungsbedarf insgesamt 11 11 13 15 18 22 4 Entwicklung des Wohnungsbaus 23 5 Kostenentwicklung; Baupreise, Bau(werks)kosten und Kostenstand im deutschen Wohnungsbau (Beitrag der ARGE Kiel) 25 6 Preisentwicklung, Einkommen, Armut 30 7 7.1 7.2 7.3 Förderung im sozialen Wohnungsbau Betrachtung auf Bundes- und Länderebene Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau Wohngeld 33 33 37 40 8 Fazit und sinnvolle Maßnahmen 41 Abbildungen, Tabellen Abbildung 1 Abbildung 2 Abbildung 3 Abbildung 4 Abbildung 5 Abbildung 6 Abbildung 7 Abbildung 8 Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1995 bis 2022 2 Wanderungssalden Deutschlands gegenüber dem Ausland jeweils von Januar bis September in den Jahren 2008 bis 2022 4 Wanderungssalden der Kreise und kreisfreien Städte 2021 und im ersten Halbjahr 2022 5 Wanderungssalden Deutschlands gegenüber verschiedenen Regionen von 2000 bis 2021 6 Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland bis 2022 (jeweils Juni des Jahres) 8 Durchschnittliche Jahrgangsstärke der „18- bis unter 23-Jährigen“ und „62- bis unter 67-Jährigen von 1991 bis 2050 ohne Wanderungsgewinne ab 2023 9 Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1990 bis 2022 und im Szenario bis 2045 11 Wohnungsmarktsituation in den Kreisen und kreisfreien Städten bei einer Nettozuwanderung 2022 von 1,2 bzw. iii Abbildung 9 Abbildung 10 Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14 Abbildung 15 Abbildung 16 Abbildung 17 Abbildung 18 Abbildung 19 Abbildung 20 Abbildung 21 Abbildung 22 Abbildung 23 Abbildung 24 Abbildung 25 Abbildung 26 1,5 Millionen Personen 12 Wohnungsdefizit in Deutschland 2022 in Abhängigkeit vom Wanderungsgewinn 13 Haushaltsentwicklung in Deutschland bis 2045 bei leicht abgeschwächter Haushaltsverkleinerung 14 Entwicklung der Zahl an Schwerbehinderten nach Altersgruppen in Deutschland bis 2021 sowie in der Projektion bis 2049 15 Anteil der bereits eigenständig wohnenden Personen mit Bezug von Eingliederungshilfe ab 18 Jahren 17 Emissionsminderungsziele des Klimaschutzgesetzes 18 Wohnungsbestand nach Baualtersklassen in Deutschland Ende 2022 19 Wohnungsbedarfsentwicklung in Deutschland ab 2023 bei einem Abbau des „Zusatzdefizits 2022“ bis 2026 19 Genehmigte Wohnungen durch Maßnahmen im Bestand bei Wohn- und Nichtwohngebäuden 21 Entwicklung der Bauwerkskosten im Wohnungsneubau (Destatis-Preisindex/ARGE-Kostenindex, Bezug: TypengebäudeMFH) unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer im Vergleich zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten; Zeitraum: 1. Quartal 2000 bis 3. Quartal 2023 sowie prognostiziert für das 2. Quartal 2023 23 Entwicklung der Bauwerkskosten im Wohnungsneubau (ARGE-Kostenindex, Bezug TypengebäudeMFH) unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer, differenziert nach übergeordneten Leistungsbereichen unter Nennung der Baunebenkosten; Zeitraum: 1. Quartal 2000 bis 3. Quartal 2022; Kostenangaben in Euro je Quadratmeter Wohnfläche 24 Volatile Preisentwicklung von einigen Baumaterialien zwischen dem 3. Quartal 2020 bis zum 2. Quartal 2021 25 Preisentwicklung von einigen Baumaterialien zwischen August 2021 bis zum August 2022 26 Zusammenfassende Darstellung der festgestellten Herstellungskosten in deutschen Großstädten sowie der Grundstückskosten mit prozentualer Aufschlüsselung nach Kostengruppen (Medianwerte); Bezug: Geschoßwohnungsneubau; Kostenstand 09/2022, Angaben in Euro je Quadratmeter Wohnfläche, inkl. Mehrwertsteuer (Bruttokosten) 27 Entwicklung der Brutto-Bauzeit - Realisierungsdauer von Bauvorhaben des Sozialen/Bezahlbaren Wohnraums und des Eigentumssektors (“Gehobenes Segment“), Betrachtungszeitraum 2014 bis 2022 28 Preisindizes für Energieträger von Januar 2015 bis September 2022 30 Sozialwohnungsbestand und armutsgefährdete Bevölkerung in Deutschland bis 2021 31 Armutsgefährdungsquote der „18- bis unter 65-Jährigen“ und der „65-Jährigen und Älteren“ in den Jahren 2020 und 2021 32 Bestand an Sozialwohnungen 2021 nach Bundesländern je 1.000 Mieterhaushalte 34 iv Abbildung 27: Schaffung von Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 nach Bundesländern 35 Abbildung 28: Förderung von Sozialwohnungen im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt 35 Abbildung 29: Förderung von Mietsozialwohnungen und empfangene Bundesmittel im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt 36 Abbildung 30: Empfangene Bundesmittel für Sozialwohnungen im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt 37 Tabelle 1 Tabelle 2 Tabelle 3 Tabelle 4 Tabelle 5 Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Geburten und Sterbefälle in Deutschland von 2011 bis 2022 jeweils in der Summe der Monate Januar bis September Wanderungssalden Deutschlands gegenüber verschiedenen Regionen in der Summe der Jahre 2000 bis 2021 Erwerbstätigenquote*) 2021 nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten Wohnungsbau in Deutschland seit 2012 Schaffung von Sozialwohnungen sowie der Sozialwohnungsbestand und seine Veränderung Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau bei unterschiedlichen Energieeffizienzstandards Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau bei ermäßigtem Mehrwertsteuersatz (7%) und unterschiedlichen EnergieEffizienzstandards Subventionsbedarf zur Erreichung des Ziels der Bundesregierung des Neubaus von 400.000 Sozialwohnungen in der laufenden Legislaturperiode 3 7 9 20 33 38 38 39 v 1 Ausganglage und Ziele Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine dauert inzwischen bereits mehr als neun Monate und ein Ende ist nicht absehbar. Die Zerstörungen von Infrastruktur und Wohngebäuden in der Ukraine haben sich in den letzten Wochen verstärkt und eine schnelle Rückkehr der Flüchtlinge erscheint kaum möglich. Bei den Flüchtlingen vor den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien zu Beginn der 1990-er-Jahre lag zwischen den sehr hohen Zuzugszahlen nach Deutschland und der auch wanderungsseitig spürbaren Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat eine Zeitspanne von fünf bis sechs Jahren. Viele der Flüchtlinge sind aber auch dauerhaft in Deutschland geblieben. Auf eine ähnliche Entwicklung muss sich Deutschland auch bei den Flüchtlingen aus der Ukraine einstellen. Dabei sollte das im Jahr 2015 bei der damaligen Zuwanderung formulierte politische Ziel, dass Flüchtlinge spätestens nach einem Jahr in Wohnungen leben sollen, auch heute weiter Anwendung finden. Die zu Beginn des Krieges sehr hohe Bereitschaft zur privaten Aufnahme von Flüchtlingen stößt immer mehr an Grenzen. In den privaten WGs, von vielen Aufnehmenden für vielleicht zwei bis drei Monate gedacht, brechen Konflikte auf und die Kommunen werden zunehmend aufgefordert, Wohnmöglichkeiten für die Flüchtlinge zu bieten. Neben dieser unmittelbaren Erhöhung der Nachfrage nach Wohnungen wurde auch die Nachfrage nach Infrastruktur vor allem für die zahlreichen Kinder unter den Flüchtlingen deutlich gesteigert. Parallel dazu hat der Krieg zu wirtschaftlichen Verwerfungen geführt, die die wirtschaftlichen Aktivitäten und das Leben der Bürger in Deutschland beeinträchtigen. Zu nennen sind insbesondere die Preisentwicklungen für Energie und Lebensmittel, aber auch für viele andere bisher zumindest teilweise aus der Ukraine oder Russland gelieferte Rohstoffe und Produkte. Insgesamt wird die im Jahr 2022 mit einem vorläufigen Wert von 7,9 Prozent höchste Inflationsrate seit Bestehen der Bundesrepublik zu deutlichen Realeinkommensverlusten der Bevölkerung führen. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) geht davon aus, dass künftig 60 Prozent der Haushalte ihre gesamten Einkünfte oder mehr für die reine Lebenshaltung einsetzen müssen, während dies vor einem Jahr nur 15 Prozent der Haushalte waren. In den letzten Monaten hat die Bundesregierung bereits Entlastungen der Bürger beschlossen und umgesetzt (z. B. Tankrabatt, Neuneuroticket und die einmalige Energiepauschale von 300 Euro für Erwerbstätige) sowie die Gas- und Strompreisbremse beschlossen und inzwischen auch Entlastungen für mit anderen Brennstoffen heizende Haushalte angekündigt. Insgesamt drängt die Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen weiterer Entlastungen der Bürger bezüglich der künftigen Energieversorgung viele andere wichtige Fragen derzeit in den Hintergrund. Zu diesen anderen wichtigen Fragen zählt auch die weitere Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus. Ein Wohnungsbau von 400.000 Wohnungen je Jahr insgesamt steht immer noch ebenso auf der Agenda der Regierung wie die Schaffung von 100.000 Sozialwohnungen je Jahr. Konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele sind bisher jedoch nicht erkennbar. 1 Vor diesem Hintergrund liefert diese Untersuchung eine aktuelle Aufarbeitung der jüngsten Entwicklungen und leitet notwendige Maßnahmen im Bereich des Wohnens ab. 2 Bevölkerungsentwicklung Die Wohnungsnachfrage geht von den privaten Haushalten aus und die Zahl der privaten Haushalte resultiert aus dem Haushaltsbildungsverhalten und der Zahl erwachsener Menschen. Insofern stellt die Bevölkerungsentwicklung die Basis von Wohnungsbedarf und Wohnungsnachfrage dar. Die Entwicklung der Einwohnerzahl in Deutschland von 1995 bis 2022 zeigt Abbildung 1. Die Entwicklung des Jahres 2022 wurde auf der Basis der Daten bis Ende September geschätzt. Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1995 bis 2022 Einwohner (1.000 Personen) Geburten, Sterbefälle, Wanderungssaldo (1.000 Personen) 85.000 1800 84.500 84.000 1600 Einwohner Sterbefälle Geburten Wanderungssaldo 1400 83.500 1200 83.000 1000 82.500 800 82.000 600 81.500 400 81.000 200 80.500 0 80.000 -200 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 2022 Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Schätzung Nach einer Stagnationsphase von 1995 bis 2005 sank die Einwohnerzahl bis 2011 auf einen zwischenzeitlichen Tiefstand von knapp 80,5 Millionen Personen. Anschließend stieg die Einwohnerzahl an und Ende 2022 dürften knapp 84,5 Millionen Menschen in Deutschland leben. Die Komponenten der Bevölkerungsveränderung – Geburten, Sterbefälle und Wanderungsbilanz – sind in der Abbildung ebenfalls ausgewiesen. Die Zahl der Sterbefälle lag in allen Jahren über der Zahl der Geburten. Dieser Bevölkerungsverlust wurde über Wanderungsgewinne mehr als ausgeglichen. 2 2.1 Geburten und Sterbefälle Die Entwicklung von Geburten und Sterbefällen jeweils in der Summe der Monate Januar bis September zeigt Tabelle 1 für die Jahre von 2011 bis 2022. Tabelle 1: Jahr 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Geburten und Sterbefälle in Deutschland von 2011 bis 2022 jeweils in der Summe der Monate Januar bis September Geburten 502.835 508.836 516.774 539.398 555.857 595.508 594.345 600.589 590.709 586.907 602.485 552.328 Sterbefälle 629.973 645.862 676.443 640.915 702.336 673.509 700.437 725.074 700.807 711.010 741.521 765.313 Sterbeüberschuss -127.138 -137.026 -159.669 -101.517 -146.479 -78.001 -106.092 -124.485 -110.098 -124.103 -139.036 -212.985 Quelle: Statistisches Bundesamt Während im Jahr 2022 die Geburten der ersten neun Monate auf den niedrigsten Stand seit 2014 gefallen sind, erreichten die Sterbefallzahlen den höchsten Wert im betrachteten Zeitraum. In der Konsequenz erreichte der Sterbeüberschuss mit knapp 213.000 Personen in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 einen Rekordwert. Entsprechend ist auch für das Gesamtjahr 2022 von einem stark negativen Saldo zwischen Geburten und Sterbefällen auszugehen. Für die Modellrechnungen wird annähernd die mittlere Variante der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes1 angesetzt. Diese Variante bezieht den Rückgang der Geburtenhäufigkeit im Jahr 2022 ein und steigert die zusammengefasste Geburtenziffer bis 2032 auf 1,55 Kinder je Frau. Parallel dazu soll das durchschnittliche Alter der Mütter bei Geburt um gut ein Jahr ansteigen. Auch bei der Sterblichkeit orientiert sich der Modellrechnungsansatz an der mittleren Variante der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Die Lebenserwartung bei der Geburt steigt danach bis 2070 um 6,0 Jahre bei Männern und 4,8 Jahre bei Frauen. 1 https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsvorausberechnung/begleitheft.html?nn=208696#geburtenh%C3%A4ufigkeit 3 2.2 Wanderungen über die Bundesgrenze Bei den stetigen Bevölkerungsverlusten durch den natürlichen Saldo kommt den Wanderungen über die Bundesgrenze eine umso höhere Bedeutung für die Stabilisierung oder Steigerung der Einwohnerzahl zu. Bisher liegen für das Jahr 2022 die vorläufigen Wanderungsdaten bis zum September vor. Im Vergleich zu den Jahren seit 2008 zeigt Abbildung 2 die Entwicklung der Wanderungssalden jeweils in der Summe der Monate Januar bis September. Abbildung 2: Wanderungssalden Deutschlands gegenüber dem Ausland jeweils von Januar bis September in den Jahren 2008 bis 2022 1300 1.000 Personen 1200 1100 1000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Quelle: Statistisches Bundesamt Mit einem Wanderungsgewinn in Höhe von 1,25 Millionen Personen in den ersten neun Monaten nimmt das Jahr 2022 eine herausragende Position ein. Selbst im Vergleich zum Jahr 2015 lag der Wanderungsgewinn um mehr als 0,5 Millionen Personen höher. Betrachtet man die einzelnen Monate, so war im Juli mit knapp 65.600 Personen der niedrigste Stand seit März erreicht. In den Monaten August und September stiegen die Wanderungsgewinne dann wieder auf 83.300 bzw. 93.900 Personen. Angesichts des bevorstehenden Winters und der wieder stärkeren Zuwanderungen aus Ländern wie Afghanistan, Syrien und dem Irak ist in Richtung Gesamtjahr 2022 von einem Wanderungsgewinn von ca. 1,5 Millionen Personen auszugehen. Auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte zeigt Abbildung 3 den Vergleich zwischen dem Wanderungsgewinn des Gesamtjahres 2021 und dem des ersten Halbjahres 2022. 4 Abbildung 3: Wanderungssalden der Kreise und kreisfreien Städte 2021 und im ersten Halbjahr 2022 LK Rostock LK Rostock LK Mecklenburgische Seenplatte SK Hamburg LK Emsland LK Diepholz LK Emsland LK Altmarkkreis Salzwedel Region Hannover LK Mecklenburgische Seenplatte SK Hamburg LK Diepholz LK Altmarkkreis Salzwedel Region Hannover SK Berlin SK Berlin SK Münster SK Münster LK Borken LK Borken LK Harz LK Märkischer Kreis LK Harz LK Paderborn LK Paderborn LK Märkischer Kreis SK Leipzig LK Waldeck-Frankenberg SK Leipzig LK Waldeck-Frankenberg SK Dresden SK Dresden LK Vogelsbergkreis LK Vogelsbergkreis LK Euskirchen LK Euskirchen Wanderungsgwinn 1. Halbjahr Wanderungsgwinn 2022 in Promille 2021 in Promille LK Main-Spessart LK Main-Spessart <0 <0 <4 <4 <8 <8 < 12 < 12 >= 12 >= 12 LK Schwäbisch Hall LK Schwäbisch Hall LK Kelheim LK Kelheim SK Stuttgart SK Stuttgart LK Rottal-Inn LK Ortenaukreis SK Freiburg i.Breisgau SK München LK Rottal-Inn LK Ortenaukreis SK Freiburg i.Breisgau SK München Quelle: Statistisches Bundesamt, statistische Ämter der Bundesländer Im Jahr 2021 zeigten sich bei einem Wanderungsgewinn von 316.500 Personen deutlich Differenzen zwischen den Regionen. Im ersten Halbjahr 2022 war die Zuwanderung dann aber derart hoch, dass sich alle Regionen an der Aufnahme beteiligen mussten. 5 Die Wanderungsgewinne gegenüber verschiedenen Ländern und Regionen zeigt Abbildung 4 für die Zeit von 2000 bis 2021. Nach einer insgesamt weitgehend ausgeglichenen Wanderungsbilanz bis 2009 zogen mit der aufkommenden wirtschaftlichen Dynamik nach der Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise zunächst die Zuwanderungen aus der übrigen EU deutlich an. In den Jahren 2014 bis 2016 wurden diese Wanderungsgewinne durch die Fluchtbewegungen aus Afghanistan, dem Irak und vor allem Syrien noch erheblich verstärkt. Während sich anschließend die Flüchtlingszuwanderungen erheblich abschwächten, blieben die Wanderungsgewinne gegenüber der übrigen EU und dem übrigen Europa bis zum ersten Corona-Jahr 2000 auf einem Niveau von 200.000 bis 300.000 Personen je Jahr. Ab 2016 haben sich erhebliche Abwanderungen in der Kategorie „unbekannt/ungeklärt/ohne Angabe“ eingestellt. Von 2016 bis 2021 haben knapp 390.000 Deutschland mit unbekanntem Ziel verlassen. Insgesamt belief sich der Wanderungsgewinn vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2021 auf 6,05 Millionen Menschen. Über 80 Prozent des Wanderungsgewinns entfiel auf die Zeit von 2011 bis 2021. Abbildung 4: Wanderungssalden Deutschlands gegenüber verschiedenen Regionen von 2000 bis 2021 1.200 1.100 1.000 900 800 700 600 500 1.000 Personen Osteuropa EU Balkan (ehem. Jugoslaw ien + Albanien) Russische Förderation, Weißrussland Ukraine Türkei übr. Europa Syrien, Irak, Afghanistan China übr. Asien Amerika Afrika Australien, Ozeanien unbekannt/ungeklärt/ohne Angabe 400 300 200 100 0 -100 -200 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Quelle: Statistisches Bundesamt 6 Die Verteilung des Wanderungsgewinns insgesamt auf verschiedene Regionen zeigt Tabelle 2. Aus den osteuropäischen Mitgliedsländern der EU zogen im betrachteten Zeitraum 2,28 Millionen Menschen mehr nach Deutschland als von Deutschland in diese Länder zogen. Aus der übrigen EU (noch einschl. Großbritannien) gewann Deutschland durch die Wanderungen gut 400.000 Personen, aus den Nicht-EU-Balkanstaaten 402.000 Personen, aus der Russischen Föderation und Weißrussland 476.000 Personen, aus der Ukraine 163.000 Personen und aus der Türkei 124.000 Personen. An die übrigen europäischen Staaten – vor allem an die Schweiz - verlor Deutschland durch die Wanderungen knapp 228.000 Personen. Von dem gesamten Wanderungsgewinn seit dem Jahr 2000 entfielen damit gut 44 Prozent auf die EU und weitere knapp 16 Prozent auf das übrige Europa. Tabelle 2: Wanderungssalden Deutschlands gegenüber verschiedenen Regionen in der Summe der Jahre 2000 bis 2021 Region Zuzüge Fortzüge Osteuropa EU 8.639.070 6.363.026 übrige EU 3.985.199 3.584.419 Balkan (ehem. Jugoslawien plue Albanien ohne EU-Mitglieder) 1.253.824 850.890 Russische Föderation, Weißrussland 788.482 312.389 Ukraine 286.436 123.055 Türkei 862.465 738.261 übriges Europa 697.528 925.086 Europa 16.513.004 12.897.126 Syrien, Irak, Afghanistan 1.301.189 155.467 China 411.186 292.271 übriges Asien 2.077.579 1.190.302 Asien 3.789.954 1.638.040 USA 587.625 618.268 übriges Amerika 627.465 479.413 Amerika 1.215.090 1.097.681 Afrika 944.075 534.083 Australien/Ozeanien 120.412 131.742 unbekannt/ungeklärt/ohne Angabe 872.944 1.319.476 Summe 23.455.479 17.618.148 Saldo absolut in v.H. 2.276.044 37,6 400.780 6,6 402.934 476.093 163.381 124.204 -227.558 3.615.878 1.267.844 117.240 988.580 2.373.664 -26.480 170.626 144.146 455.923 -11.297 -530.547 6.047.767 6,7 7,9 2,7 2,1 -3,8 59,8 21,0 1,9 16,3 39,2 -0,4 2,8 2,4 7,5 -0,2 -8,8 100,0 Quelle: Statistisches Bundesamt Gut 39 Prozent der Wanderungsgewinne kamen aus Asien, 2,4 Prozent aus Amerika und 7,5 Prozent aus Afrika. Wanderungsverluste gab es gegenüber Australien und Ozeanien und vor allem an „unbekannte“ Länder. Da in der EU recht strikte Vorschriften für die Aufnahme von Flüchtlingen gelten (u.a. die Speicherung von Fingerabdrücken), dürfte es sich bei den Abwanderungen „nach unbekannt“ zu einem erheblichen 7 Teil um die Rückkehr Ausreisepflichtiger in ihre Heimatländer handeln. So stieg im Jahr 2015 nicht nur der Wanderungsgewinn aus Syrien stark an, sondern auch aus Afghanistan, dem Irak und dem Iran stiegen die Nettozuwanderungen gegenüber 2014 um gut 153.000 Personen. Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich im Wanderungsaustausch mit Albanien, dem Kosovo und Nordmazedonien. Gegenüber diesen drei Ländern stieg der Wanderungsgewinn 2015 um knapp 50.000 Personen. Insgesamt lässt sich festhalten: Die in den Medien oft im Vordergrund stehenden Zuwanderungen von Flüchtlingen sind in der Gesamtbilanz zwar wichtig, bleiben aber hinter den Zuwanderungen aus Europa deutlich zurück. Angesichts der Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland und dem Arbeitskräftemangel sind Wanderungsgewinne für Deutschland unerlässlich. Die Aufnahmefähigkeit der Arbeitsmärkte in Deutschland dokumentiert Abbildung 5. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort erreichte im Juni 2022 mit gut 33,4 Millionen einen neuen Höchstwert – trotz Corona und Krieg in der Ukraine. Abbildung 5: Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland bis 2022 (jeweils Juni des Jahres) sozialversichrungspflichtig Beschäftigte Beschäftigte Am Arbeitsort 40000000 35000000 30000000 25000000 20000000 15000000 10000000 5000000 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 0 Jahr Quelle: Bundesagentur für Arbeit Die seit 2005 laufende Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse wird gegenwärtig nicht von einem zu geringen Angebot an Arbeitsplätzen, sondern durch die unzureichende Verfügbarkeit von Arbeitskräften limitiert. Und ein Blick auf die demografische Entwicklung zeigt, dass diese Arbeitskräftemangellage sich in den kommenden Jahren eher verschärfen wird. Die Entwicklung der „18- bis unter 23-Jährigen“ und der „62- bis unter 67-Jährigen“ zeigt Abbildung 6. 8 Abbildung 6: Durchschnittliche Jahrgangsstärke der „18- bis unter 23-Jährigen“ und „62- bis unter 67-Jährigen von 1991 bis 2050 ohne Wanderungsgewinne ab 2023 1400 1300 1200 1100 1000 900 800 700 600 500 400 300 200 100 0 1.000 Personen 5,9 Millionen Personen fehlen bis 2035 Ø-Jahrgangsstärke der 18- bis unter 23-Jährigen Ø-Jahrgangsstärke der 62- bis unter 67-Jährigen 1991 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Schätzung Allein bis 2035 sinkt die Zahl der Erwerbsfähigen um fast 6 Millionen Personen, wenn die Zuwanderung ausbleibt. Eine weitere Steigerung der Frauenerwerbsquote und ein weiteres hinausschieben des tatsächlichen Ruhestandseintritts wird nicht ausreichen, das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge der 1960-er-Jahre zu kompensieren. Allerdings kommen auch über die Zuwanderung nicht nur Erwerbstätige nach Deutschland. So waren von den gut 1,32 Millionen aus dem Ausland Zugezogenen 14,1 Prozent Angehörige der Altersgruppen „bis unter 15 Jahre“ und „65 Jahre und älter“. Zudem liegt auch die Erwerbstätigenquote der Zuwanderer im erwerbsfähigen Alter nicht bei 100 Prozent, sondern deutlich darunter, wie Tabelle 3 zeigt. Tabelle 3: Land Polen Deutschland Rumänien Bulgarien Ukraine Afghanistan Syrien Erwerbstätigenquote*) 2021 nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten Erwerbstätigenquote 78,0 75,8 75,1 64,1 63,5 45,2 35,1 Quelle: Statistisches Bundesamt (Pressemitteilung Nr. N 069 vom 29. November 2022 *) Bevölkerung in Deutschland im Alter von 15 bis unter 65 Jahren 9 Bei einer Quote von 86 Prozent erwerbsfähigen Zuwanderern (in der Definition des Statistischen Bundesamtes die „15- bis unter 65-Jährigen) muss der Wanderungsgewinn mindestens 6,9 Millionen Personen (570.000 Personen je Jahr) bis 2035 betragen, um den alterungsbedingten Verlust an Erwerbsfähigen zu ersetzen. Da allerdings nach Tabelle 3 nur die in Deutschland lebenden Polen und Rumänen etwa die Erwerbstätigenquote Deutschlands aufweisen, wird die Zuwanderung tendenziell höher liegen müssen und Deutschland wird die Anstrengungen der Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt erheblich verstärken müssen. Denn gerade die bisher wichtigen EU-Herkunftsländer von Zuwanderern Bulgarien, Polen und Rumänien haben eigene demografische Probleme mit einem erheblichen Rückgang der Geburtenhäufigkeit nach der osteuropäischen Wende und entsprechend geringen Jahrgangsstärken bei jungen Menschen, die potenziell nach Deutschland zuwandern könnten. 2.3 Künftige Bevölkerungsentwicklung Eine hohe Zuwanderungsnotwendigkeit ist für Deutschland kaum zu bestreiten. Allerdings stellt sich die Frage nach der Integrationsfähigkeit Deutschlands, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass weiterhin aus den übrigen EU-Ländern, deren Einwohner gut integriert werden können, die meisten Zuwanderer für Deutschland zur Verfügung stehen. Denn gerade die osteuropäischen EU-Länder weisen ebenfalls seit langer Zeit niedrige Geburtenraten auf und haben entsprechend wenig junge Erwerbsfähige. In der Modellrechnung haben wir einen jährlichen Wanderungsgewinn von 330.000 Personen je Jahr angesetzt. Das Ergebnis der Modellrechnung zeigt Abbildung 7. Die Einwohnerzahl wird bei der angesetzten Zuwanderung bis etwa 2035 nach moderat bis auf knapp 85 Millionen Personen ansteigen. Anschließend übersteigt der Sterbeüberschuss den Wanderungsgewinn und die Einwohnerzahl sinkt bis 2045, dem Endjahr der Betrachtung, leicht ab. Die Zahl der Erwerbsfähigen, hier definiert als „18-Jährige bis Regelaltersgrenze“, sinkt in diesem Szenario bis Ende der 2030-er-Jahre um rund 3,3 Millionen Personen ab und steigt danach wieder leicht um 400.000 Personen bis 2045. Insbesondere nach der kompletten Umsetzung der „Rente mit 67“ im Jahr 2029 wird die Zahl der Erwerbsfähigen zunächst deutlich rückläufig sein, weil zu Beginn der 2030-er-Jahre die stärksten Jahrgänge der Baby-Boomer das Rentenalter erreichen werden. Der Anteil der Erwerbsfähigen an der Gesamtbevölkerung sinkt in diesem Szenario von 62 Prozent im Jahr 2022 auf einen niedrigsten Stand von 57,8 Prozent im Jahr 2038 und steigt dann wieder auf 58,6 Prozent im Jahr 2045. Die Zahl der Senioren je Erwerbsfähigem steigt von gegenwärtig 0,34 (zum Vergleich: 1995 lag dieser Wert noch bei 0,24) bis auf 0,44 an. Durch die bereits über das vergangene Jahrzehnt erfolgte Zuwanderung bei gleichzeitig starker Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erscheint das seit Jahrzehnten prognostizierte „Problem der gesetzlichen Rentenversicherung“ in einem anderen Licht. Die künftige Finanzierung der 10 Renten bleibt eine Herausforderung, eine Überforderung der Gesellschaft ist aber nicht mehr zu erkennen, wenn die Beschäftigungssituation auf dem hohen Niveau gehalten werden kann. Abbildung 7: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1990 bis 2022 und im Szenario bis 2045 1.800 Einwohner (1.000 Personen) Geburten, Sterbefälle, Wanderungssaldo (1.000 Personen) Einwohner Geburten Sterbefälle Wanderungssaldo 1.600 1.400 85000 84500 84000 83500 1.200 83000 1.000 82500 800 82000 600 81500 400 81000 200 80500 0 80000 -200 79500 79000 -400 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen 3 Wohnungsbedarf Der Wohnungsbedarf ist grundsätzlich eine normative Größe. Nach der Definition einer oder mehrerer Bedarfsnorm(en) wird der Wohnungsbedarf abgeglichen mit dem Wohnungsbestand und daraus ein notwendiger Wohnungsbau abgeleitet. In der Regel wird der Wohnungsbedarf jährlich ausgewiesen. Von hoher Bedeutung ist neben der künftigen demografischen Entwicklung die jeweils aktuelle Situation auf den Wohnungsmärkten. Hohe Leerstände senken den Baubedarf ab, weil theoretisch zunächst der überhöhte Leerstand bezogen werden könnte. Als notwendigen Stichtagsleerstand setzen wir drei Prozent des Wohnungsbestandes an. Ein Leerstand in dieser Größenordnung ist erforderlich, um Umzüge zu ermöglichen und Modernisierungen zu realisieren. 3.1 Ausgangssituation zur Berechnung des Wohnungsbedarfs Die Wohnungsmarktsituation in Deutschland wird mit unserem integrierten Bevölkerungs-, Haushalts- und Wohnungsmarktmodell jährlich auf der Ebene der Kreise und 11 kreisfreien Städte abgebildet. Mit Blick auf die besondere Zuwanderungssituation im Jahr 2022 haben wir auf Basis der Halbjahresdaten eine Abschätzung zum Jahresende 2022 in Abhängigkeit von der Gesamtzuwanderung nach Deutschland vorgenommen. Die ermittelte Wohnungsmarktsituation in den Kreisen und kreisfreien Städten zum Jahresende 2022 bei einem Wanderungsgewinn von 1,2 und 1,5 Millionen Personen zeigt Abbildung 8. Da die Zuwanderung bereits Ende September bei 1,25 Millionen Personen lag, gehen wir im Folgenden von der Variante mit 1,5 Millionen Nettozuwanderern aus. Abbildung 8: Wohnungsmarktsituation in den Kreisen und kreisfreien Städten bei einer Nettozuwanderung 2022 von 1,2 bzw. 1,5 Millionen Personen SK Kiel SK Kiel LK Segeberg LK Rostock LK Segeberg SK Hamburg LK Rostock SK Hamburg SK Schwerin SK Schwerin LK Uckermark LK Uckermark SK Bremen SK Bremen LK Barnim LK Emsland LK Barnim LK Emsland LK Altmarkkreis Salzwedel Region Hannover LK Altmarkkreis Salzwedel SK Berlin SG M e i n e rs e n Region Hannover SK Berlin SG M e i n e rs e n SK Potsdam SK Potsdam SK Magdeburg LK Coesfeld LK Northeim SK Magdeburg LK Coesfeld LK Harz LK Northeim LK Elbe-Elster LK Harz LK Elbe-Elster LK Mansfeld-Südharz LK Mansfeld-Südharz LK Görlitz SK Düsseldorf LK Görlitz SK Düsseldorf LK Waldeck-Frankenberg LK Waldeck-Frankenberg SK Dresden SK Erfurt SK Dresden SK Erfurt LK Vogelsbergkreis LK Vogelsbergkreis LK Erzgebirgskreis LK Erzgebirgskreis Wohnungsmarktsituation Ende 2022 bei 1,2 Mio. Zuwanderung Wohnungsmarktsituation Ende 2022 bei 1,5 Mio. Zuwanderung SK Wiesbaden SK Wiesbaden starke Überhänge LK Bernkastel-Wittlich SK Mainz Überhänge starke Überhänge LK Bernkastel-Wittlich SK Mainz Überhänge ausgeglichen ausgeglichen Defizite Defizite starke Defizite starke Defizite LK Cham LK Stadtverband Saarbrücken LK Schwäbisch Hall LK Cham LK Neumarkt i.d.OPf. LK Stadtverband Saarbrücken SK Stuttgart LK Rottal-Inn LK Freising LK Ortenaukreis LK Sigmaringen LK Ravensburg LK Neumarkt i.d.OPf. SK Stuttgart LK Freising LK Ortenaukreis LK Schwäbisch Hall SK München LK Sigmaringen LK Rottal-Inn SK München LK Ravensburg Quelle: eigene Berechnungen Was die regionale Entwicklung für die Gesamtsituation in Deutschland bedeutet, zeigt Abbildung 9. Nachdem sich die Wohnungsmarktsituation in den Corona-Jahren 2020 und 2021 leicht entspannt hatte und die Wohnungsdefizite deutlich gesunken waren, stiegen die Defizite im Jahr 2022 wieder deutlich an, bisher ausgeglichene Märkte weisen wieder Defizite auf und in bisherigen Überhangregionen haben sich die Leerstände erheblich vermindert. Für das Jahresende 2022 ist von Wohnungsdefiziten in einer Größenordnung von 700.000 Wohnungen auszugehen. Dies ist mehr als die doppelte Jahresproduktion an Wohnungen. 12 In den kommenden Jahren müssen somit nicht nur der jeweils aus der aktuellen demografischen Entwicklung resultierende Bedarf „abgearbeitet“, sondern zusätzlich müssen die aufgelaufenen Defizite so schnell wie möglich beseitigt werden. Denn auch in der aktuellen Situation muss gelten, dass Flüchtlinge spätestens nach einem Jahr in Wohnungen leben sollen. Wohnheime und Unterkünfte sollen grundsätzlich nur temporäre Lösungen darstellen. Abbildung 9: Wohnungsdefizit in Deutschland 2022 in Abhängigkeit vom Wanderungsgewinn Zuwanderung 1,3 Mio. Zuwanderung 1,4 Mio. Wohnungsdefizit Ende 2022 Zuwanderung 1,5 Mio. Zuwanderung 1,6 Mio. 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 550 600 650 700 750 1.000 Wohnungen Quelle: eigene Berechnungen 3.2 Demografischer Wohnungsbedarf Der demografische Wohnungsbedarf basiert auf der Entwicklung der Haushalte bildenden erwachsenen Bevölkerung und deren Haushaltsbildungsverhalten. Kinder leben definitionsgemäß bei ihren Eltern und sind über deren Wohnungsbedarf mitversorgt. Über die vergangenen Jahrzehnte war ein klarer Trend zu einer immer geringeren Zahl an erwachsen Personen je Haushalt festzustellen. Möglich wurde die Umsetzung dieser „Versingelung“ der Gesellschaft durch reale Einkommenssteigerungen und einer über Jahrzehnte laufenden relativen Preissenkung beim Wohnen. So waren die Kaltmieten von den 1950-er-Jahren bis etwa 2010 geringer gestiegen als die allgemeinen Lebenshaltungskosten. Die Zahl der wohnungswirtschaftlich relevanten privaten Haushalte wird statistisch auf der regionalen Ebene nur über die Großzählungen (Volkszählung 1987, Zensus 2011) erfasst. Die jährlichen Mikrozensuserhebungen gehen von einem wohnungswirtschaftlich nicht verwendbaren Haushaltsbegriff aus, der die „wirtschaftliche Eigenständigkeit“ zum zentralen Kriterium des privaten Haushalts erklärt. Dadurch werden bereits arbeitende, aber noch bei den Eltern lebende Kinder, als eigenständige Haushalte gezählt. Ebenso werden die Mitglieder einer Wohngemeinschaft jeweils als eigenständige 13 Single-Haushalte erfasst. Dies führt zu einer im Vergleich zu den bewohnten Wohnungen deutlich höheren Haushaltszahl. Ein Teil des Rückgangs der durchschnittlichen Haushaltsgröße ist auf die Alterung der Bevölkerung und der damit zwangsläufig zunehmenden Zahl an Witwen und Witwern zurückzuführen. Ob der Rückgang der Haushaltsgröße sich auch in den jüngeren Altersgruppen fortsetzt, ist gegenwärtig ungewiss. Wenn die Realeinkommen stagnieren oder gar sinken, wie im Jahr 2022, und gleichzeitig das Wohnen überproportional im Preis steigt, ist eine Reduzierung der Haushaltsgröße ökonomisch nur umsetzbar, wenn auf anderen Konsum (etwa Ausgaben für Freizeit oder Mobilität) verzichtet wird. Hier wird erst die Zukunft zeigen, welchen Konsum die privaten Haushalte in der Zukunft priorisieren. Ein Haushaltsentwicklung mit einer abgeschwächten Singularisierung zeigt Abbildung 10. Abbildung 10: Haushaltsentwicklung in Deutschland bis 2045 bei leicht abgeschwächter Haushaltsverkleinerung 50000000 45000000 40000000 Haushalte 35000000 30000000 25000000 20000000 15000000 10000000 5000000 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 2023 2025 2027 2029 2031 2033 2035 2037 2039 2041 2043 2045 0 Jahr Quelle: eigene Berechnungen Die Zahl der Haushalte steigt in diesem Szenario von 2022 bis 2045 um rund 3 Millionen oder 132.000 im Durchschnitt je Jahr an. Die Zuwächse an Haushalten aus der einheimischen Bevölkerung sind gegenwärtig eher niedrig; die Kinder der geburtenschwachen Jahrgänge der 1970-er-Jahre befinden sich in der Haushaltsbildungsphase, während durch die gestiegenen Sterbefallzahlen die Haushaltsauflösungen zunehmen. Allerdings muss in vielen Regionen noch der aus dem Wohnungsmangel resultierende Haushaltsrückstau (trotz eigenem Wohnungswunsch noch bei den Eltern lebende Kinder; das ungewollte Wohnen in Wohngemeinschaften) abgebaut und der Leerstand in Richtung drei Prozent des Wohnungsbestandes erhöht werden. Wenn die 2022 zusätzlich entstandenen Wohnungsdefizite bis 2026 abgebaut werden sollen, so ist bis dahin ein Wohnungsbau von rund 400.000 Wohnungen je Jahr erforderlich. 14 3.3 Wohnungsbedarf benachteiligte Gruppen Unabhängig von der demografischen Entwicklung oder der Wohnungsmarktsituation gibt es Haushalte, die sich nicht selbst am Markt mit Wohnraum versorgen können. Die Wohnraumförderungsgesetze der Länder berücksichtigen diese Tatsache in der Regel in der Definition der Ziele der sozialen Wohnraumförderung und teils in der unmittelbaren Auflistung der einzelnen Haushaltstypen. Zu den Haushalten ohne oder mit nur schwerem Zugang zum Wohnungsmarkt zählen unter anderen Menschen mit Behinderungen, denen mit dem Bundesteilhabegesetz inklusives und selbstbestimmtes Wohnen versprochen wurde. Weiterhin gibt es besondere Förderprogramme auf Bundes- und Länderebene zur Schaffung von barrierearmen und barrierefreien Wohnungen für Senioren, um diesen einen möglichst langen (und gesellschaftlich kostengünstigen), selbstbestimmten Verbleib in der Wohnung zu ermöglichen. Im Jahr 2021 wiesen rund 7,8 Millionen Bürger eine Schwerbehinderung auf. Insgesamt zeigt sich eine starke Überlagerung der Wohnungsprobleme Behinderter mit denen älterer Menschen, da knapp 58 Prozent der Schwerbehinderten im Jahr 2021 zur Altersgruppe „65 Jahre und älter“ zählten. Im Jahr 1993 lag der Anteil dieser Altersgruppe noch bei unter 50 Prozent. Für diese Altersgruppe wird wegen der demografischen Entwicklung bereits seit vielen Jahren die Ausweitung des Angebots an barrierearmen und barrierefreien Wohnungen gefordert, um das möglichst lange selbstbestimmte Wohnen in der bisherigen Wohnung zu ermöglichen. Die Entwicklung der Schwerbehinderten bis 2021 und in der Perspektive bis 2049 zeigt Abbildung 11. Abbildung 11: Entwicklung der Zahl an Schwerbehinderten nach Altersgruppen in Deutschland bis 2021 sowie in der Projektion bis 2049 1.000 Personen 9000 8500 8000 7500 7000 unter 18 Jahre 18 bis unter 35 Jahre 35 bis unter 55 Jahre 55 bis unter 65 Jahre 65 Jahre und mehr 6500 6000 5500 5000 4500 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 1993 1997 2001 2005 2009 2013 2017 2021 2025 2029 2033 2037 2041 2045 2049 Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen 15 Die Zahl an Schwerbehinderten wird zunehmen und die Dominanz der Altersgruppe „65 Jahre und älter“ wird durch die Alterung der Baby-Boomer ebenfalls größer. Die Wohnungsmarktprobleme älterer Menschen (mit und ohne Behinderung) unterscheiden sich diametral von denen jüngerer Behinderter. Während bei jüngeren Behinderten der Inklusionsgedanke den Weg ins selbstbestimmte Wohnen ebnen soll, leben ältere Menschen in der Regel seit Jahrzehnten selbstbestimmt und dieses Wohnen wird durch altersbedingte Beeinträchtigungen gefährdet. Durch eine die Beeinträchtigungen berücksichtigende Wohnung soll der Umzug ins Pflegeheim möglichst lange hinausgezögert oder gar verhindert werden. Neben der individuell positiven Wirkung auf die Lebensqualität werden auch volkswirtschaftliche Vorteile gesehen, weil die ambulante Pflege in der Regel preiswerter als die stationäre Pflege ist. Dagegen dürfte bei jüngeren Behinderten die volkswirtschaftlich preiswerteste Lösung im (möglichst langen) Wohnen bei den Eltern liegen. Insgesamt führt Wohnungsmangel zu einer Ausgrenzung von Randgruppen in der Wohnungsnachfrage. Die in den Landeswohnraumförderungsgesetzen genannten Zielgruppen, in der Regel „Familien, Alleinerziehende, sonstige Haushalte mit Kindern, Alleinstehende, Schwangere, junge kinderlose Haushalte, Senioren, Menschen mit Behinderungen, Haushalte mit geringem Einkommen und Haushalte mit besonderen Schwierigkeiten bei der Wohnraumversorgung“ werden kaum noch erreicht, da auch Haushalte ohne die genannten Merkmale die Einkommensgrenzen unterschreiten und – sofern kein Belegrecht besteht – von den Vermietern bevorzugt als Mieter ausgewählt werden. Je knapper das Gut Wohnung, desto geringer sind die Chancen der genannten Gruppen, sich selbst angemessen mit Wohnraum zu versorgen. Erschwerend kommt bei Behinderten häufig die begrenzte Zahlungsfähigkeit hinzu, da bei einem großen Teil gerade der Behinderten zwischen dem 18. und dem 65. Lebensjahr staatliche Grundsicherungsleistungen die Lebenshaltungskosten decken müssen. Das Problem der „knappen Einkommen“ trifft aber auch zunehmend Senioren. Sowohl für viele Senioren als auch für Menschen mit Behinderungen ist die Verfügbarkeit „passender“ Wohnungen eine wesentliche Voraussetzung für selbstbestimmtes Wohnen. Von den 7,8 Millionen Schwerbehinderten bezogen 2021 knapp 980.000 Personen (12,6 Prozent) Eingliederungshilfe2 für behinderte Menschen. Viele dieser Menschen wohnen bisher in Heimen. Ziel ist es, einem möglichst großen Teil der das eigenständige Wohnen zu ermöglichen. Die Verteilung der Behinderten auf verschiedene Altersgruppen weicht deutlich von der Verteilung bei den Schwerbehinderten ab. So sind nur 6,6 Prozent der Bezieher von Eingliederungshilfe 65 Jahre und älter. Den aktuellen Stand der bereits eigenständig im ambulant-betreuten-Wohnen (ABW) lebenden 2 Definition der CARIATSS: Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist eine Leistung der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch zwölf (SGB XII). Menschen mit einer nicht nur vorübergehenden geistigen, körperlichen oder psychischen Behinderung haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre Fähigkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch die Behinderung wesentlich eingeschränkt ist. Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden erbracht, um die Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und behinderten Menschen so die Chance zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu eröffnen. 16 Menschen ab 18 Jahren – für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre kann das Wohnen bei den Eltern unterstellt werden - mit Bezug von Eingliederungshilfe nach dem SGB IX zeigt Abbildung 12. Die kreisfreien Städte und die Ballungsräume sind in der Regel bereits erheblich weiter vorangeschritten in der Umsetzung des eigenständigen Wohnens für Menschen mit Behinderungen Abbildung 12: Anteil der bereits eigenständig wohnenden Personen mit Bezug von Eingliederungshilfe ab 18 Jahren Quelle: eigene Berechnungen Gerade in ländlichen Regionen, die häufig rein quantitativ ein ausreichendes Wohnungsangebot aufweisen, gibt es kaum passenden Wohnungen für Menschen mit Behinderungen. Es ist weniger die fehlende Barrierefreiheit, sondern die meisten Wohnungen sind zu groß und damit zu teuer für die Kostenträger. Bei insgesamt rund einer Million verfügbarer barrierefreier Wohnungen leben in Deutschland 7,8 Millionen Menschen mit Behinderungen (davon knapp eine Million mit Bezug von Wiedereingliederungshilfe) und 13,5 Millionen Menschen zählen zu den „übrigen Senioren“, von denen ein Teil in den kommenden Jahren sicher auch in der Mobilität beeinträchtigt ist. Bei der Förderung des barrierearmen/-freien Umbaus von 70.000 Wohnungen je Jahr wird 17 es noch ein wenig dauern, bis tatsächlich auch alle, die eine solche Wohnung zum selbstbestimmten Wohnen benötigen, eine solche Wohnung beziehen können. 3.4 Qualitativer Wohnungsbedarf Neben dem demografischen Wohnungsbedarf besteht auch der qualitative Bedarf, den Wohnungsbestand laufend an aktuelle Standards anzupassen. Im Jahr 2021 erfasste das Statistische Bundesamt den Abgang von 18.470 Wohnungen. Bezogen auf den Wohnungsbestand des Vorjahres von 42,8 Millionen entsprach dies einer Abgangsrate von 0,043 Prozent. Die rechnerische Lebensdauer unserer Wohnungen beliefe sich auf gut 2.300 Jahre, wenn diese Abgangsquote dauerhaft bleibt. Allerdings ist eine qualitative Ertüchtigung des Bestandes damit kaum zu erreichen. Die Emissionsminderungsziele des Klimaschutzgesetzes zeigt Abbildung 13. Der Gebäudebereich soll bis 2030 die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 2020 um rund 43 Prozent senken und bis 2045 Klimaneutralität erreichen. Abbildung 13: Emissionsminderungsziele des Klimaschutzgesetzes 300 Millionen t CO2-Äquivalente Energiewirtschaft Industrie Gebäude Verkehr Landwirtschaft Abfallwirtschaft und Sonstiges Ziel 2050 250 200 150 100 50 0 -50 -100 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Quelle: Klimaschutzgesetz des Bundes Allerdings gelten seit vielen Jahren rund 10 Prozent des Wohnungsbestandes – etwa 4,3 Millionen Wohnungen – als technisch/wirtschaftlich nicht sanierbar. Rein quantitativ werden diese Wohnungen aber auch künftig benötigt, denn die Zuwanderer aus anderen Ländern sollen in Deutschland in Wohnungen und nicht in Unterkünften leben. Insofern wäre der Ersatz dieser Wohnungen bis 2045 anzustreben. Da unmittelbar erst die Wohnungsdefizite abgebaut werden müssen, sollte der verstärkte Ersatz dieser Wohnungen ab dem Jahr 2027 einsetzen. Damit lässt sich auch der Bauwirtschaft und den Baustoffherstellern eine Perspektive auf eine kontinuierliche Bautätigkeit bieten. 18 Wie aus Abbildung 14 hervorgeht, wurde der größte Teil der Wohnungen in Deutschland zu einer Zeit errichtet, in der Energiesparen ein eher nachrangiges Ziel darstellte. Abbildung 14: Wohnungsbestand nach Baualtersklassen in Deutschland Ende 2022 Millionen Wohnungen 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 vor 1950 1950-1959 1960-1969 1970-1979 1980-1989 1990-1999 2000 u. spät. Quelle: eigene Berechnungen 3.5 Wohnungsbedarf insgesamt Einen Überblick über den Verlauf des Wohnungsbedarf bis 2045 gibt Abbildung 15. Abbildung 15: Wohnungsbedarfsentwicklung in Deutschland ab 2023 bei einem Abbau des „Zusatzdefizits 2022“ bis 2026 450 1.000 Wohnungen positive demografische Bedarfe qualitative Bedarfe 400 350 300 250 200 150 100 50 0 2023 2025 2027 2029 2031 2033 2035 2037 2039 2041 2043 2045 Quelle: eigene Berechnungen 19 Ein längerfristiger Wohnungsbau von 350.000 bis 400.000 Wohnungen je Jahr erscheint erforderlich, um die gegenwärtigen Defizite abzubauen, die demografischen Bedarfe abzudecken und den technisch/wirtschaftlich nicht sanierbaren Teil des Bestandes zu ersetzen. Damit liegt das aktuelle Ziel der Bundesregierung – der Bau von 400.000 Wohnungen je Jahr – wesentlich näher am Bedarf als die tatsächliche Bautätigkeit mit weniger als 300.000 Wohnungen je Jahr. 4 Entwicklung des Wohnungsbaus Die Entwicklung des Wohnungsbaus seit 2012 zeigt Tabelle 4. Der Spitzenwert von 306.000 Wohnungen im Jahr 2020 wurde im Jahr 2021 nicht wieder erreicht. Insgesamt lag der Rückgang bei knapp 13.000 Wohnungen oder 4,2 Prozent. Besonders stark fiel der Rückgang mit 8,7 Prozent bei Ein- und Zweifamilienhäusern aus. Für 2022 fallen die Erwartungen recht unterschiedlich aus. Die meisten Experten rechnen mit 270.000 bis 290.000 Wohnungsfertigstellungen im gerade abgelaufenen Jahr. Die Beeinträchtigung des Wohnungsbaus 2022 durch Störungen der Lieferketten und bei steigenden Zinsen auch von ersten Stornierungen im Einfamilienhausbau sind nur schwer einschätzbar. Tabelle 4: Wohnungsbau in Deutschland seit 2012 Fertigstel- davon: lungen WE in neuen Geb. Jahr insgesamt mit 1 o. 2 WE 2012 200.466 100.294 2013 214.817 102.246 2014 245.325 106.846 2015 247.722 102.713 2016 277.691 106.301 2017 284.816 105.948 2018 287.352 103.363 2019 293.002 103.110 2020 306.376 107.747 2021 293.393 98.327 Quelle: Statistisches Bundesamt WE in neuen Geb. mit 3 u. mehr WE 71.041 78.910 101.021 105.095 115.150 122.841 134.954 143.053 153.377 147.925 WE in neuen Wohnheimen 5.282 7.241 8.253 8.919 14.207 16.515 13.021 9.762 7.650 10.100 durch Maßn. im Bestand u. in Nichtwohng. 23.849 26.420 29.205 30.995 42.033 39.512 36.014 37.077 37.602 37.041 Als Voraussetzung für die Steigerung der Wohnungsfertigstellungszahlen wurde bereits im Januar eine Ausweitung des Bauens im Bestand benannt. Das über Aufstockungen von Wohn- und Nichtwohngebäuden sowie die Umnutzung bisher gewerblich genutzter Gebäude eine deutliche Steigerung der Fertigstellungszahlen möglich wäre, wurde in verschiedenen Untersuchungen aufgezeigt. Allerdings treten auch beim Bauen im Bestand Hemmnisse zu Tage, die eine starke Ausweitung dieser Aktivitäten bisher verhindern. Von Abstandsregelungen über Stellplätze und Brandschutzauflagen bis zum teils notwendigen vollständigen barrierefreien Umbau des ganzen Gebäudes führen Vorschriften und Auflagen regelmäßig dazu, dass das Bauen im Bestand unwirtschaftlich wird. 20 Wie Abbildung 16 nachweist, haben sich trotz der immer wieder gezeigten Begeisterung der Politik für das Bauen ohne neue Grundstücke die tatsächlichen Zahlen nicht verändert. Ein Höhepunkt des Bauens im Bestand lag vielmehr bereits im Jahr 2016. Abbildung 16: Genehmigte Wohnungen durch Maßnahmen im Bestand bei Wohn- und Nichtwohngebäuden 1.000 Wohnungen 30 27 24 21 18 15 12 9 Wohngebäude Nichtwohngebäude 6 3 0 2015 2015 2016 2016 2017 2017 2018 2018 2019 2019 2020 2020 2021 2021 2022 (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) Quelle: Statistisches Bundesamt Die nur jährlich ausgewiesenen Zahlen zu den Wohnungsfertigstellungen im Bestand lagen in den vergangenen 10 Jahren zwischen 30.000 und 40.000 Wohnungen je Jahr. Für das Jahr 2023 werden teils drastische Rückgänge im Wohnungsneubau erwartet. Einfamilienhausanbieter rechnen mit einem Einbruch um 30 bis 50 Prozent. Aber auch im Mehrfamilienhausbau sind deutliche Rückgänge zu erwarten, da sich unter den neuen Rahmenbedingungen mit den gestiegenen Zinsen und Errichtungskosten Mietund Kaufpreise ergeben, die am Markt kaum noch durchsetzbar sind. Zwar dürfte der Bauüberhang Ende 2022 einen neuen Rekordwert um 900.000 Wohnungen erreicht haben und mindestens die bereits rohbaufertigen Gebäude dürften fertiggestellt werden. Daher sind auch die Erwartungen für die Mehrfamilienhausfertigstellung für 2023 noch verhalten optimistisch. Da aber alle noch nicht begonnenen Vorhaben derzeit auf dem Prüfstand stehen, wird ein starker Einbruch dann für 2024 erwartet. Für die Politik gilt es, angesichts des längerfristigen Wohnungsbedarfs einen drastischen Einbruch am Bau zu verhindern. Die Gefahr, dass jetzt abgebaute Kapazitäten nicht wieder aufgebaut werden können, ist sehr groß und in der Konsequenz könnte eine dauerhafte Wohnungsknappheit letztlich die notwendigen Zuwanderungen verhindern. 21 5 Kostenentwicklung; Baupreise, Bau(werks)kosten und Kostenstand im deutschen Wohnungsbau (Beitrag der ARGE Kiel) Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. verfolgt die Entwicklung von Baukosten für den Wohnungsbau als Wohnungsbauinstitut im staatlichen Auftrag in Kooperation mit Förderbank des sozialen Wohnungsbaus kontinuierlich seit Jahrzehnten. Neben der regelmäßigen Berichterstattung finden fortlaufend umfassende Untersuchungen und Umsetzungsbetrachtungen zum bautechnisch und kostenoptimierten Mietwohnungsbau und zu den aktuellen Kostentreibern für den Wohnungsbau 3 in Deutschland statt. Auch aktuell hat sich die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. eingehend mit der systematischen Daten- und Baukostenanalyse von fertiggestellten Neubauvorhaben4 in diesem Jahr beschäftigt. Die Ergebnisse und Erkenntnisse dieser Untersuchungen beziehen sich in dieser Stellungnahme auf den optimierten Wohnungsbau im mittleren Preissegment mit gutem Wohnkomfort (Geschosswohnungsneubau) in Deutschland. Um Baukosten vergleichbar ermitteln und darstellen zu können, ist unter anderem eine einheitliche Betrachtungsbasis wichtig. Zu diesem Zweck hat die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. in einer Grundlagenstudie5 ein modellhaftes Gebäude definiert, das für Mehrfamilienhäuser im Geschosswohnungsbau typisch ist. Anhand des vorstehenden Diagramms (Abbildung 17) ist insbesondere in den letzten zehn Jahren eine deutlich stärker ausgeprägte Kosten- als Preisentwicklung zu erkennen. Der Kostenindex liegt im 3. Quartal 2022 gegenüber dem Bezugszeitpunkt des 1. Quartals 2000 bei 223 Indexpunkten und befindet sich somit um 27 Punkte über dem Baupreisindex. Der Abstand zum Index für die Lebenshaltungskosten liegt mit 73 Punkten noch deutlich höher. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch die vorhandene Differenz des Lebenshaltungskostenindex zum Baupreisindex. Seit den Jahren 2010/2011 entwickeln sich die Baupreise in einer höheren Intensität als die allgemeine Teuerung – seit 2015 mit einer immer stärkeren (beschleunigten) Ausprägung. 3 [ARGE 2015] z.B. [ARGE 2017], [ARGE 2019c], [ARGE 2021ff] 5 [ARGE 2014] 4 22 Abbildung 17: Entwicklung der Bauwerkskosten im Wohnungsneubau (Destatis-Preisindex/ARGE-Kostenindex, Bezug: TypengebäudeMFH)6 unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer im Vergleich zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten; Zeitraum: 1. Quartal 2000 bis 3. Quartal 2023 sowie prognostiziert für das 2. Quartal 20237 Kostenentwicklung Bauwerkskosten 2000 bis 3. Quartal 2022 + Prognose 2. Quartal 2023 Index Januar 2000 = 100 260 250 240 + 123 230 + 117 220 210 + 22 + 96 200 + 5 190 180 + 96 170 + 57 160 + 50 150 140 130 120 Q3 110 2022 100 Q2 2023 + 148 GEG 2020/ EnEV 2002/ 2014/ab 2016 EnEV WSchV 1995/ HeizAnlV (bis 2002) + EEWärmeG (ab 2009) zusätzliche Anforderungen [KG+27 300/400] % Preisentwicklung Lebenshaltungskosten Baupreisindex für Wohngebäude (Destatis) - ohne Qualitäts- und Anforderungsveränderungen Bauwerkskostenindex für Wohngebäude* (ARGE) - mit Qualitäts- und Anforderungsveränderungen Quelle: Statistisches Bundesamt, Controlling und Datenarchiv ARGE eV und Erhebungen im öffentlichen Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft * Bezug: (Median-)TypengebäudeMFH Tatsächlich dramatisch ist die Entwicklung der Bauwerkskosten. Sie kennzeichnen die Kosten, die zum jeweiligen Zeitpunkt entstehen, wenn ein Quadratmeter Wohnraum in einem Mehrfamilienhaus nach den gesetzlichen, normativen und sonstigen Mindeststandards, die in Deutschland gelten, geschaffen wird. Eine Sondersituation stellte der im Betrachtungsjahr 2020 vorhandene „Knick“ in der Indexentwicklung vom 2. Quartal 2020 zum 3. Quartal 2020 dar. Aus dem Knick war ein „U“ geworden, weil tatsächlich im Wesentlichen die kurzfristige Senkung der Mehrwertsteuer diesen Effekt erzeugte. Seit März 2022 dominieren die Auswirkungen des Ukraine-Krieges die zunehmend dynamischere Kosten- und Preisentwicklung im Wohnungsbau. Für den weiteren Verlauf des Jahres 2023 kann von einer weiter ansteigenden Entwicklung bei den Baupreisen und Baukosten ausgegangen werden. 6 Typengebäude, siehe [ARGE 2014] Datenquellen: Statistisches Bundesamt, Controlling und Datenarchiv ARGE eV, Erhebungen im öffentlichen Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft 7 23 Abbildung 18: Entwicklung der Bauwerkskosten im Wohnungsneubau (ARGEKostenindex, Bezug TypengebäudeMFH)8 unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer, differenziert nach übergeordneten Leistungsbereichen unter Nennung der Baunebenkosten; Zeitraum: 1. Quartal 2000 bis 3. Quartal 2022; Kostenangaben in Euro je Quadratmeter Wohnfläche Entwicklung in den Leistungsbereichen Detailbetrachtung [€/m² Wfl.] 1.200 2000 2014 3.Quartal 2022 2016 1.017 1.000 748 800 527 600 460 430 332 400 211 124 200 0 Rohbau 2000 bis 3. Quartal 2022 + 93 % Ausbau (konstruktiv) + 125 % Ausbau (technisch) + 247 % Baunebenkosten + 118 % Ursachen (exemplarisch) für die festgestellten Entwicklungen oberhalb der allgemeinen Baupreissteigerungen Materialkosten und Marktprozesse EnEV/GEG, Barrierefreiheit Qualitätsansprüche EnEV/GEG EEWärmeG Expertengutachten Abgaben/Gebühren Die mittlere Nutzungsdauer im modernen Wohnungsbau hat sich u.a. aufgrund der verschärften energetischen Anforderungen (anteilig immer mehr und komplexere technische Anlagen) bei steuerrechtlicher Betrachtungsweise auf mittlerweile 36 Jahre reduziert. Die stärkste Kostenentwicklung ist im Bereich der Bauwerkskosten im technischen Ausbau festzustellen: Gegenüber dem Basisjahr 2000 wird im 3. Quartal 2022 eine Kostensteigerung in Höhe von 247 % deutlich. Auch der konstruktive Bereich des Ausbaus weist eine verhältnismäßig hohe Kostenentwicklung in Höhe von 125 % gegenüber dem Jahr 2000 auf. Dies ist unter anderem auf höhere Anforderungen und Ansprüche im Zusammenhang mit der Energieeffizienz9, der Barrierefreiheit sowie den sich veränderten Qualitätsansprüchen im Wohnungsbau zurückzuführen. Die niedrigste Kostensteigerung mit 93 % entfällt auf den Rohbau. Hier liegt die Entwicklung zwar über der allgemeinen Teuerung, aber noch unter den Veränderungen bei den Baupreisen. Die Tatsache einer sich ändernden Verteilung bei den Bauwerkskosten hat nicht nur Einfluss auf die Höhe der Rohbau- und Ausbaukosten, sondern auch auf die Nutzungsdauer von Wohngebäuden.10 Die mittlere Nutzungsdauer von Gebäuden ergibt sich aus den anteiligen Kosten von Bauteilen in Verbindung mit den entsprechenden 8 Typengebäude, siehe [ARGE 2014] [ARGE 2019b] 10 Definition aus „Nutzungsdauertabellen für Wohngebäude“ (Pfeifer, Bethe, Fanslau-Görlitz, Zedler): „Die Nutzungsdauer von Bau- und Anlagenteilen von Wohngebäuden ist der Zeitraum der geplanten Nutzung bei gleichbleibend dauernden Ansprüchen, Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Nutzungsgerechtigkeit“, die Nutzungsdauer kann sich somit teilweise deutlich von der Lebensdauer unterscheiden 9 24 Nutzungsdauern und der damit verbundenen Ersatzhäufigkeit und liegt damit heute bei dieser Betrachtungsart eines repräsentativen (Referenz-)Wohngebäudes nur noch bei ca. 36 Jahren. Die Untersuchungen zeigen, dass die Entwicklung von Qualitätsstandards im Wohnungsbau im Hinblick auf die Bauwerkskosten insbesondere zur Realisierung bezahlbaren Wohnraums inzwischen ausgereizt ist.11 Aktuelle Materialpreisentwicklungen Mitten in der Corona-Pandemie – seit dem 3. Quartal 2020 - sind die Preise für einiger Baumaterialien sehr stark gestiegen - die momentane Preisentwicklung für diese Baustoffe zeigt sich extrem volatil. Damit einhergehend ist auch die Materialverfügbarkeit bei etlichen Baustoffen eingeschränkt. Am deutlichsten sind Bauholz, aber auch Kunststoffe, metallische Materialien und Dämmstoffe von steigenden Rohstoffpreisen betroffen. Mineralische Materialien weisen eher keine extremen Steigerungen in der aktuellen Preisentwicklung auf. Abbildung 19: Volatile Preisentwicklung von einigen Baumaterialien zwischen dem 3. Quartal 2020 bis zum 2. Quartal 2021 Entwicklung in den Leistungsbereichen Prozentanteile der Bauwerkskosten 2000 bis 3. Quartal 2022 3,2 + 0,1 % - 0,2 % + 0,6 % - 0,1 % + 0,6 % - 0,5 % + 0,8 % + 0,3 % - 0,8 % - 0,3 % 0,6 023/024 Schließanlage/Baureinigung 4,1 1,1 022 Betonwerkstein 0,0 3,4 021 Küchen 3,7 2,5 020 Bodenbelagsarbeiten 4,4 2,5 019 Estricharbeiten 4,4 2,2 018 Innenputz 3,3 4,3 017 Balkone 1,9 1,7 016 Schlosserarbeiten 3,8 2,7 015 Malerarbeiten 5,1 2,4 014 Trockenbau 36,9 Rohbau 2000: 53,7 % 3,5 - 0,1 % + 1,9 % 012 Tischlerarbeiten (außen) - 1,0 % 5,1 011 Fliesenarbeiten + 1,9 % 3,1 010 def. Be- und Entlüftung + 2,7 % 1,9 009 Heizungsinstallation + 0,8 % 6,4 008 Elektrische Installation + 0,7 % 5,2 007 Sanitäre Installation/Obj. - 0,2 % Ausbau Q3 2022: 53,7 % 5,1 006 Dachdecker-/abdichtungsarbeiten + 0,3 % 3,1 005 Klempner-/Stahlbauarbeiten - 0,1 % + 0,3 % 2,2 004 Zimmer-/Holzbauarbeiten - 7,6 % 3,7 003 Dämmarbeiten 2,7 5,4 002 Maurer-/Betonarbeiten 001 Erdarbeiten - 0,1 % 29,3 013 Tischlerarbeiten (innen) Rohbau Q3 2022: 46,3 % 2,6 3,6 2,7 3,5 1,4 3,5 2,7 1,9 2,6 2,8 1,3 0,5 Ausbau 2000: 46,3 % Massive Preissteigerungen waren zum Beispiel bei EPS-Dämmstoffen, aber auch bei Lattholz zu verzeichnen. Diese Erhöhungen machten teilweise bis zu 40 Prozent über den üblichen Preisen aus. Hierfür gibt es unterschiedliche Gründe. Zum einen war eine große Produktionsanlage ausgefallen, die die Rohstoffe Styrol und Propylenoxid für die Produktion von EPS-Dämmstoffen lieferte, dies führte zu Lieferengpässen und damit auch zu Preissteigerungen. Zum anderen hatte der heftige Wintereinbruch in den 11 vgl. [ARGE 2013], [ARGE 2019b], [ARGE 2021ff] 25 USA zu einem drastischen Rückfahren der Holzproduktion geführt, bei zugleich verstärkter Holz-Nachfrage aus Europa und den USA und einem Export-Stopp von Seiten Kanadas. Schwere Schäden des inländischen Baumbestandes machten es notwendig, Bauholz zunehmend aus internationalen Märkten zu beziehen. Zeitgleich war China als der größte Containermarkt kurzfristig ausgefallen, somit konnten viele Produkte nicht verschifft werden. Deutschland hatte einen Überschuss an Holz mit Borkenkäferbefall. Von diesem - sogenanntem Kalamitätsholz - wurde und wird viel exportiert, vor allem nach China und die USA. Gleichzeitig wurde der Frischeinschlag gedrosselt, da aufgrund des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes derzeit nur noch 85 Prozent der üblichen Menge geerntet werden. Dazu kommen die Waldbrände in den USA und die Streitigkeiten im Welthandel, vor allem zwischen Kanada und den USA. In der Folge haben sich die USA an Deutschland als Europas größten Holzproduzenten, gewandt, so dass zunehmend deutsches Holz in die USA exportiert wird. Mit den steigenden Weltmarktpreisen ist auch in Deutschland der Holzpreis in die Höhe gegangen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich dieser nie wieder auf den Ausgangszustand vor dieser Entwicklung einpendeln wird, da (Bau-)Holz viele Jahre deutlich zu günstig verkauft wurde. In der Zukunft wird damit der Einsatz von Holz in der Primärkonstruktion von Wohngebäuden noch unwirtschaftlicher werden, als es jetzt und in der Vergangenheit bereits der Fall war. Abbildung 20: Preisentwicklung von einigen Baumaterialien zwischen August 2021 bis zum August 2022 Erzeugerpreisindizes ausgewählter Baumaterialien im August 2022 Veränderungsrate gegenüber dem Vorjahresmonat Erzeugerpreise insgesamt Bitumen aus Erdöl Betonstahlmatten Dämmplatten aus Kunststoff wie Polysterol Gipserzeugnisse für den Bau Dachziegel Kies und Sand Betonstahl in Stäben, warmgewalzt Mauerziegel Frischbeton (Transportbeton) Dachlatten Bauholz Konstruktionsvollholz -50% -40% -30% -20% -10% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Darstellung Ein Jahr später: Beim Thema Kostenentwicklung von Holz hat es tatsächlich eine gewisse Beruhigung ergeben, einige Materialpreise aus diesem Segment sind tatsächlich etwas zurückgegangen, allerdings nicht auf das Niveau von vor der Coronakrise. 26 Holz als Baustoff im Wohnungsbau wirkt, absehbar auch dauerhaft als Kostentreiber. Dagegen sind die mineralischen Baustoffe mit ihren relativ geringen Preissteigerungen und in ihrer Bedeutung für die Rohkonstruktionen des Wohnungsbaus als Kosten dämpfend festzustellen. Perspektivisch wird sich dies allerdings ändern, da sich hier die Energiepreisentwicklungen negativ auf den Herstellungsaufwand auswirken werden. Gestehungskosten für den Wohnungsbau in deutschen (Groß-)Städten Das Bewusstsein der Zusammenhänge zwischen Qualität und Kosten ist eine der fundamentalen Voraussetzungen des bautechnischen und kostenoptimierten Bauens. Bereits bei der Planung ist zu prüfen, ob bestimmte kostenintensive Ausführungen und Ausstattungen in der vorgesehenen Art und Weise notwendig und bedarfsgerecht sind. Diesen Betrachtungen stehen allerdings grundsätzliche Trends bei der aktuellen Nachfrageentwicklung entgegen, die sowohl im Eigentums- als auch im Mietwohnungsbau immer höhere Qualitätsansprüche aufzeigen. Abbildung 21: Zusammenfassende Darstellung der festgestellten Herstellungskosten in deutschen Großstädten sowie der Grundstückskosten mit prozentualer Aufschlüsselung nach Kostengruppen (Medianwerte); Bezug: Geschoßwohnungsneubau; Kostenstand 09/2022, Angaben in Euro je Quadratmeter Wohnfläche, inkl. Mehrwertsteuer (Bruttokosten) Herstellungs- und Grundstückskosten in dt. Großstädten Aktuelles Kostenniveau 3.976,43 €/m² Wfl. Wohnungsneubau in deutschen Großstädten 3.200,79 €/m² Wfl. Grundlage: Auswertung fertiggestellter und abgerechneter Bauvorhaben in dt. Großstädten Bruttokosten Kostenstand: 3. Quartal 2022 882,01 €/m² Wfl. 464,33 146,39 99,72 €/m² Wfl. €/m² Wfl. Herstellung KG 200-700 65,21 €/m² Wfl. €/m² Wfl. Kostengruppen gem. DIN 276 (2018-12) Grundstück KG 100 Vorbereitende Maßnahmen KG 200 Bauwerk KG 300/400 Außenanlagen und Freiflächen KG 500 Ausstattung z.B. Küchen KG 600 2.880,06 von 346,74 15,87 2.513,51 38,57 31,54 277,25 3.976,43 Median 882,01 99,72 3.200,79 146,39 65,21 464,33 7.337,84 bis (mit 810-890 teilw.) [€/m² Wfl.] Baunebenkosten (Finanzierung teilw.) KG 700/(800) 3.320,10 757,67 5.937,73 508,31 189,09 938,54 [€/m² Wfl.] [€/m² Wfl.] [€/m² Wfl.] [€/m² Wfl.] [€/m² Wfl.] [€/m² Wfl.] Die vorhandene Kostenspanne bei den Herstellungskosten für den Geschoßwohnungsneubau liegt aktuell zwischen ca. 2.880,- und ca. 7.338,- € je Quadratmeter Wohnfläche (im Median ca. 3.976,- €) und besitzt in allen deutschen Großstädten eine ähnliche Größenordnung. 27 Grundsätzlich wird das Kostenniveau im Wohnungsneubau immer direkt durch die Individualität eines Projekts inklusive der vorhandenen projektspezifischen Besonderheiten bzw. primären Kostenfaktoren12 beeinflusst. Die Verlängerung der Realisierungsdauer von Wohnungsbauvorhaben Seit mehr als zehn Jahren verlängern sich die Realisierungszeiten („Brutto-Bauzeit“ Beginn konkreter Planung, Erteilung von Planungsaufträgen bis zur Fertigstellung/Bezug) kontinuierlich. Insbesondere der Zeitraum bis zur Erteilung der Baugenehmigung ist fortlaufend länger geworden, auch durch verzögerte Abwicklung der Bauaufsichtsbehörden. Dazu ist, gerade in den letzten zwei Jahren durch Materialverknappung oder Lieferschwierigkeiten sowohl bei der Auftragsvergabe als auch bei der Ausführung, ein sich stetig verlängernder Realisierungszeitraum festzustellen. Weiterhin ist festzustellen, dass sich die Segmente des sozialen/bezahlbaren Wohnraums anders entwickeln als der frei finanzierte, respektive Eigentumswohnungsbau, der sich ebenfalls über die Jahre zunehmend weiter zeitlich verzögert allerdings im gesamten Realisierungszeitraum noch deutlich beschleunigter abläuft als die Bauvorhaben des bezahlbaren Segments. Abbildung 22: Entwicklung der Brutto-Bauzeit - Realisierungsdauer von Bauvorhaben des Sozialen/Bezahlbaren Wohnraums und des Eigentumssektors (“Gehobenes Segment“), Betrachtungszeitraum 2014 bis 2022 Entwicklung der Brutto-Bauzeit Projektierung bis Baufertigstellung [Monate] 60 50 40 30 Trendlinie 20 10 0 2014 gehobenes Segment 2015 bezahlbarer gehobenes Segment Wohnraum bezahlbarer Wohnraum 2016 gehobenes Segment bezahlbarer Wohnraum 2017 gehobenes Segment bezahlbarer Wohnraum 2018 gehobenes Segment bezahlbarer Wohnraum 2022 gehobenes Segment bezahlbarer Wohnraum Projektierung, Planung, Genehmigung, Submission Neu-/Nachverhandlungen, Verschiebung des Baubeginns etc. Rohbau bzw. Vorfertigung inkl. Montage und Ausbau (Bauzeit) Quelle: Fördercontrolling und fortlaufende Marktbeobachtung und Auswertungen durch die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. und der Investitionsbank Schleswig-Holstein sowie bundesweite Erhebungen in Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft.) 12 z.B. primäre Kostenfaktoren (Wettbewerbe, Fachgutachten, Planungsvorgaben, Baustellenlogistik, Abbrucharbeiten, Kampfmittelsondierung/-beseitigung, Dekontamination/Bodenaustausch, Baugrubenverbau, Wasserhaltung, Gründung, Tiefgarage, Teilkeller/Vollkeller, Balkone/Loggien, Aufzugsanlagen, energetische Standards, Barrierefreiheit, Qualität der Außenanlagen etc.) 28 ➢ Der Median der Gestehungskosten (Investitionskosten) für Wohnraum in deutschen Großstädten liegt aktuell bei ca. 4.900 €/m2. ➢ In Metropolregionen - z.B. Hamburg - wird bei den die Gestehungskosten bereits die Marke von 5.000 €/m2 erreicht bzw. kurzfristig überschritten werden. ➢ Ein aktuell frei finanziert errichteter Wohnungsbau lässt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Kaltmiete von unter ca. 16,50 € nicht mehr zu. ➢ Besondere Kostentreiber sind aktuell die technischen Anforderungen, die Baulandpreise und regelmäßige zusätzliche, spezifische Standortanforderungen bei innerstädtischen Bauprojekten. Aktuell wirken zusätzlich die Auswirkungen der Corona-Pandemie (Störung der Lieferketten und Materialengpässe) sowie des Ukraine-Krieges (starke Materialengpässe und extreme Energiekostensteigerungen) kosten- und preisprägend. ➢ Der Spielraum für weitere strukturelle Veränderungen und eventuelle Baukosten- treibende Auflagen ist derzeit ausdrücklich im Segment des Bezahlbaren Wohnraums vollständig ausgeschöpft. ➢ Die Realisierungsdauer von Wohnungsbauvorhaben verlängert sich kontinuierlich seit Jahren. Das Segment des bezahlbaren/sozialen Wohnraums verlängert sich in seiner Realisierung drastischer als der Eigentumssektor. Der Median der Realisierungsdauer von Bauvorhaben bezahlbaren/sozialen Segment liegt mittlerweile bei fast 60 Monaten. ➢ Weitere, qualitative Anforderungen für die Erstellung von Wohngebäuden machen die Realisierung von bezahlbarem Wohnraum kaum noch möglich bzw. erfordern eine wirksame Regulierung der Kostentreiber und spezifischen Förderangebote. ➢ Weiterhin ist festzustellen, dass der wesentliche Kostentreiber im Wohnungsbau nicht die Primärkonstruktion (Rohbau) ist, sondern mit Abstand – und weiter zunehmend - der Technische Ausbau. Weitere qualitative, normative oder gesetzliche Standardanhebungen werden die Erstellung Bezahlbaren Wohnraums erheblich erschweren. 29 6 Preisentwicklung, Einkommen, Armut Die Inflationsrate in Deutschland wird für das Gesamtjahr 2022 vorläufig mit 7,9 Prozent angegeben. Getrieben wurde die Preisentwicklung insbesondere von den Energie- und Nahrungsmittelpreisen. Exemplarisch zeigt Abbildung 23 die Preisentwicklung im Energiebereich von Januar 2015 bis September 2022. Die bis Mitte 2021 „gelernte“ Planbarkeit der Energiepreise endete Ende 2021 abrupt, wie die Abbildung zeigt. Abbildung 23: Preisindizes für Energieträger von Januar 2015 bis September 2022 Preisindex 2015 = 100 650 Verbraucherpreisindex Erdgas Erdgas Einfuhrpreise Verbraucherpreise leichtes Heizöl Verbraucherpreisindex Strom Verbraucherpreis Fernwärme Verbraucherpreisindex 600 550 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Quelle: Statistisches Bundesamt Die Einfuhrpreise für Erdgas hatten sich von Juni 2021 bis November 2021 bereits fast verdreifacht. Der Heizölpreis zog sehr schnell nach und erreichte mit einem Spitzenindexwert von 271 im März 2022 nicht ganz das Steigerungsausmaß der Gaseinfuhrpreise. Es zeigt sich aber auch die preisdämpfende Wirkung der nachlaufenden Preisanpassung durch die Energieversorger. So lag der Verbraucherpreisindex Erdgas im September 2022 bei 196,1, der für Strom bei 134,9 und der für Fernwärme bei 133,0. Allerdings bedeutet dies auch, dass die bisherigen Gaspreissteigerungen bei den Verbrauchern bei weitem noch nicht in voller Höhe angekommen sind. Die Gas- und Strompreisdeckel sowie die Entlastungen für andere Energieträger haben lediglich eine temporäre Begrenzung des Energiepreisanstiegs zur Folge. Insgesamt hat die starke Inflation reale Einkommensverluste der privaten Haushalte nach sich gezogen, da Lohnsteigerungen 2022 unterhalb der Preissteigerung lagen. 30 Die realen Einkommensverluste wiegen umso schwerer, als gerade die Entwicklung der Miet- und Kaufpreise das Wohnen in den vergangenen Jahren deutlich teurer gemacht hat und die Steigerung der Energiepreise für eine weitere Erhöhung gesorgt hat. Damit gewinnt für weite Teile der Bevölkerung das bezahlbare und das soziale Wohnen immer mehr an Bedeutung, während es gleichzeitig immer weniger verfügbar ist. Die Absenkung der Wohnkosten durch einen Umzug ist für die meisten Haushalte derzeit keine Alternative, da ein neuer Mietvertrag in der Regel mit einer deutlich höheren spezifischen Miete verbunden und ein Einspareffekt nur bei einer drastischen Senkung der Wohnfläche eintreten würde. Als armutsgefährdet gelten in Deutschland Haushalte, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens aufweisen. Um die Einkommen unterschiedlich großer Haushalte vergleichbar zu machen, wird das Nettoäquivalenzeinkommen (mit Zahl und Alter der Haushaltsmitglieder gewichtetes Einkommen) herangezogen. Danach sind in Deutschland über die Jahre recht stabil um 13 Millionen Personen armutsgefährdet oder leben in relativer Armut (vgl. Abbildung 24). Abbildung 24: Sozialwohnungsbestand und armutsgefährdete Bevölkerung in Deutschland bis 2021 2.100 1.000 Wohnungen Millionen Personen 14 1.950 13 1.800 12 1.650 11 1.500 10 1.350 9 1.200 8 1.050 7 900 6 750 600 450 5 Sozialwohnungsbestand armutsgefährdete Bevölkerung 4 3 300 2 150 1 0 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Quelle: Statistisches Bundesamt Bei konstant hohen Zahlen an armen Einwohnern hat sich der Sozialwohnungsbestand in Deutschland halbiert und die Chancen zur Erlangung einer Sozialwohnung haben sich für einkommensarme Haushalte stetig verringert. Dies gilt auch für 31 bestimmte Gruppen der Gesellschaft, die bei der Anmietung von Wohnraum bereits bei ausgeglichenen Märkten Probleme haben. Neben einkommensarmen Haushalten zählen u. a. Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund oder auch Menschen mit Behinderungen zu diesen Gruppen. Weisen einzelne Personen mehrere der Merkmale auf, wird die Anmietung von Wohnraum ohne externe Unterstützung nahezu unmöglich. Die Auswirkung des sogenannten Rentenschocks zeigt Abbildung 25 eindrucksvoll. Während in der 18- bis unter 65-jährigen Bevölkerung die Armutsgefährdungsquote bei etwa 15 Prozent liegt, erreicht sie bei den 65-Jährigen und Älteren 19 bis 20 Prozent. Die Altersbezüge liegen in der Regel erheblich unter den Einkommen im Erwerbsleben und ein Teil der Senioren rutscht mit dem Renteneintritt in die Armut ab. Wenn bereits 2021 rund ein Fünftel der Senioren in relativer Armut lebte, dann muss davon ausgegangen werden, dass diese Gruppe gerade auch hinsichtlich des Wohnens besonders betroffen ist. Abbildung 25: Armutsgefährdungsquote der „18- bis unter 65-Jährigen“ und der „65-Jährigen und Älteren“ in den Jahren 2020 und 2021 in v.H. der jeweiligen Bevölkerung 22 2020 20 2021 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 18- bis unter 65-Jährige 65-Jährige und Ältere Quelle: Statistisches Bundesamt 32 7 Mietwohnungsförderung 7.1 Betrachtung auf Bundes- und Länderebene Die Schaffung von Sozialwohnungen durch Neubau, Modernisierung und den Ankauf von Belegrechten ist in Tabelle 5 ausgewiesen. Zusätzlich wird der Bestand an Sozialwohnungen und seine Veränderung aufgeführt. Tabelle 5: Jahr 2017 2018 2019 2020 2021 Schaffung von Sozialwohnungen sowie der Sozialwohnungsbestand und seine Veränderung Neubau 26.231 27.040 25.565 23.076 21.468 Ankauf von Modernisierung Belegrechten 18.102 1.257 17.968 1.426 17.775 2.506 4.920 3.080 5.899 3.185 Bestand zum Jahresende 1.221.767 1.176.057 1.155.214 1.128.875 1.101.506 Veränderung des Bestandes -45.710 -20.843 -26.339 -27.369 Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen Der Neubau von Sozialwohnungen hatte 2018 mit 27.000 Wohnungen eine vorläufige Spitze. Auch die Zahl der durch Modernisierungsförderung geschaffenen Sozialwohnungen lag damals mit Werten um 18.000 Wohnungen je Jahr weit über den knapp 6.000 Wohnungen, die im Jahr 2021 geschaffen wurden. Der Ankauf von Belegrechten hat 2021 zwar den höchsten Stand der betrachteten Jahre erreicht, spielt insgesamt aber nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Auch für 2022 ist für den Neubau im sozialen Wohnungsbau eher ein noch geringerer Wert zu erwarten, da bei erhöhtem Förderbedarf keine ausreichenden Mittel verfügbar waren. Das „Förderchaos“ hinsichtlich der Energieeffizienzstandards zu Beginn des Jahres 2022 war kontraproduktiv und dürfte auch den sozialen Wohnungsbau stark belastet haben. In keinem der Jahre hat die Zahl der geschaffenen Sozialwohnungen ausgereicht, um die auslaufenden Mietpreisbindungen und Belegrechte auszugleichen. Im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021 hat sich der Bestand an Sozialwohnungen um 30.000 WE je Jahr vermindert. Damit ist der soziale Wohnungsbau weit entfernt vom Regierungsziel des Neubaus von 100.000 Sozialwohnungen je Jahr. Um den Stand und die Aktivitäten der Länder vergleichbar darzustellen, wurden in den folgenden Abbildungen die Werte jeweils auf 1.000 Mieterhaushalte bezogen. Mieterhaushalte sind die grundsätzliche Zielgruppe des sozialen Wohnungsbaus und etwa die Hälfte der Mieterhaushalte liegt unter den Einkommensgrenzen und hat damit den theoretischen Anspruch, eine Sozialwohnung zu beziehen. 33 Der Gesamtstand der Versorgung mit Sozialwohnungen ist in Abbildung 26 ausgewiesen. Mit deutlichem Abstand an der Spitze steht Hamburg mit knapp 110 Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte. Dies ist mehr als das Doppelte des Bundesdurchschnitts. Es folgen Nordrhein-Westfalen, Berlin, Schleswig-Holstein und Hessen, die ebenfalls über dem Bundesdurchschnitt liegen. Alle anderen liegen unter dem Bundesdurchschnitt, wobei Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland weniger als 10 Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte aufweisen. Allerdings ist bei den ostdeutschen Bundesländern anzumerken, dass die Wohnungsmarktsituation nicht so angespannt ist wie in Berlin und den meisten westdeutschen Bundesländern und in der Regel die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen einen hohen Marktanteil haben und diese Unternehmen überwiegend zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stehen. Abbildung 26: Bestand an Sozialwohnungen 2021 nach Bundesländern je 1.000 Mieterhaushalte Hamburg Nordrhein-Westfalen Berlin Schleswig-Holstein Hessen Deutschland Rheinland-Pfalz Bayern Bremen Niedersachsen Brandenburg Thüringen Baden-Württemberg Sachsen Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorp. Saarland 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen Bei der Betrachtung der im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 neu geschaffenen Mietwohnungen (Abbildung 27) liegt wieder Hamburg – hier mit noch größerem Abstand – an der Spitze. Neben Berlin auf Rang 3 liegen aber auch die ostdeutschen Länder Sachsen-Anhalt (Rang 2), Thüringen (Rang 4) und Mecklenburg-Vorpommern (Rang 5) auf den vorderen Plätzen. Diese Länder haben über eine starke Modernisierungsförderung vor allem in den Jahren 2017 bis 2019 Belegungsbindungen geschaffen. So hat Sachsen-Anhalt in diesem Zeitraum im Vergleich zu Hamburg über die Modernisierungsförderung fast die dreifache Zahl an Sozialwohnungen geschaffen. Neben den bisher genannten Bundesländern liegt nur noch Bayern oberhalb des Bundesdurchschnitts von knapp 1,8 geschaffenen Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte und Jahr. Am unteren Ende finden sich mit weniger als einer geschaffenen Sozialwohnung je 1.000 Mieterhaushalte und Jahr Niedersachsen, Sachsen und das Saarland. 34 Abbildung 27: Schaffung von Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 nach Bundesländern Hamburg Sachsen-Anhalt Berlin Thüringen Mecklenburg-Vorp. Bayern Deutschland Nordrhein-Westfalen Schleswig-Holstein Hessen Bremen Brandenburg Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Sachsen Niedersachsen Saarland 0 1 2 3 4 5 6 7 8 geschaffene Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte im Ø von 2017 bis 2021 Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen Die Förderung erfolgt im sozialen Wohnungsbau klassisch über Zinssubventionen. Wegen der niedrigen Zinsen waren aber zusätzlich Zuschüsse erforderlich, um den Investoren einen wirtschaftlichen Anreiz zu bieten. Die Aufteilung der Förderung zeigt Abbildung 28. Abbildung 28: Förderung von Sozialwohnungen im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt Hamburg Bayern Schleswig-Holstein Berlin Deutschland Baden-Württemberg Rheinland-Pfalz Nordrhein-Westfalen Zuschussförderung Zinssubvention Brandenburg Hessen Niedersachsen Sachsen Thüringen Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorpommern Bremen Saarland 0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360 Zuschussf örderung und Zinssubvention f ür Sozialw ohnungen in € je Mieterhaushalt im Ø von 2017 bis 2020 Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen 35 Die Förderung war in den Bundesländern durchaus differenziert ausgestaltet. Während Hamburg sehr stark mit der Zuschussförderung gearbeitet hat, konzentrierte sich Schleswig-Holstein auf die Zinssubvention. Auch bei der Höhe der Förderung des sozialen Wohnungsbaus liegt Hamburg mit durchschnittlich 342 € je Mieterhaushalt unangefochten an der Spitze vor dem Freistaat Bayern mit 167 € je Mieterhaushalt. Schleswig-Holstein und Berlin liegen mit 143 bzw. 112 € je Mieterhaushalt noch über dem Bundesdurchschnitt von knapp 98 € je Mieterhaushalt. Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und das Saarland liegen mit weniger als 30 € Förderung je Mieterhaushalt am unteren Ende. In Abbildung 29 sind die von den Ländern ausgewiesenen Fördermittel (Zinssubventionen und Zuschüsse) den empfangenen Bundesmitteln gegenübergestellt. Die höchsten Anteile eigener Mittel an der Förderung weisen Hamburg, Bayern, Schleswig-Holstein und Berlin auf. Alle Bundesländer, bei denen die empfangenen Bundesmittel über die zugesagten Fördermittel hinausgehen, haben keine eigenen Mittel für den sozialen Wohnungsbau aufgewendet. Begründet wurde der „Nichteinsatz“ der Bundesmittel für den aktuellen sozialen Wohnungsbau in der Vergangenheit mit der „Bedienung von Altverpflichtungen“. Abbildung 29: Förderung von Mietsozialwohnungen und empfangene Bundesmittel im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt Hamburg Bayern Schleswig-Holstein Berlin Deutschland Baden-Württemberg Rheinland-Pfalz Nordrhein-Westfalen Förderung empfangene Bundesmittel Brandenburg Hessen Niedersachsen Sachsen Thüringen Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorpommern Bremen Saarland 0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360 zugesagte Förderung und empfangene Bundesmittel für Sozialwohnungen in € je Mieterhaushalt im Ø von 2017 bis 2020 Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen Zum Schluss der Länderbetrachtung wurden die empfangenen Bundesmittel in Abbildung 30 auf die Mieterhaushalte bezogen. Es ist sicher nicht zu bestreiten, dass von der gesamten Zuwanderung vor allem auf die Mietwohnungsmärkte betroffen sind, da Zuwanderer in der Regel zunächst als Mieter auftreten. Damit konzentriert sich die Wohnungsnachfrage der Zuwanderer auf die 22 Millionen Mietwohnungen. Die in ihrer 36 eigenen Wohnung oder ihrem eigenen Haus lebenden Haushalte haben dagegen keine Veränderungsnotwendigkeit, da die eigene Immobilie entweder schon vollständig entschuldet oder langfristig finanziert ist. Insofern wäre ein Ausbau des Mietwohnungsmarktes auch im Hinblick auf die längerfristig benötigte Zuwanderung zu forcieren. Eine Verteilung der Bundesmittel nach einem offensichtlich vor allem an der Einwohnerzahl orientierten Schlüssel scheint in dieser Situation wenig hilfreich. Abbildung 30: Empfangene Bundesmittel für Sozialwohnungen im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt Thüringen Brandenburg Saarland Mecklenburg-Vorpommern Sachsen Sachsen-Anhalt Niedersachsen Rheinland-Pfalz Deutschland Bayern Hessen Baden-Württemberg Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen Berlin Bremen Hamburg 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Empfangene Bundesmittel für Sozialwohnungen in € je Mieterhaushalt im Ø von 2017 bis 2020 Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen Insbesondere die Stadtstaaten schneiden in diesem Vergleich wegen der niedrigen Eigentumsquote besonders schlecht, was die Leistungen Hamburgs und Berlins im sozialen Wohnungsbau unterstreicht. Dagegen stellt sich durchaus die Frage, warum etwa das Saarland mit fast 90 € je Mieterhaushalt eine der höchsten Zuweisungen an Bundesmitteln je Mieterhaushalt bekommt, aber sowohl beim Bestand als auch bei der Schaffung von Sozialwohnungen eher am Ende der Skala liegt. Hier wäre es an der Zeit, die Vergabe der Mittel für den sozialen Wohnungsbau zu überdenken. 7.2 Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau Im Vergleich zu den im Januar und August 2022 ausgewiesenen Werten hat sich durch die inzwischen weiter gestiegenen Zinsen und die nochmals gestiegenen Baukosten der Förderungsbedarf im sozialen Wohnungsbau weiter erhöht. Die höheren Zinsen treiben auch den Anspruch der Investoren an die Eigenkapitalverzinsung nach oben, 37 was die Wirtschaftlichkeit zusätzlich belastet. Eine Aktualisierung der damaligen Berechnungen zeigen die Tabelle 6 und 7. Bereits in der Vergangenheit wurde ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz für den sozialen Wohnungsbau diskutiert. Die Wirkungen dieser Maßnahme auf den Subventionsbedarf zeigt die Tabelle 7. Je nach angestrebtem Energieeffizienzlevel werden heute zwischen 125.000 und 149.000 Euro je Wohnung benötigt. Für 100.000 Sozialwohnungen werden entsprechend Fördermittel in einer Größenordnung von 12,6 bis 14,9 Milliarden Euro benötigt. Gemäß der Verwaltungsvereinbarung über den sozialen Wohnungsbau stellen die Länder für die Förderung im Bereich des sozialen Wohnungsbaus Landesmittel im Umfang von mindestens 30 Prozent der in Anspruch genommenen Bundesmittel bereit. In Ländern, die auf dieser Basis sozialen Wohnungsbau betreiben, finanziert der Bund knapp 77 % des sozialen Wohnungsbaus. Insgesamt müsste der Bund, wenn die Länder 30 Prozent der Bundesmittel bereitstellen, zwischen 9,7 und 11,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau pro Jahr bereitstellen, um 100.000 Neubausozialwohnungen realisieren zu können. Tabelle 6: Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau bei unterschiedlichen Energieeffizienzstandards Herstellkosten (€/m²) zzgl. Grundstückskosten (€/m²-Wohnfläche)1) notwendige Kaltmiete (€/m²*Monat) Kosten für Energieeffizienztechnik (€/m²*Monat) soll-Miete (€/m²*Monat) Zielmiete (€/m²*Monat) Differenz soll-Miete - Zielmiete (€/m²*Monat) Subventionsbedarf (€/m²) bei 60 m² insgesamt (€ je Wohnung) insgesamt bei 100.000 Wohnungen in Mrd. € Quelle: ARGE Kiel; eigene Berechnungen Tabelle 7: GEG 3.257 450 23,00 0 23,00 6,5 16,50 2.092 125.529 12,6 EFF 70 3.329 450 23,44 0 23,44 6,5 16,94 2.147 128.835 12,9 EFF 55 3.451 450 24,18 0,5 24,68 6,5 18,18 2.304 138.237 13,8 EFF 40 3.597 450 25,06 1,0 26,06 6,5 19,56 2.479 148.740 14,9 Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau bei ermäßigtem Mehrwertsteuersatz (7%) und unterschiedlichen Energieeffizienzstandards Herstellkosten (€/m²) zzgl. Grundstückskosten (€/m²-Wohnfläche)1) notwendige Kaltmiete (€/m²*Monat) Kosten für Energieeffizienztechnik (€/m²*Monat) soll-Miete (€/m²*Monat) Zielmiete (€/m²*Monat) Differenz soll-Miete - Zielmiete (€/m²*Monat) Subventionsbedarf (€/m²) bei 60 m² insgesamt (€ je Wohnung) insgesamt bei 100.000 Wohnungen in Mrd. € Quelle: ARGE Kiel; eigene Berechnungen GEG 2.929 450 21,03 0 21,03 6,5 14,53 1.841 110.478 11,0 EFF 70 2.993 450 21,41 0 21,41 6,5 14,91 1.890 113.415 11,3 EFF 55 3.103 450 22,08 0,5 22,58 6,5 16,08 2.038 122.265 12,2 EFF 40 3.234 450 22,87 1,0 23,87 6,5 17,37 2.201 132.081 13,2 38 Die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf sieben Prozent reduziert den Subventionsbedarf auf gut 110.000 € bei Gebäuden nach dem Gebäudeenergiegesetz und 132.000 € beim Gebäude nach dem Effizienzhausstandard 40. Bei 100.000 Sozialwohnungen reduzieren sich die notwendigen Mittel für Bund und Länder auf 11,0 bis 13,2 Milliarden € je Jahr. Dies ist deutlich mehr, als in der laufenden Legislaturperiode für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen ist. Geht man davon aus, dass im Jahr 2022 etwa 20.000 Sozialwohnungen im Neubau errichtet wurden, so beträgt die Differenz zum Ziel der Koalition allein für dieses Jahr rund 80.000 Wohnungen. In den Jahren 2023 bis 2025 müssten somit 380.000 Sozialwohnungen gebaut werden, um das Ziel der Koalition zu erreichen. Den Subventionsbedarf zeigt Tabelle 8 für den Rest der Legislaturperiode. Tabelle 8: Subventionsbedarf zur Erreichung des Ziels der Bundesregierung des Neubaus von 400.000 Sozialwohnungen in der laufenden Legislaturperiode Subventionsbedarf für 100.000 Wohnungen in Mrd. € Subventionsbedarf der für die laufende Legislaturperiode noch fehlenden 380.000 Sozialwohnungen in Mrd. € GEG EFF 70 EFF 55 EFF 40 12,6 12,9 13,8 14,9 47,7 49,0 52,5 56,5 Quelle: eigene Berechnungen Geht man bei der Variante nach dem (bisherigen) GEG von einer Preissteigerung von 3 % je Jahr aus, so erhöht sich der Subventionsbedarf für die fehlenden 380.000 Sozialwohnungen und gleichmäßiger Verteilung auf die Jahre 2023 bis 2025 auf 50,8 Milliarden €. Wenn politisch ein höherer Effizienzstandard gewünscht wird, müssten die zusätzlichen Mittel aus dem zuständigen Wirtschaftsministerium kommen. Allerdings hat eine aktuelle Untersuchung13 aufgezeigt, dass ausgehend vom gegenwärtig hohen Niveau der Energiepreise selbst bei einer realen Verdopplung der Energiepreise bis zum Jahr 2045 Gebäude nach dem Gebäudeenergiegesetz (mit den bisherigen Anforderungen) sowohl individuell als auch volkswirtschaftlich eine höhere Wirtschaftlichkeit aufweisen. Um wichtige gesellschaftliche Projekte dem jährlichen Feilschen um Mittel zu entziehen, hat sich die Einrichtung von Sondervermögen bewährt, wie etwa bei der Bundeswehr oder dem Klimaschutz. Auch dem sozialen Wohnungsbau kommt aktuell eine sehr hohe Bedeutung zu. Neben dem Abbau der aktuellen Defizite brauchen wir Perspektiven für die hier lebenden Mieterhaushalte und für die, die in den kommenden Jahren zur Milderung unseres demografischen Problems zu uns kommen sollen. Auch das Thema Inklusion bedarf einer großen Initiative im Rahmen des sozialen 13 Hrsg.: DGFM -Service GmbH: Wohnungsneubau, THG-Emissionen, Energieverbrauch und Kosten im Lebenszyklus; Berlin, Dezember 2022 39 Wohnungsbaus. Und nicht zuletzt brauchen Bauwirtschaft und Baustoffhersteller Signale, dass der Staat an einer Kontinuität des Wohnungsbaus auf hohem Niveau interessiert ist. Insgesamt wäre es deshalb sinnvoll, dass Bund und Länder für die restliche Legislaturperiode ein Sondervermögen „Sozialer Wohnungsbau“ mit einer Ausstattung von 50 Milliarden € auflegen. 7.3 Wohngeld Zwar können auch Wohnungseigentümer Wohngeld (dann Lastenzuschuss genannt) beziehen, in erster Linie ist das Wohngeld aber eine Unterstützungsleistung für Mieter. So waren zum Jahresende 2021 knapp 94 Prozent der Bezieher von Wohngeld Mieter. Bisher bezogen knapp 600.000 Haushalte Wohngeld, was einer Quote von 1,5 Prozent aller Haushalte oder 2,7 Prozent aller Mieterhaushalte entspricht. Die Wohngeldreform soll die Zahl der Empfängerhaushalte auf 2 Millionen erhöhen und gleichzeitig auch das durchschnittlich bezogene Wohngeld individuell erhöhen. Nach den Angaben des Bauministeriums soll das Wohngeld bei den bisherigen Wohngeldbeziehern von durchschnittlich 180 € je Monat auf 370 € je Monat steigen. Daraus errechnen sich bereits für die bisherigen Wohngeldbezieher Mehrkosten in Höhe von gut 1,26 Milliarden €. Wenn die 1,4 Millionen zusätzlichen Wohngeldempfänger im Durchschnitt 200 € je Monat bekommen, belaufen sich die Kosten hierfür auf 3,36 Milliarden €. Insgesamt ist deshalb wohl eher mit einer Kostensteigerung von 1,4 auf rund 6 Milliarden € je Jahr zu rechnen. Bleibt es bei den Mehrkosten von 4,6 Milliarden € auch in den Jahren 2024 bis 2026, so belaufen sich diese „Konsumsubventionen“ in den vier Jahren 2023 bis 2026 auf insgesamt 18,4 Milliarden € - ohne dass dadurch eine neue Wohnung gebaut wird. Für den sozialen Wohnungsbau – der für den Neubau von Wohnungen steht - sind für diesen Zeitraum Bundesmittel von 12,5 Milliarden € vorgesehen. So wichtig die Wohngeldreform auch ist, gerade in einer Zeit hoher Wohnungsdefizite und absehbar weiterhin hoher Zuwanderungen benötigt Deutschland zusätzliche Wohnungen. Der Wohnungsbau insgesamt und vor allem der soziale Wohnungsbau ist in diesen Zeiten zu stärken. Bei einer unmittelbaren Konsumförderung des Wohnens (Kosten der Unterkunft in den Bereichen SGB II und Grundsicherung sowie das Wohngeld) in Höhe von künftig deutlich über 20 Milliarden € je Jahr sind die ab 2025 vorgesehenen Bundesmittel von 3,5 Milliarden € je Jahr für den sozialen Wohnungsbau geradezu bescheiden. Aber nur der soziale Wohnungsbau sorgt für Investitionen in neue Wohnungen. Die Konsumförderung geht letztlich an die Eigentümer bereits bestehender Wohnungen. 40 8 Fazit Die Bevölkerungsentwicklung war im Gegensatz zu den Erwartungen in den vergangenen 10 Jahren stark positiv und zum Jahresende 2022 werden in Deutschland rund 84,5 Millionen Menschen leben. Die starke Zuwanderung aus der Ukraine wurde begleitet von einem Wiederaufleben auch der Zuwanderungen aus anderen Krisengebieten wie Afghanistan, dem Irak, Syrien und inzwischen wohl auch dem Iran. Kurzfristige Rückwanderungen sind nicht zu erwarten. Erste Befragungen haben ergeben, dass zum aktuellen Stand etwa 30 Prozent der Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland bleiben wollen und die Erfahrungen aus den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien haben gezeigt, dass zwischen dem Hauptzuzug und der verstärkten Rückkehr in die Heimat etwa sechs Jahre lagen. Bei der Menschenrechtlage in vielen Ländern ist auch für die nähere Zukunft eher von einem hohen Niveau der Zuwanderung auszugehen. Eine hohe Zuwanderung ist mit Blick auf die Aufnahmefähigkeit unserer Arbeitsmärkte und dem absehbaren Ausscheiden der Baby-Boomer aus dem Erwerbsleben auch grundsätzlich kein Problem, sondern eher eine Notwendigkeit. Hier sind dringend Maßnahmen zur Qualifizierung und Integration der Zuwanderer, die bleiben wollen, erforderlich. Die Zuwanderung der vergangenen 15 Jahre hat zusammen mit der deutlichen Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht nur unseren aktuellen Wohlstand erhöht, sondern auch unser „Rentenproblem“ ein Stück weit entschärft. Der Wohnungsbedarf basiert demografisch auf der Entwicklung der Zahl an Erwachsenen und dem Haushaltsbildungsverhalten. Gegenwärtig ist von einer weiteren Zunahme der erwachsenen Bevölkerung und einer, wenn auch abgeschwächten, weiteren Reduzierung der durchschnittlichen Haushaltsgröße auszugehen. Entsprechend wird die Zahl der Haushalte weiter zunehmen. Die zweite Komponente des Wohnungsbedarfs liegt im Abbau der gegenwärtigen Wohnungsdefizite, die gerade im Jahr 2022 wieder auf etwa 700.000 Wohnungen angestiegen sind. Der dritte Aspekt des Wohnungsbedarf ist der qualitative Bedarf. Rund 10 Prozent des Wohnungsbestandes gelten als technisch/wirtschaftlich nicht sanierungsfähig und sollten bis 2045 ersetzt werden. In der Summe ergibt sich bis zum Jahr 2045 ein Wohnungsbedarf in einer Größenordnung von 350.000 bis 400.000 Wohnungen je Jahr. Das Wohnungsbauziel der Bundesregierung von 400.000 Wohnungen je Jahr ist zu unterstützen, da die Defizite auch im Hinblick auf benachteiligte Gruppen möglichst schnell abgebaut werden müssen. Nicht nur, aber besonders ist hier das Thema Inklusion hervorzuheben. Es reicht nicht, die UN-Behindertenrechtskonvention zu unterschreiben. Der Inklusionsgedanke muss beim Wohnen auch mit konkreten Maßnahmen hinterlegt werden. Gegenwärtig wird insbesondere ab 2024 ein erheblicher Einbruch beim Wohnungsbau befürchtet. Wenn dies eintritt, besteht die Gefahr, dass abgebaute Kapazitäten und Fachkräfte nicht wieder aufgebaut bzw. eingestellt werden können. Dem gilt es 41 angesichts der Aufgaben auch beim Klimaschutz entgegenzuwirken. Die Verstetigung des Wohnungsbaus muss als staatliche Aufgabe verstanden werden. Die Gestehungskosten (Investitionskosten) für Wohnraum in deutschen Großstädten liegen aktuell im Median bei ca. 4.900 €/m². Ein aktuell frei finanziert errichteter Wohnungsbau lässt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Kaltmiete von unter ca. 16,50 € nicht mehr zu. Besondere Kostentreiber sind die technischen Anforderungen, insbesondere für die Energieeffizienz, die Baulandpreise und regelmäßig zusätzliche, spezifische Standortanforderungen bei innerstädtischen Bauprojekten. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie (Störung der Lieferketten und Materialengpässe) sowie des Ukraine-Krieges (starke Materialengpässe und extreme Energiekostensteigerungen) wirken ebenfalls kosten- und preistreibend. Die Realisierungsdauer von Wohnungsbauvorhaben verlängert sich kontinuierlich seit Jahren. Das Segment des bezahlbaren/sozialen Wohnraums verlängert sich in seiner Realisierung drastischer als der Eigentumssektor. Der Median der Realisierungsdauer von Bauvorhaben bezahlbaren/sozialen Segment liegt mittlerweile bei fast 60 Monaten. Die Realeinkommen sind im Jahr 2022 gesunken und auch für 2023 gehen viele Experten von einer leichten Absenkung aus. Auch für die Jahre danach wird sich die Ausweitung der Konsummöglichkeiten in Grenzen halten, da die Investitionserfordernisse zur Erreichung der Klimaziele, aber auch zur Anpassung an bereits eingetretene Folgen des Klimawandels enorm sein werden. Trotz aller Entlastungspakete hat die Preisentwicklung gerade Haushalte mit niedrigen Einkommen stark belastet. Im Zuge dieser Entwicklung ist von einer weiteren Verteuerung des Wohnens auszugehen. In den kommenden Jahren werden sich bei einem weiteren Anstieg der Preise und Verschiebungen der relativen Preise möglicherweise auch die Konsumpräferenzen der Bevölkerung verändern. Trotz aller Belastungen ist Deutschland nach wie vor eines der reichsten Länder der Welt, in dem eine Zunahme der relativen Armut kaum hinnehmbar ist. Wenn heute rund jeder fünfte im Seniorenalter weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens hat, werden damit auch Grundbedürfnisse wie das Wohnen und der Nahrungskauf für diesen Teil der Senioren tangiert. Die Dringlichkeit der Schaffung von sozialen und bezahlbaren Wohnungen hat angesichts der demografischen Entwicklung und der Einkommensentwicklung nochmals zugenommen. Die Gefahr des sozialen „Abrutschens“ vieler Haushalte ist akut und die Versorgung mit Wohnraum nicht mehr zu gewährleisten, wenn sich der Staat – und damit sind Bund, Länder und Kommunen gemeint – nicht stärker engagieren. Das Dach über dem Kopf ist zentral für gesellschaftliche Teilhabe und diese ist vom Staat für alle hier lebenden Menschen sicherzustellen. Nur wenige Bundesländer, hervorzuheben sind Hamburg, Bayern, Schleswig-Holstein und Berlin, haben ihre Aufgaben in diesem Bereich bisher vorbildlich wahrgenommen. Die stark an der Einwohnerzahl orientierte Verteilung der Bundesmittel ist zu hinterfragen. 42 Wegen der Bedeutung des Wohnens zur Wahrung des sozialen Friedens wie auch zur Steigerung der Attraktivität für die weiterhin dringend benötigten Zuwanderer wäre die Initiierung eines Sondervermögens von zunächst 50 Milliarden € für den Rest der Legislaturperiode zu empfehlen. Mit diesem von Bund und Ländern zu finanzierenden Sondervermögen kann der Bau von 380.000 Sozialwohnungen – vom den 400.000 als Ziel der Bundesregierung gesetzten neuen Sozialwohnungen in der laufenden Legislaturperiode dürften bisher erst rund 20.000 Wohnungen errichtet sein – erreicht werden, wenn nach dem Standard des Gebäudeenergiegesetzes gebaut wird. Jede Erhöhung der Anforderungen an die Gebäude und Wohnungen erhöht auch den Subventionsbedarf. Dies wäre ein starkes Signal für alle Wohnungssuchenden. Aber auch die Bauwirtschaft benötigt die Sicherheit eines Mindestmaßes an Kontinuität, um die vorhandenen Kapazitäten und Fachkräfte zu halten. 43
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