Bauen und Wohnen in der Krise
Aktuelle Entwicklungen und Rückwirkungen auf
Wohnungsbau und Wohnungsmärkte
beauftragt vom
Verbändebündnis
„Soziales Wohnen“
erstellt durch
Pestel Institut gGmbH
Hannover
Arbeitsgemeinschaft für
zeitgemäßes Bauen e. V.
Kiel
Hannover, Januar 2023
i
CBP
BDB
DMB
DGFM
IG BAU
Auftraggeber:
Verbändebündnis
SOZIALES WOHNEN
Koordination
Deutsche Gesellschaft für Mauerwerksund Wohnungsbau e. V. (DGfM)
Dr. Ronald Rast
DGfM-Geschäftsführer
Kochstraße 6-7
10969 Berlin
Tel.: 030 / 25 35 96 - 40
Fax: 030 / 25 35 96 - 45
E-Mail: mail@dgfm.de
Homepage: www.dgfm.de
Verantwortlich für den Inhalt:
Matthias Günther
Pestel Institut gGmbH
Gretchenstraße 7
30161 Hannover
Tel. 0511 / 99094-20
E-Mail: guenther@pestel-institut.de
ii
Inhalt
Seite
1
Ausganglage und Ziele
1
2
2.1
2.2
2.3
Bevölkerungsentwicklung
Geburten und Sterbefälle
Wanderungen über die Bundesgrenze
Künftige Bevölkerungsentwicklung
2
3
4
10
3
3.1
3.2
3.3
3.4
3.5
Wohnungsbedarf
Ausgangssituation zur Berechnung des Wohnungsbedarfs
Demografischer Wohnungsbedarf
Wohnungsbedarf benachteiligte Gruppen
Qualitativer Wohnungsbedarf
Wohnungsbedarf insgesamt
11
11
13
15
18
22
4
Entwicklung des Wohnungsbaus
23
5
Kostenentwicklung; Baupreise, Bau(werks)kosten und Kostenstand
im deutschen Wohnungsbau (Beitrag der ARGE Kiel)
25
6
Preisentwicklung, Einkommen, Armut
30
7
7.1
7.2
7.3
Förderung im sozialen Wohnungsbau
Betrachtung auf Bundes- und Länderebene
Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau
Wohngeld
33
33
37
40
8
Fazit und sinnvolle Maßnahmen
41
Abbildungen, Tabellen
Abbildung 1
Abbildung 2
Abbildung 3
Abbildung 4
Abbildung 5
Abbildung 6
Abbildung 7
Abbildung 8
Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1995 bis 2022
2
Wanderungssalden Deutschlands gegenüber dem Ausland
jeweils von Januar bis September in den Jahren 2008 bis 2022 4
Wanderungssalden der Kreise und kreisfreien Städte 2021
und im ersten Halbjahr 2022
5
Wanderungssalden Deutschlands gegenüber verschiedenen
Regionen von 2000 bis 2021
6
Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in
Deutschland bis 2022 (jeweils Juni des Jahres)
8
Durchschnittliche Jahrgangsstärke der „18- bis unter
23-Jährigen“ und „62- bis unter 67-Jährigen von 1991 bis 2050
ohne Wanderungsgewinne ab 2023
9
Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1990 bis 2022
und im Szenario bis 2045
11
Wohnungsmarktsituation in den Kreisen und kreisfreien
Städten bei einer Nettozuwanderung 2022 von 1,2 bzw.
iii
Abbildung 9
Abbildung 10
Abbildung 11:
Abbildung 12:
Abbildung 13:
Abbildung 14
Abbildung 15
Abbildung 16
Abbildung 17
Abbildung 18
Abbildung 19
Abbildung 20
Abbildung 21
Abbildung 22
Abbildung 23
Abbildung 24
Abbildung 25
Abbildung 26
1,5 Millionen Personen
12
Wohnungsdefizit in Deutschland 2022 in Abhängigkeit vom
Wanderungsgewinn
13
Haushaltsentwicklung in Deutschland bis 2045 bei leicht
abgeschwächter Haushaltsverkleinerung
14
Entwicklung der Zahl an Schwerbehinderten nach Altersgruppen in Deutschland bis 2021 sowie in der Projektion bis 2049 15
Anteil der bereits eigenständig wohnenden Personen mit
Bezug von Eingliederungshilfe ab 18 Jahren
17
Emissionsminderungsziele des Klimaschutzgesetzes
18
Wohnungsbestand nach Baualtersklassen in Deutschland
Ende 2022
19
Wohnungsbedarfsentwicklung in Deutschland ab 2023 bei
einem Abbau des „Zusatzdefizits 2022“ bis 2026
19
Genehmigte Wohnungen durch Maßnahmen im Bestand bei
Wohn- und Nichtwohngebäuden
21
Entwicklung der Bauwerkskosten im Wohnungsneubau
(Destatis-Preisindex/ARGE-Kostenindex, Bezug:
TypengebäudeMFH) unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer im Vergleich zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten;
Zeitraum: 1. Quartal 2000 bis 3. Quartal 2023 sowie
prognostiziert für das 2. Quartal 2023
23
Entwicklung der Bauwerkskosten im Wohnungsneubau
(ARGE-Kostenindex, Bezug TypengebäudeMFH) unter
Berücksichtigung der Mehrwertsteuer, differenziert nach
übergeordneten Leistungsbereichen unter Nennung der
Baunebenkosten; Zeitraum: 1. Quartal 2000 bis 3. Quartal
2022; Kostenangaben in Euro je Quadratmeter Wohnfläche
24
Volatile Preisentwicklung von einigen Baumaterialien zwischen
dem 3. Quartal 2020 bis zum 2. Quartal 2021
25
Preisentwicklung von einigen Baumaterialien zwischen
August 2021 bis zum August 2022
26
Zusammenfassende Darstellung der festgestellten Herstellungskosten in deutschen Großstädten sowie der Grundstückskosten
mit prozentualer Aufschlüsselung nach Kostengruppen (Medianwerte); Bezug: Geschoßwohnungsneubau; Kostenstand
09/2022, Angaben in Euro je Quadratmeter Wohnfläche, inkl.
Mehrwertsteuer (Bruttokosten)
27
Entwicklung der Brutto-Bauzeit - Realisierungsdauer von Bauvorhaben des Sozialen/Bezahlbaren Wohnraums und des
Eigentumssektors (“Gehobenes Segment“), Betrachtungszeitraum 2014 bis 2022
28
Preisindizes für Energieträger von Januar 2015 bis
September 2022
30
Sozialwohnungsbestand und armutsgefährdete Bevölkerung in
Deutschland bis 2021
31
Armutsgefährdungsquote der „18- bis unter 65-Jährigen“ und
der „65-Jährigen und Älteren“ in den Jahren 2020 und 2021 32
Bestand an Sozialwohnungen 2021 nach Bundesländern
je 1.000 Mieterhaushalte
34
iv
Abbildung 27: Schaffung von Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte im
Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 nach Bundesländern
35
Abbildung 28: Förderung von Sozialwohnungen im Durchschnitt der Jahre 2017
bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt
35
Abbildung 29: Förderung von Mietsozialwohnungen und empfangene
Bundesmittel im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020
nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt
36
Abbildung 30: Empfangene Bundesmittel für Sozialwohnungen im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 nach Bundesländern in
EURO je Mieterhaushalt
37
Tabelle 1
Tabelle 2
Tabelle 3
Tabelle 4
Tabelle 5
Tabelle 6:
Tabelle 7:
Tabelle 8:
Geburten und Sterbefälle in Deutschland von 2011 bis 2022
jeweils in der Summe der Monate Januar bis September
Wanderungssalden Deutschlands gegenüber verschiedenen
Regionen in der Summe der Jahre 2000 bis 2021
Erwerbstätigenquote*) 2021 nach ausgewählten
Staatsangehörigkeiten
Wohnungsbau in Deutschland seit 2012
Schaffung von Sozialwohnungen sowie der
Sozialwohnungsbestand und seine Veränderung
Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau bei
unterschiedlichen Energieeffizienzstandards
Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau bei ermäßigtem
Mehrwertsteuersatz (7%) und unterschiedlichen EnergieEffizienzstandards
Subventionsbedarf zur Erreichung des Ziels der
Bundesregierung des Neubaus von 400.000 Sozialwohnungen
in der laufenden Legislaturperiode
3
7
9
20
33
38
38
39
v
1
Ausganglage und Ziele
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine dauert inzwischen bereits mehr als neun
Monate und ein Ende ist nicht absehbar. Die Zerstörungen von Infrastruktur und Wohngebäuden in der Ukraine haben sich in den letzten Wochen verstärkt und eine schnelle
Rückkehr der Flüchtlinge erscheint kaum möglich. Bei den Flüchtlingen vor den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien zu Beginn der 1990-er-Jahre lag zwischen den sehr
hohen Zuzugszahlen nach Deutschland und der auch wanderungsseitig spürbaren
Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat eine Zeitspanne von fünf bis sechs Jahren.
Viele der Flüchtlinge sind aber auch dauerhaft in Deutschland geblieben. Auf eine ähnliche Entwicklung muss sich Deutschland auch bei den Flüchtlingen aus der Ukraine
einstellen. Dabei sollte das im Jahr 2015 bei der damaligen Zuwanderung formulierte
politische Ziel, dass Flüchtlinge spätestens nach einem Jahr in Wohnungen leben sollen, auch heute weiter Anwendung finden.
Die zu Beginn des Krieges sehr hohe Bereitschaft zur privaten Aufnahme von Flüchtlingen stößt immer mehr an Grenzen. In den privaten WGs, von vielen Aufnehmenden
für vielleicht zwei bis drei Monate gedacht, brechen Konflikte auf und die Kommunen
werden zunehmend aufgefordert, Wohnmöglichkeiten für die Flüchtlinge zu bieten.
Neben dieser unmittelbaren Erhöhung der Nachfrage nach Wohnungen wurde auch
die Nachfrage nach Infrastruktur vor allem für die zahlreichen Kinder unter den Flüchtlingen deutlich gesteigert. Parallel dazu hat der Krieg zu wirtschaftlichen Verwerfungen
geführt, die die wirtschaftlichen Aktivitäten und das Leben der Bürger in Deutschland
beeinträchtigen. Zu nennen sind insbesondere die Preisentwicklungen für Energie und
Lebensmittel, aber auch für viele andere bisher zumindest teilweise aus der Ukraine
oder Russland gelieferte Rohstoffe und Produkte. Insgesamt wird die im Jahr 2022 mit
einem vorläufigen Wert von 7,9 Prozent höchste Inflationsrate seit Bestehen der Bundesrepublik zu deutlichen Realeinkommensverlusten der Bevölkerung führen. Der
Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) geht davon aus, dass künftig 60 Prozent der Haushalte ihre gesamten Einkünfte oder mehr für die reine Lebenshaltung
einsetzen müssen, während dies vor einem Jahr nur 15 Prozent der Haushalte waren.
In den letzten Monaten hat die Bundesregierung bereits Entlastungen der Bürger beschlossen und umgesetzt (z. B. Tankrabatt, Neuneuroticket und die einmalige Energiepauschale von 300 Euro für Erwerbstätige) sowie die Gas- und Strompreisbremse
beschlossen und inzwischen auch Entlastungen für mit anderen Brennstoffen heizende Haushalte angekündigt.
Insgesamt drängt die Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen weiterer Entlastungen der Bürger bezüglich der künftigen Energieversorgung viele andere wichtige
Fragen derzeit in den Hintergrund. Zu diesen anderen wichtigen Fragen zählt auch die
weitere Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus. Ein Wohnungsbau von 400.000
Wohnungen je Jahr insgesamt steht immer noch ebenso auf der Agenda der Regierung wie die Schaffung von 100.000 Sozialwohnungen je Jahr. Konkrete Maßnahmen
zur Erreichung dieser Ziele sind bisher jedoch nicht erkennbar.
1
Vor diesem Hintergrund liefert diese Untersuchung eine aktuelle Aufarbeitung der
jüngsten Entwicklungen und leitet notwendige Maßnahmen im Bereich des Wohnens
ab.
2
Bevölkerungsentwicklung
Die Wohnungsnachfrage geht von den privaten Haushalten aus und die Zahl der privaten Haushalte resultiert aus dem Haushaltsbildungsverhalten und der Zahl erwachsener Menschen. Insofern stellt die Bevölkerungsentwicklung die Basis von Wohnungsbedarf und Wohnungsnachfrage dar. Die Entwicklung der Einwohnerzahl in
Deutschland von 1995 bis 2022 zeigt Abbildung 1. Die Entwicklung des Jahres 2022
wurde auf der Basis der Daten bis Ende September geschätzt.
Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1995 bis 2022
Einwohner
(1.000 Personen)
Geburten, Sterbefälle,
Wanderungssaldo (1.000 Personen)
85.000
1800
84.500
84.000
1600
Einwohner
Sterbefälle
Geburten
Wanderungssaldo
1400
83.500
1200
83.000
1000
82.500
800
82.000
600
81.500
400
81.000
200
80.500
0
80.000
-200
1996
1998
2000
2002
2004
2006
2008
2010
2012
2014
2016
2018
2020
2022
Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Schätzung
Nach einer Stagnationsphase von 1995 bis 2005 sank die Einwohnerzahl bis 2011 auf
einen zwischenzeitlichen Tiefstand von knapp 80,5 Millionen Personen. Anschließend
stieg die Einwohnerzahl an und Ende 2022 dürften knapp 84,5 Millionen Menschen in
Deutschland leben. Die Komponenten der Bevölkerungsveränderung – Geburten,
Sterbefälle und Wanderungsbilanz – sind in der Abbildung ebenfalls ausgewiesen. Die
Zahl der Sterbefälle lag in allen Jahren über der Zahl der Geburten. Dieser Bevölkerungsverlust wurde über Wanderungsgewinne mehr als ausgeglichen.
2
2.1
Geburten und Sterbefälle
Die Entwicklung von Geburten und Sterbefällen jeweils in der Summe der Monate Januar bis September zeigt Tabelle 1 für die Jahre von 2011 bis 2022.
Tabelle 1:
Jahr
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
2021
2022
Geburten und Sterbefälle in Deutschland von 2011 bis 2022 jeweils
in der Summe der Monate Januar bis September
Geburten
502.835
508.836
516.774
539.398
555.857
595.508
594.345
600.589
590.709
586.907
602.485
552.328
Sterbefälle
629.973
645.862
676.443
640.915
702.336
673.509
700.437
725.074
700.807
711.010
741.521
765.313
Sterbeüberschuss
-127.138
-137.026
-159.669
-101.517
-146.479
-78.001
-106.092
-124.485
-110.098
-124.103
-139.036
-212.985
Quelle: Statistisches Bundesamt
Während im Jahr 2022 die Geburten der ersten neun Monate auf den niedrigsten
Stand seit 2014 gefallen sind, erreichten die Sterbefallzahlen den höchsten Wert im
betrachteten Zeitraum. In der Konsequenz erreichte der Sterbeüberschuss mit knapp
213.000 Personen in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 einen Rekordwert.
Entsprechend ist auch für das Gesamtjahr 2022 von einem stark negativen Saldo zwischen Geburten und Sterbefällen auszugehen.
Für die Modellrechnungen wird annähernd die mittlere Variante der 15. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes1 angesetzt. Diese
Variante bezieht den Rückgang der Geburtenhäufigkeit im Jahr 2022 ein und steigert
die zusammengefasste Geburtenziffer bis 2032 auf 1,55 Kinder je Frau. Parallel dazu
soll das durchschnittliche Alter der Mütter bei Geburt um gut ein Jahr ansteigen.
Auch bei der Sterblichkeit orientiert sich der Modellrechnungsansatz an der mittleren
Variante der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Die Lebenserwartung
bei der Geburt steigt danach bis 2070 um 6,0 Jahre bei Männern und 4,8 Jahre bei
Frauen.
1
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsvorausberechnung/begleitheft.html?nn=208696#geburtenh%C3%A4ufigkeit
3
2.2
Wanderungen über die Bundesgrenze
Bei den stetigen Bevölkerungsverlusten durch den natürlichen Saldo kommt den Wanderungen über die Bundesgrenze eine umso höhere Bedeutung für die Stabilisierung
oder Steigerung der Einwohnerzahl zu. Bisher liegen für das Jahr 2022 die vorläufigen
Wanderungsdaten bis zum September vor. Im Vergleich zu den Jahren seit 2008 zeigt
Abbildung 2 die Entwicklung der Wanderungssalden jeweils in der Summe der Monate Januar bis September.
Abbildung 2: Wanderungssalden Deutschlands gegenüber dem Ausland jeweils von Januar bis September in den Jahren 2008 bis 2022
1300
1.000 Personen
1200
1100
1000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
2021
2022
Quelle: Statistisches Bundesamt
Mit einem Wanderungsgewinn in Höhe von 1,25 Millionen Personen in den ersten
neun Monaten nimmt das Jahr 2022 eine herausragende Position ein. Selbst im Vergleich zum Jahr 2015 lag der Wanderungsgewinn um mehr als 0,5 Millionen Personen
höher. Betrachtet man die einzelnen Monate, so war im Juli mit knapp 65.600 Personen der niedrigste Stand seit März erreicht. In den Monaten August und September
stiegen die Wanderungsgewinne dann wieder auf 83.300 bzw. 93.900 Personen. Angesichts des bevorstehenden Winters und der wieder stärkeren Zuwanderungen aus
Ländern wie Afghanistan, Syrien und dem Irak ist in Richtung Gesamtjahr 2022 von
einem Wanderungsgewinn von ca. 1,5 Millionen Personen auszugehen.
Auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte zeigt Abbildung 3 den Vergleich zwischen dem Wanderungsgewinn des Gesamtjahres 2021 und dem des ersten Halbjahres 2022.
4
Abbildung 3: Wanderungssalden der Kreise und kreisfreien Städte 2021 und
im ersten Halbjahr 2022
LK Rostock
LK Rostock
LK Mecklenburgische Seenplatte
SK Hamburg
LK Emsland
LK Diepholz
LK Emsland
LK Altmarkkreis Salzwedel
Region Hannover
LK Mecklenburgische Seenplatte
SK Hamburg
LK Diepholz
LK Altmarkkreis Salzwedel
Region Hannover
SK Berlin
SK Berlin
SK Münster
SK Münster
LK Borken
LK Borken
LK Harz
LK Märkischer Kreis
LK Harz
LK Paderborn
LK Paderborn
LK Märkischer Kreis
SK Leipzig
LK Waldeck-Frankenberg
SK Leipzig
LK Waldeck-Frankenberg
SK Dresden
SK Dresden
LK Vogelsbergkreis
LK Vogelsbergkreis
LK Euskirchen
LK Euskirchen
Wanderungsgwinn 1. Halbjahr
Wanderungsgwinn
2022 in Promille
2021 in Promille
LK Main-Spessart
LK Main-Spessart
<0
<0
<4
<4
<8
<8
< 12
< 12
>= 12
>= 12
LK Schwäbisch Hall
LK Schwäbisch Hall
LK Kelheim
LK Kelheim
SK Stuttgart
SK Stuttgart
LK Rottal-Inn
LK Ortenaukreis
SK Freiburg i.Breisgau
SK München
LK Rottal-Inn
LK Ortenaukreis
SK Freiburg i.Breisgau
SK München
Quelle: Statistisches Bundesamt, statistische Ämter der Bundesländer
Im Jahr 2021 zeigten sich bei einem Wanderungsgewinn von 316.500 Personen deutlich Differenzen zwischen den Regionen. Im ersten Halbjahr 2022 war die Zuwanderung dann aber derart hoch, dass sich alle Regionen an der Aufnahme beteiligen
mussten.
5
Die Wanderungsgewinne gegenüber verschiedenen Ländern und Regionen zeigt Abbildung 4 für die Zeit von 2000 bis 2021. Nach einer insgesamt weitgehend ausgeglichenen Wanderungsbilanz bis 2009 zogen mit der aufkommenden wirtschaftlichen Dynamik nach der Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise zunächst die Zuwanderungen aus der übrigen EU deutlich an. In den Jahren 2014 bis 2016 wurden diese
Wanderungsgewinne durch die Fluchtbewegungen aus Afghanistan, dem Irak und vor
allem Syrien noch erheblich verstärkt. Während sich anschließend die Flüchtlingszuwanderungen erheblich abschwächten, blieben die Wanderungsgewinne gegenüber
der übrigen EU und dem übrigen Europa bis zum ersten Corona-Jahr 2000 auf einem
Niveau von 200.000 bis 300.000 Personen je Jahr. Ab 2016 haben sich erhebliche
Abwanderungen in der Kategorie „unbekannt/ungeklärt/ohne Angabe“ eingestellt. Von
2016 bis 2021 haben knapp 390.000 Deutschland mit unbekanntem Ziel verlassen.
Insgesamt belief sich der Wanderungsgewinn vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2021 auf
6,05 Millionen Menschen. Über 80 Prozent des Wanderungsgewinns entfiel auf die
Zeit von 2011 bis 2021.
Abbildung 4: Wanderungssalden Deutschlands gegenüber verschiedenen Regionen von 2000 bis 2021
1.200
1.100
1.000
900
800
700
600
500
1.000 Personen
Osteuropa EU
Balkan (ehem. Jugoslaw ien + Albanien)
Russische Förderation, Weißrussland
Ukraine
Türkei
übr. Europa
Syrien, Irak, Afghanistan
China
übr. Asien
Amerika
Afrika
Australien, Ozeanien
unbekannt/ungeklärt/ohne Angabe
400
300
200
100
0
-100
-200
2001
2003
2005
2007
2009
2011
2013
2015
2017
2019
2021
Quelle: Statistisches Bundesamt
6
Die Verteilung des Wanderungsgewinns insgesamt auf verschiedene Regionen zeigt
Tabelle 2. Aus den osteuropäischen Mitgliedsländern der EU zogen im betrachteten
Zeitraum 2,28 Millionen Menschen mehr nach Deutschland als von Deutschland in
diese Länder zogen. Aus der übrigen EU (noch einschl. Großbritannien) gewann
Deutschland durch die Wanderungen gut 400.000 Personen, aus den Nicht-EU-Balkanstaaten 402.000 Personen, aus der Russischen Föderation und Weißrussland
476.000 Personen, aus der Ukraine 163.000 Personen und aus der Türkei 124.000
Personen. An die übrigen europäischen Staaten – vor allem an die Schweiz - verlor
Deutschland durch die Wanderungen knapp 228.000 Personen. Von dem gesamten
Wanderungsgewinn seit dem Jahr 2000 entfielen damit gut 44 Prozent auf die EU und
weitere knapp 16 Prozent auf das übrige Europa.
Tabelle 2:
Wanderungssalden Deutschlands gegenüber verschiedenen Regionen in der Summe der Jahre 2000 bis 2021
Region
Zuzüge
Fortzüge
Osteuropa EU
8.639.070 6.363.026
übrige EU
3.985.199 3.584.419
Balkan (ehem. Jugoslawien plue Albanien ohne EU-Mitglieder)
1.253.824
850.890
Russische Föderation, Weißrussland
788.482
312.389
Ukraine
286.436
123.055
Türkei
862.465
738.261
übriges Europa
697.528
925.086
Europa
16.513.004 12.897.126
Syrien, Irak, Afghanistan
1.301.189
155.467
China
411.186
292.271
übriges Asien
2.077.579 1.190.302
Asien
3.789.954 1.638.040
USA
587.625
618.268
übriges Amerika
627.465
479.413
Amerika
1.215.090 1.097.681
Afrika
944.075
534.083
Australien/Ozeanien
120.412
131.742
unbekannt/ungeklärt/ohne Angabe
872.944 1.319.476
Summe
23.455.479 17.618.148
Saldo
absolut
in v.H.
2.276.044
37,6
400.780
6,6
402.934
476.093
163.381
124.204
-227.558
3.615.878
1.267.844
117.240
988.580
2.373.664
-26.480
170.626
144.146
455.923
-11.297
-530.547
6.047.767
6,7
7,9
2,7
2,1
-3,8
59,8
21,0
1,9
16,3
39,2
-0,4
2,8
2,4
7,5
-0,2
-8,8
100,0
Quelle: Statistisches Bundesamt
Gut 39 Prozent der Wanderungsgewinne kamen aus Asien, 2,4 Prozent aus Amerika
und 7,5 Prozent aus Afrika. Wanderungsverluste gab es gegenüber Australien und
Ozeanien und vor allem an „unbekannte“ Länder. Da in der EU recht strikte Vorschriften für die Aufnahme von Flüchtlingen gelten (u.a. die Speicherung von Fingerabdrücken), dürfte es sich bei den Abwanderungen „nach unbekannt“ zu einem erheblichen
7
Teil um die Rückkehr Ausreisepflichtiger in ihre Heimatländer handeln. So stieg im
Jahr 2015 nicht nur der Wanderungsgewinn aus Syrien stark an, sondern auch aus
Afghanistan, dem Irak und dem Iran stiegen die Nettozuwanderungen gegenüber 2014
um gut 153.000 Personen. Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich im Wanderungsaustausch mit Albanien, dem Kosovo und Nordmazedonien. Gegenüber diesen drei Ländern stieg der Wanderungsgewinn 2015 um knapp 50.000 Personen.
Insgesamt lässt sich festhalten: Die in den Medien oft im Vordergrund stehenden Zuwanderungen von Flüchtlingen sind in der Gesamtbilanz zwar wichtig, bleiben aber
hinter den Zuwanderungen aus Europa deutlich zurück. Angesichts der Altersstruktur
der Bevölkerung in Deutschland und dem Arbeitskräftemangel sind Wanderungsgewinne für Deutschland unerlässlich.
Die Aufnahmefähigkeit der Arbeitsmärkte in Deutschland dokumentiert Abbildung 5.
Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort erreichte im Juni
2022 mit gut 33,4 Millionen einen neuen Höchstwert – trotz Corona und Krieg in der
Ukraine.
Abbildung 5: Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in
Deutschland bis 2022 (jeweils Juni des Jahres)
sozialversichrungspflichtig Beschäftigte
Beschäftigte Am Arbeitsort
40000000
35000000
30000000
25000000
20000000
15000000
10000000
5000000
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
2021
2022
0
Jahr
Quelle: Bundesagentur für Arbeit
Die seit 2005 laufende Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse wird gegenwärtig nicht von einem zu geringen Angebot an Arbeitsplätzen,
sondern durch die unzureichende Verfügbarkeit von Arbeitskräften limitiert. Und ein
Blick auf die demografische Entwicklung zeigt, dass diese Arbeitskräftemangellage
sich in den kommenden Jahren eher verschärfen wird. Die Entwicklung der „18- bis
unter 23-Jährigen“ und der „62- bis unter 67-Jährigen“ zeigt Abbildung 6.
8
Abbildung 6: Durchschnittliche Jahrgangsstärke der „18- bis unter 23-Jährigen“ und „62- bis unter 67-Jährigen von 1991 bis 2050 ohne
Wanderungsgewinne ab 2023
1400
1300
1200
1100
1000
900
800
700
600
500
400
300
200
100
0
1.000 Personen
5,9 Millionen Personen
fehlen bis 2035
Ø-Jahrgangsstärke der 18- bis unter 23-Jährigen
Ø-Jahrgangsstärke der 62- bis unter 67-Jährigen
1991 1995
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Schätzung
Allein bis 2035 sinkt die Zahl der Erwerbsfähigen um fast 6 Millionen Personen, wenn
die Zuwanderung ausbleibt. Eine weitere Steigerung der Frauenerwerbsquote und ein
weiteres hinausschieben des tatsächlichen Ruhestandseintritts wird nicht ausreichen,
das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge der 1960-er-Jahre zu kompensieren.
Allerdings kommen auch über die Zuwanderung nicht nur Erwerbstätige nach Deutschland. So waren von den gut 1,32 Millionen aus dem Ausland Zugezogenen 14,1 Prozent Angehörige der Altersgruppen „bis unter 15 Jahre“ und „65 Jahre und älter“. Zudem liegt auch die Erwerbstätigenquote der Zuwanderer im erwerbsfähigen Alter nicht
bei 100 Prozent, sondern deutlich darunter, wie Tabelle 3 zeigt.
Tabelle 3:
Land
Polen
Deutschland
Rumänien
Bulgarien
Ukraine
Afghanistan
Syrien
Erwerbstätigenquote*) 2021 nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten
Erwerbstätigenquote
78,0
75,8
75,1
64,1
63,5
45,2
35,1
Quelle: Statistisches Bundesamt (Pressemitteilung Nr. N 069 vom 29. November 2022
*) Bevölkerung in Deutschland im Alter von 15 bis unter 65 Jahren
9
Bei einer Quote von 86 Prozent erwerbsfähigen Zuwanderern (in der Definition des
Statistischen Bundesamtes die „15- bis unter 65-Jährigen) muss der Wanderungsgewinn mindestens 6,9 Millionen Personen (570.000 Personen je Jahr) bis 2035 betragen, um den alterungsbedingten Verlust an Erwerbsfähigen zu ersetzen. Da allerdings
nach Tabelle 3 nur die in Deutschland lebenden Polen und Rumänen etwa die Erwerbstätigenquote Deutschlands aufweisen, wird die Zuwanderung tendenziell höher
liegen müssen und Deutschland wird die Anstrengungen der Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt erheblich verstärken müssen. Denn gerade die bisher wichtigen EU-Herkunftsländer von Zuwanderern Bulgarien, Polen und Rumänien haben
eigene demografische Probleme mit einem erheblichen Rückgang der Geburtenhäufigkeit nach der osteuropäischen Wende und entsprechend geringen Jahrgangsstärken bei jungen Menschen, die potenziell nach Deutschland zuwandern könnten.
2.3
Künftige Bevölkerungsentwicklung
Eine hohe Zuwanderungsnotwendigkeit ist für Deutschland kaum zu bestreiten. Allerdings stellt sich die Frage nach der Integrationsfähigkeit Deutschlands, zumal nicht
davon ausgegangen werden kann, dass weiterhin aus den übrigen EU-Ländern, deren
Einwohner gut integriert werden können, die meisten Zuwanderer für Deutschland zur
Verfügung stehen. Denn gerade die osteuropäischen EU-Länder weisen ebenfalls seit
langer Zeit niedrige Geburtenraten auf und haben entsprechend wenig junge Erwerbsfähige.
In der Modellrechnung haben wir einen jährlichen Wanderungsgewinn von 330.000
Personen je Jahr angesetzt. Das Ergebnis der Modellrechnung zeigt Abbildung 7. Die
Einwohnerzahl wird bei der angesetzten Zuwanderung bis etwa 2035 nach moderat
bis auf knapp 85 Millionen Personen ansteigen. Anschließend übersteigt der Sterbeüberschuss den Wanderungsgewinn und die Einwohnerzahl sinkt bis 2045, dem Endjahr der Betrachtung, leicht ab.
Die Zahl der Erwerbsfähigen, hier definiert als „18-Jährige bis Regelaltersgrenze“,
sinkt in diesem Szenario bis Ende der 2030-er-Jahre um rund 3,3 Millionen Personen
ab und steigt danach wieder leicht um 400.000 Personen bis 2045. Insbesondere nach
der kompletten Umsetzung der „Rente mit 67“ im Jahr 2029 wird die Zahl der Erwerbsfähigen zunächst deutlich rückläufig sein, weil zu Beginn der 2030-er-Jahre die stärksten Jahrgänge der Baby-Boomer das Rentenalter erreichen werden.
Der Anteil der Erwerbsfähigen an der Gesamtbevölkerung sinkt in diesem Szenario
von 62 Prozent im Jahr 2022 auf einen niedrigsten Stand von 57,8 Prozent im Jahr
2038 und steigt dann wieder auf 58,6 Prozent im Jahr 2045. Die Zahl der Senioren je
Erwerbsfähigem steigt von gegenwärtig 0,34 (zum Vergleich: 1995 lag dieser Wert
noch bei 0,24) bis auf 0,44 an. Durch die bereits über das vergangene Jahrzehnt erfolgte Zuwanderung bei gleichzeitig starker Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erscheint das seit Jahrzehnten prognostizierte „Problem der gesetzlichen Rentenversicherung“ in einem anderen Licht. Die künftige Finanzierung der
10
Renten bleibt eine Herausforderung, eine Überforderung der Gesellschaft ist aber nicht
mehr zu erkennen, wenn die Beschäftigungssituation auf dem hohen Niveau gehalten
werden kann.
Abbildung 7: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland von 1990 bis 2022
und im Szenario bis 2045
1.800
Einwohner
(1.000 Personen)
Geburten, Sterbefälle,
Wanderungssaldo (1.000 Personen)
Einwohner
Geburten
Sterbefälle
Wanderungssaldo
1.600
1.400
85000
84500
84000
83500
1.200
83000
1.000
82500
800
82000
600
81500
400
81000
200
80500
0
80000
-200
79500
79000
-400
1990
1995
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
2035
2040
2045
Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen
3
Wohnungsbedarf
Der Wohnungsbedarf ist grundsätzlich eine normative Größe. Nach der Definition einer oder mehrerer Bedarfsnorm(en) wird der Wohnungsbedarf abgeglichen mit dem
Wohnungsbestand und daraus ein notwendiger Wohnungsbau abgeleitet. In der Regel wird der Wohnungsbedarf jährlich ausgewiesen.
Von hoher Bedeutung ist neben der künftigen demografischen Entwicklung die jeweils
aktuelle Situation auf den Wohnungsmärkten. Hohe Leerstände senken den Baubedarf ab, weil theoretisch zunächst der überhöhte Leerstand bezogen werden könnte.
Als notwendigen Stichtagsleerstand setzen wir drei Prozent des Wohnungsbestandes
an. Ein Leerstand in dieser Größenordnung ist erforderlich, um Umzüge zu ermöglichen und Modernisierungen zu realisieren.
3.1
Ausgangssituation zur Berechnung des Wohnungsbedarfs
Die Wohnungsmarktsituation in Deutschland wird mit unserem integrierten Bevölkerungs-, Haushalts- und Wohnungsmarktmodell jährlich auf der Ebene der Kreise und
11
kreisfreien Städte abgebildet. Mit Blick auf die besondere Zuwanderungssituation im
Jahr 2022 haben wir auf Basis der Halbjahresdaten eine Abschätzung zum Jahresende 2022 in Abhängigkeit von der Gesamtzuwanderung nach Deutschland vorgenommen. Die ermittelte Wohnungsmarktsituation in den Kreisen und kreisfreien Städten zum Jahresende 2022 bei einem Wanderungsgewinn von 1,2 und 1,5 Millionen
Personen zeigt Abbildung 8. Da die Zuwanderung bereits Ende September bei 1,25
Millionen Personen lag, gehen wir im Folgenden von der Variante mit 1,5 Millionen
Nettozuwanderern aus.
Abbildung 8: Wohnungsmarktsituation in den Kreisen und kreisfreien Städten
bei einer Nettozuwanderung 2022 von 1,2 bzw. 1,5 Millionen Personen
SK Kiel
SK Kiel
LK Segeberg
LK Rostock
LK Segeberg
SK Hamburg
LK Rostock
SK Hamburg
SK Schwerin
SK Schwerin
LK Uckermark
LK Uckermark
SK Bremen
SK Bremen
LK Barnim
LK Emsland
LK Barnim
LK Emsland
LK Altmarkkreis Salzwedel
Region Hannover
LK Altmarkkreis Salzwedel
SK Berlin
SG M e i n e rs e n
Region Hannover
SK Berlin
SG M e i n e rs e n
SK Potsdam
SK Potsdam
SK Magdeburg
LK Coesfeld
LK Northeim
SK Magdeburg
LK Coesfeld
LK Harz
LK Northeim
LK Elbe-Elster
LK Harz
LK Elbe-Elster
LK Mansfeld-Südharz
LK Mansfeld-Südharz
LK Görlitz
SK Düsseldorf
LK Görlitz
SK Düsseldorf
LK Waldeck-Frankenberg
LK Waldeck-Frankenberg
SK Dresden
SK Erfurt
SK Dresden
SK Erfurt
LK Vogelsbergkreis
LK Vogelsbergkreis
LK Erzgebirgskreis
LK Erzgebirgskreis
Wohnungsmarktsituation
Ende 2022 bei 1,2 Mio. Zuwanderung
Wohnungsmarktsituation
Ende 2022 bei 1,5 Mio. Zuwanderung
SK Wiesbaden
SK Wiesbaden
starke Überhänge
LK Bernkastel-Wittlich
SK Mainz
Überhänge
starke Überhänge
LK Bernkastel-Wittlich
SK Mainz
Überhänge
ausgeglichen
ausgeglichen
Defizite
Defizite
starke Defizite
starke Defizite
LK Cham
LK Stadtverband Saarbrücken
LK Schwäbisch Hall
LK Cham
LK Neumarkt i.d.OPf.
LK Stadtverband Saarbrücken
SK Stuttgart
LK Rottal-Inn
LK Freising
LK Ortenaukreis
LK Sigmaringen
LK Ravensburg
LK Neumarkt i.d.OPf.
SK Stuttgart
LK Freising
LK Ortenaukreis
LK Schwäbisch Hall
SK München
LK Sigmaringen
LK Rottal-Inn
SK München
LK Ravensburg
Quelle: eigene Berechnungen
Was die regionale Entwicklung für die Gesamtsituation in Deutschland bedeutet, zeigt
Abbildung 9. Nachdem sich die Wohnungsmarktsituation in den Corona-Jahren 2020
und 2021 leicht entspannt hatte und die Wohnungsdefizite deutlich gesunken waren,
stiegen die Defizite im Jahr 2022 wieder deutlich an, bisher ausgeglichene Märkte weisen wieder Defizite auf und in bisherigen Überhangregionen haben sich die Leerstände erheblich vermindert. Für das Jahresende 2022 ist von Wohnungsdefiziten in
einer Größenordnung von 700.000 Wohnungen auszugehen. Dies ist mehr als die
doppelte Jahresproduktion an Wohnungen.
12
In den kommenden Jahren müssen somit nicht nur der jeweils aus der aktuellen demografischen Entwicklung resultierende Bedarf „abgearbeitet“, sondern zusätzlich
müssen die aufgelaufenen Defizite so schnell wie möglich beseitigt werden. Denn auch
in der aktuellen Situation muss gelten, dass Flüchtlinge spätestens nach einem Jahr
in Wohnungen leben sollen. Wohnheime und Unterkünfte sollen grundsätzlich nur temporäre Lösungen darstellen.
Abbildung 9: Wohnungsdefizit in Deutschland 2022 in Abhängigkeit vom
Wanderungsgewinn
Zuwanderung 1,3 Mio.
Zuwanderung 1,4 Mio.
Wohnungsdefizit Ende 2022
Zuwanderung 1,5 Mio.
Zuwanderung 1,6 Mio.
0
50
100
150
200
250
300
350
400
450
500
550
600
650
700
750
1.000 Wohnungen
Quelle: eigene Berechnungen
3.2
Demografischer Wohnungsbedarf
Der demografische Wohnungsbedarf basiert auf der Entwicklung der Haushalte bildenden erwachsenen Bevölkerung und deren Haushaltsbildungsverhalten. Kinder leben definitionsgemäß bei ihren Eltern und sind über deren Wohnungsbedarf mitversorgt. Über die vergangenen Jahrzehnte war ein klarer Trend zu einer immer geringeren Zahl an erwachsen Personen je Haushalt festzustellen. Möglich wurde die Umsetzung dieser „Versingelung“ der Gesellschaft durch reale Einkommenssteigerungen
und einer über Jahrzehnte laufenden relativen Preissenkung beim Wohnen. So waren
die Kaltmieten von den 1950-er-Jahren bis etwa 2010 geringer gestiegen als die allgemeinen Lebenshaltungskosten.
Die Zahl der wohnungswirtschaftlich relevanten privaten Haushalte wird statistisch auf
der regionalen Ebene nur über die Großzählungen (Volkszählung 1987, Zensus 2011)
erfasst. Die jährlichen Mikrozensuserhebungen gehen von einem wohnungswirtschaftlich nicht verwendbaren Haushaltsbegriff aus, der die „wirtschaftliche Eigenständigkeit“
zum zentralen Kriterium des privaten Haushalts erklärt. Dadurch werden bereits arbeitende, aber noch bei den Eltern lebende Kinder, als eigenständige Haushalte gezählt.
Ebenso werden die Mitglieder einer Wohngemeinschaft jeweils als eigenständige
13
Single-Haushalte erfasst. Dies führt zu einer im Vergleich zu den bewohnten Wohnungen deutlich höheren Haushaltszahl.
Ein Teil des Rückgangs der durchschnittlichen Haushaltsgröße ist auf die Alterung der
Bevölkerung und der damit zwangsläufig zunehmenden Zahl an Witwen und Witwern
zurückzuführen. Ob der Rückgang der Haushaltsgröße sich auch in den jüngeren Altersgruppen fortsetzt, ist gegenwärtig ungewiss. Wenn die Realeinkommen stagnieren
oder gar sinken, wie im Jahr 2022, und gleichzeitig das Wohnen überproportional im
Preis steigt, ist eine Reduzierung der Haushaltsgröße ökonomisch nur umsetzbar,
wenn auf anderen Konsum (etwa Ausgaben für Freizeit oder Mobilität) verzichtet wird.
Hier wird erst die Zukunft zeigen, welchen Konsum die privaten Haushalte in der Zukunft priorisieren. Ein Haushaltsentwicklung mit einer abgeschwächten Singularisierung zeigt Abbildung 10.
Abbildung 10: Haushaltsentwicklung in Deutschland bis 2045 bei leicht abgeschwächter Haushaltsverkleinerung
50000000
45000000
40000000
Haushalte
35000000
30000000
25000000
20000000
15000000
10000000
5000000
1995
1997
1999
2001
2003
2005
2007
2009
2011
2013
2015
2017
2019
2021
2023
2025
2027
2029
2031
2033
2035
2037
2039
2041
2043
2045
0
Jahr
Quelle: eigene Berechnungen
Die Zahl der Haushalte steigt in diesem Szenario von 2022 bis 2045 um rund 3 Millionen oder 132.000 im Durchschnitt je Jahr an. Die Zuwächse an Haushalten aus der
einheimischen Bevölkerung sind gegenwärtig eher niedrig; die Kinder der geburtenschwachen Jahrgänge der 1970-er-Jahre befinden sich in der Haushaltsbildungsphase, während durch die gestiegenen Sterbefallzahlen die Haushaltsauflösungen zunehmen. Allerdings muss in vielen Regionen noch der aus dem Wohnungsmangel resultierende Haushaltsrückstau (trotz eigenem Wohnungswunsch noch bei den Eltern
lebende Kinder; das ungewollte Wohnen in Wohngemeinschaften) abgebaut und der
Leerstand in Richtung drei Prozent des Wohnungsbestandes erhöht werden. Wenn
die 2022 zusätzlich entstandenen Wohnungsdefizite bis 2026 abgebaut werden sollen,
so ist bis dahin ein Wohnungsbau von rund 400.000 Wohnungen je Jahr erforderlich.
14
3.3
Wohnungsbedarf benachteiligte Gruppen
Unabhängig von der demografischen Entwicklung oder der Wohnungsmarktsituation
gibt es Haushalte, die sich nicht selbst am Markt mit Wohnraum versorgen können.
Die Wohnraumförderungsgesetze der Länder berücksichtigen diese Tatsache in der
Regel in der Definition der Ziele der sozialen Wohnraumförderung und teils in der unmittelbaren Auflistung der einzelnen Haushaltstypen. Zu den Haushalten ohne oder
mit nur schwerem Zugang zum Wohnungsmarkt zählen unter anderen Menschen mit
Behinderungen, denen mit dem Bundesteilhabegesetz inklusives und selbstbestimmtes Wohnen versprochen wurde. Weiterhin gibt es besondere Förderprogramme auf
Bundes- und Länderebene zur Schaffung von barrierearmen und barrierefreien Wohnungen für Senioren, um diesen einen möglichst langen (und gesellschaftlich kostengünstigen), selbstbestimmten Verbleib in der Wohnung zu ermöglichen.
Im Jahr 2021 wiesen rund 7,8 Millionen Bürger eine Schwerbehinderung auf. Insgesamt zeigt sich eine starke Überlagerung der Wohnungsprobleme Behinderter mit denen älterer Menschen, da knapp 58 Prozent der Schwerbehinderten im Jahr 2021 zur
Altersgruppe „65 Jahre und älter“ zählten. Im Jahr 1993 lag der Anteil dieser Altersgruppe noch bei unter 50 Prozent. Für diese Altersgruppe wird wegen der demografischen Entwicklung bereits seit vielen Jahren die Ausweitung des Angebots an barrierearmen und barrierefreien Wohnungen gefordert, um das möglichst lange selbstbestimmte Wohnen in der bisherigen Wohnung zu ermöglichen. Die Entwicklung der
Schwerbehinderten bis 2021 und in der Perspektive bis 2049 zeigt Abbildung 11.
Abbildung 11: Entwicklung der Zahl an Schwerbehinderten nach Altersgruppen
in Deutschland bis 2021 sowie in der Projektion bis 2049
1.000 Personen
9000
8500
8000
7500
7000
unter 18 Jahre
18 bis unter 35 Jahre
35 bis unter 55 Jahre
55 bis unter 65 Jahre
65 Jahre und mehr
6500
6000
5500
5000
4500
4000
3500
3000
2500
2000
1500
1000
500
0
1993
1997
2001
2005
2009
2013
2017
2021
2025
2029
2033
2037
2041
2045
2049
Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen
15
Die Zahl an Schwerbehinderten wird zunehmen und die Dominanz der Altersgruppe
„65 Jahre und älter“ wird durch die Alterung der Baby-Boomer ebenfalls größer.
Die Wohnungsmarktprobleme älterer Menschen (mit und ohne Behinderung) unterscheiden sich diametral von denen jüngerer Behinderter. Während bei jüngeren Behinderten der Inklusionsgedanke den Weg ins selbstbestimmte Wohnen
ebnen soll, leben ältere Menschen in der Regel seit Jahrzehnten selbstbestimmt
und dieses Wohnen wird durch altersbedingte Beeinträchtigungen gefährdet.
Durch eine die Beeinträchtigungen berücksichtigende Wohnung soll der Umzug
ins Pflegeheim möglichst lange hinausgezögert oder gar verhindert werden. Neben der individuell positiven Wirkung auf die Lebensqualität werden auch volkswirtschaftliche Vorteile gesehen, weil die ambulante Pflege in der Regel preiswerter als die stationäre Pflege ist. Dagegen dürfte bei jüngeren Behinderten die
volkswirtschaftlich preiswerteste Lösung im (möglichst langen) Wohnen bei den
Eltern liegen.
Insgesamt führt Wohnungsmangel zu einer Ausgrenzung von Randgruppen in der
Wohnungsnachfrage. Die in den Landeswohnraumförderungsgesetzen genannten
Zielgruppen, in der Regel „Familien, Alleinerziehende, sonstige Haushalte mit Kindern,
Alleinstehende, Schwangere, junge kinderlose Haushalte, Senioren, Menschen mit
Behinderungen, Haushalte mit geringem Einkommen und Haushalte mit besonderen
Schwierigkeiten bei der Wohnraumversorgung“ werden kaum noch erreicht, da auch
Haushalte ohne die genannten Merkmale die Einkommensgrenzen unterschreiten und
– sofern kein Belegrecht besteht – von den Vermietern bevorzugt als Mieter ausgewählt werden. Je knapper das Gut Wohnung, desto geringer sind die Chancen der
genannten Gruppen, sich selbst angemessen mit Wohnraum zu versorgen. Erschwerend kommt bei Behinderten häufig die begrenzte Zahlungsfähigkeit hinzu, da bei einem großen Teil gerade der Behinderten zwischen dem 18. und dem 65. Lebensjahr
staatliche Grundsicherungsleistungen die Lebenshaltungskosten decken müssen.
Das Problem der „knappen Einkommen“ trifft aber auch zunehmend Senioren.
Sowohl für viele Senioren als auch für Menschen mit Behinderungen ist die Verfügbarkeit „passender“ Wohnungen eine wesentliche Voraussetzung für selbstbestimmtes Wohnen.
Von den 7,8 Millionen Schwerbehinderten bezogen 2021 knapp 980.000 Personen
(12,6 Prozent) Eingliederungshilfe2 für behinderte Menschen. Viele dieser Menschen
wohnen bisher in Heimen. Ziel ist es, einem möglichst großen Teil der das eigenständige Wohnen zu ermöglichen. Die Verteilung der Behinderten auf verschiedene Altersgruppen weicht deutlich von der Verteilung bei den Schwerbehinderten ab. So sind nur
6,6 Prozent der Bezieher von Eingliederungshilfe 65 Jahre und älter. Den aktuellen
Stand der bereits eigenständig im ambulant-betreuten-Wohnen (ABW) lebenden
2
Definition der CARIATSS: Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ist eine Leistung der Sozialhilfe
nach dem Sozialgesetzbuch zwölf (SGB XII). Menschen mit einer nicht nur vorübergehenden geistigen, körperlichen oder psychischen Behinderung haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre Fähigkeit zur Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben durch die Behinderung wesentlich eingeschränkt ist. Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden erbracht, um die Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und behinderten Menschen so die Chance zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu eröffnen.
16
Menschen ab 18 Jahren – für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre kann das Wohnen
bei den Eltern unterstellt werden - mit Bezug von Eingliederungshilfe nach dem SGB
IX zeigt Abbildung 12. Die kreisfreien Städte und die Ballungsräume sind in der Regel
bereits erheblich weiter vorangeschritten in der Umsetzung des eigenständigen Wohnens für Menschen mit Behinderungen
Abbildung 12: Anteil der bereits eigenständig wohnenden Personen mit Bezug
von Eingliederungshilfe ab 18 Jahren
Quelle: eigene Berechnungen
Gerade in ländlichen Regionen, die häufig rein quantitativ ein ausreichendes Wohnungsangebot aufweisen, gibt es kaum passenden Wohnungen für Menschen mit Behinderungen. Es ist weniger die fehlende Barrierefreiheit, sondern die meisten Wohnungen sind zu groß und damit zu teuer für die Kostenträger. Bei insgesamt rund einer
Million verfügbarer barrierefreier Wohnungen leben in Deutschland 7,8 Millionen Menschen mit Behinderungen (davon knapp eine Million mit Bezug von Wiedereingliederungshilfe) und 13,5 Millionen Menschen zählen zu den „übrigen Senioren“, von denen
ein Teil in den kommenden Jahren sicher auch in der Mobilität beeinträchtigt ist. Bei
der Förderung des barrierearmen/-freien Umbaus von 70.000 Wohnungen je Jahr wird
17
es noch ein wenig dauern, bis tatsächlich auch alle, die eine solche Wohnung zum
selbstbestimmten Wohnen benötigen, eine solche Wohnung beziehen können.
3.4
Qualitativer Wohnungsbedarf
Neben dem demografischen Wohnungsbedarf besteht auch der qualitative Bedarf, den
Wohnungsbestand laufend an aktuelle Standards anzupassen. Im Jahr 2021 erfasste
das Statistische Bundesamt den Abgang von 18.470 Wohnungen. Bezogen auf den
Wohnungsbestand des Vorjahres von 42,8 Millionen entsprach dies einer Abgangsrate
von 0,043 Prozent. Die rechnerische Lebensdauer unserer Wohnungen beliefe sich
auf gut 2.300 Jahre, wenn diese Abgangsquote dauerhaft bleibt. Allerdings ist eine
qualitative Ertüchtigung des Bestandes damit kaum zu erreichen. Die Emissionsminderungsziele des Klimaschutzgesetzes zeigt Abbildung 13. Der Gebäudebereich soll
bis 2030 die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Jahr 2020 um rund 43 Prozent
senken und bis 2045 Klimaneutralität erreichen.
Abbildung 13: Emissionsminderungsziele des Klimaschutzgesetzes
300
Millionen t CO2-Äquivalente
Energiewirtschaft
Industrie
Gebäude
Verkehr
Landwirtschaft
Abfallwirtschaft und Sonstiges
Ziel 2050
250
200
150
100
50
0
-50
-100
2020
2025
2030
2035
2040
2045
2050
Quelle: Klimaschutzgesetz des Bundes
Allerdings gelten seit vielen Jahren rund 10 Prozent des Wohnungsbestandes – etwa
4,3 Millionen Wohnungen – als technisch/wirtschaftlich nicht sanierbar. Rein quantitativ werden diese Wohnungen aber auch künftig benötigt, denn die Zuwanderer aus
anderen Ländern sollen in Deutschland in Wohnungen und nicht in Unterkünften leben.
Insofern wäre der Ersatz dieser Wohnungen bis 2045 anzustreben. Da unmittelbar erst
die Wohnungsdefizite abgebaut werden müssen, sollte der verstärkte Ersatz dieser
Wohnungen ab dem Jahr 2027 einsetzen. Damit lässt sich auch der Bauwirtschaft und
den Baustoffherstellern eine Perspektive auf eine kontinuierliche Bautätigkeit bieten.
18
Wie aus Abbildung 14 hervorgeht, wurde der größte Teil der Wohnungen in Deutschland zu einer Zeit errichtet, in der Energiesparen ein eher nachrangiges Ziel darstellte.
Abbildung 14: Wohnungsbestand nach Baualtersklassen in Deutschland Ende
2022
Millionen Wohnungen
11
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
vor 1950
1950-1959
1960-1969
1970-1979
1980-1989
1990-1999
2000 u. spät.
Quelle: eigene Berechnungen
3.5
Wohnungsbedarf insgesamt
Einen Überblick über den Verlauf des Wohnungsbedarf bis 2045 gibt Abbildung 15.
Abbildung 15: Wohnungsbedarfsentwicklung in Deutschland ab 2023 bei einem Abbau des „Zusatzdefizits 2022“ bis 2026
450
1.000 Wohnungen
positive demografische Bedarfe
qualitative Bedarfe
400
350
300
250
200
150
100
50
0
2023
2025
2027
2029
2031
2033
2035
2037
2039
2041
2043
2045
Quelle: eigene Berechnungen
19
Ein längerfristiger Wohnungsbau von 350.000 bis 400.000 Wohnungen je Jahr erscheint erforderlich, um die gegenwärtigen Defizite abzubauen, die demografischen
Bedarfe abzudecken und den technisch/wirtschaftlich nicht sanierbaren Teil des Bestandes zu ersetzen. Damit liegt das aktuelle Ziel der Bundesregierung – der Bau von
400.000 Wohnungen je Jahr – wesentlich näher am Bedarf als die tatsächliche Bautätigkeit mit weniger als 300.000 Wohnungen je Jahr.
4
Entwicklung des Wohnungsbaus
Die Entwicklung des Wohnungsbaus seit 2012 zeigt Tabelle 4. Der Spitzenwert von
306.000 Wohnungen im Jahr 2020 wurde im Jahr 2021 nicht wieder erreicht. Insgesamt lag der Rückgang bei knapp 13.000 Wohnungen oder 4,2 Prozent. Besonders
stark fiel der Rückgang mit 8,7 Prozent bei Ein- und Zweifamilienhäusern aus. Für
2022 fallen die Erwartungen recht unterschiedlich aus. Die meisten Experten rechnen
mit 270.000 bis 290.000 Wohnungsfertigstellungen im gerade abgelaufenen Jahr. Die
Beeinträchtigung des Wohnungsbaus 2022 durch Störungen der Lieferketten und bei
steigenden Zinsen auch von ersten Stornierungen im Einfamilienhausbau sind nur
schwer einschätzbar.
Tabelle 4:
Wohnungsbau in Deutschland seit 2012
Fertigstel- davon:
lungen
WE in neuen Geb.
Jahr
insgesamt
mit 1 o. 2 WE
2012
200.466
100.294
2013
214.817
102.246
2014
245.325
106.846
2015
247.722
102.713
2016
277.691
106.301
2017
284.816
105.948
2018
287.352
103.363
2019
293.002
103.110
2020
306.376
107.747
2021
293.393
98.327
Quelle: Statistisches Bundesamt
WE in neuen Geb.
mit 3 u. mehr WE
71.041
78.910
101.021
105.095
115.150
122.841
134.954
143.053
153.377
147.925
WE in neuen
Wohnheimen
5.282
7.241
8.253
8.919
14.207
16.515
13.021
9.762
7.650
10.100
durch Maßn. im Bestand u. in Nichtwohng.
23.849
26.420
29.205
30.995
42.033
39.512
36.014
37.077
37.602
37.041
Als Voraussetzung für die Steigerung der Wohnungsfertigstellungszahlen wurde bereits im Januar eine Ausweitung des Bauens im Bestand benannt. Das über Aufstockungen von Wohn- und Nichtwohngebäuden sowie die Umnutzung bisher gewerblich
genutzter Gebäude eine deutliche Steigerung der Fertigstellungszahlen möglich wäre,
wurde in verschiedenen Untersuchungen aufgezeigt. Allerdings treten auch beim
Bauen im Bestand Hemmnisse zu Tage, die eine starke Ausweitung dieser Aktivitäten
bisher verhindern. Von Abstandsregelungen über Stellplätze und Brandschutzauflagen bis zum teils notwendigen vollständigen barrierefreien Umbau des ganzen Gebäudes führen Vorschriften und Auflagen regelmäßig dazu, dass das Bauen im Bestand
unwirtschaftlich wird.
20
Wie Abbildung 16 nachweist, haben sich trotz der immer wieder gezeigten Begeisterung der Politik für das Bauen ohne neue Grundstücke die tatsächlichen Zahlen nicht
verändert. Ein Höhepunkt des Bauens im Bestand lag vielmehr bereits im Jahr 2016.
Abbildung 16: Genehmigte Wohnungen durch Maßnahmen im Bestand bei
Wohn- und Nichtwohngebäuden
1.000 Wohnungen
30
27
24
21
18
15
12
9
Wohngebäude
Nichtwohngebäude
6
3
0
2015
2015
2016
2016
2017
2017
2018
2018
2019
2019
2020
2020
2021
2021
2022
(1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.) (2. Halbj.) (1. Halbj.)
Quelle: Statistisches Bundesamt
Die nur jährlich ausgewiesenen Zahlen zu den Wohnungsfertigstellungen im Bestand
lagen in den vergangenen 10 Jahren zwischen 30.000 und 40.000 Wohnungen je Jahr.
Für das Jahr 2023 werden teils drastische Rückgänge im Wohnungsneubau erwartet.
Einfamilienhausanbieter rechnen mit einem Einbruch um 30 bis 50 Prozent. Aber auch
im Mehrfamilienhausbau sind deutliche Rückgänge zu erwarten, da sich unter den
neuen Rahmenbedingungen mit den gestiegenen Zinsen und Errichtungskosten Mietund Kaufpreise ergeben, die am Markt kaum noch durchsetzbar sind. Zwar dürfte der
Bauüberhang Ende 2022 einen neuen Rekordwert um 900.000 Wohnungen erreicht
haben und mindestens die bereits rohbaufertigen Gebäude dürften fertiggestellt werden. Daher sind auch die Erwartungen für die Mehrfamilienhausfertigstellung für 2023
noch verhalten optimistisch. Da aber alle noch nicht begonnenen Vorhaben derzeit auf
dem Prüfstand stehen, wird ein starker Einbruch dann für 2024 erwartet.
Für die Politik gilt es, angesichts des längerfristigen Wohnungsbedarfs einen drastischen Einbruch am Bau zu verhindern. Die Gefahr, dass jetzt abgebaute Kapazitäten
nicht wieder aufgebaut werden können, ist sehr groß und in der Konsequenz könnte
eine dauerhafte Wohnungsknappheit letztlich die notwendigen Zuwanderungen verhindern.
21
5
Kostenentwicklung; Baupreise, Bau(werks)kosten und Kostenstand im deutschen Wohnungsbau (Beitrag der ARGE Kiel)
Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. verfolgt die Entwicklung von
Baukosten für den Wohnungsbau als Wohnungsbauinstitut im staatlichen Auftrag in
Kooperation mit Förderbank des sozialen Wohnungsbaus kontinuierlich seit Jahrzehnten. Neben der regelmäßigen Berichterstattung finden fortlaufend umfassende Untersuchungen und Umsetzungsbetrachtungen zum bautechnisch und kostenoptimierten
Mietwohnungsbau und zu den aktuellen Kostentreibern für den Wohnungsbau 3 in
Deutschland statt. Auch aktuell hat sich die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes
Bauen e.V. eingehend mit der systematischen Daten- und Baukostenanalyse von fertiggestellten Neubauvorhaben4 in diesem Jahr beschäftigt.
Die Ergebnisse und Erkenntnisse dieser Untersuchungen beziehen sich in dieser Stellungnahme auf den optimierten Wohnungsbau im mittleren Preissegment mit gutem
Wohnkomfort (Geschosswohnungsneubau) in Deutschland. Um Baukosten vergleichbar ermitteln und darstellen zu können, ist unter anderem eine einheitliche Betrachtungsbasis wichtig. Zu diesem Zweck hat die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes
Bauen e.V. in einer Grundlagenstudie5 ein modellhaftes Gebäude definiert, das für
Mehrfamilienhäuser im Geschosswohnungsbau typisch ist.
Anhand des vorstehenden Diagramms (Abbildung 17) ist insbesondere in den letzten
zehn Jahren eine deutlich stärker ausgeprägte Kosten- als Preisentwicklung zu erkennen.
Der Kostenindex liegt im 3. Quartal 2022 gegenüber dem Bezugszeitpunkt des 1.
Quartals 2000 bei 223 Indexpunkten und befindet sich somit um 27 Punkte über dem
Baupreisindex. Der Abstand zum Index für die Lebenshaltungskosten liegt mit 73
Punkten noch deutlich höher. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch die
vorhandene Differenz des Lebenshaltungskostenindex zum Baupreisindex. Seit den
Jahren 2010/2011 entwickeln sich die Baupreise in einer höheren Intensität als die
allgemeine Teuerung – seit 2015 mit einer immer stärkeren (beschleunigten) Ausprägung.
3
[ARGE 2015]
z.B. [ARGE 2017], [ARGE 2019c], [ARGE 2021ff]
5 [ARGE 2014]
4
22
Abbildung 17: Entwicklung der Bauwerkskosten im Wohnungsneubau (Destatis-Preisindex/ARGE-Kostenindex, Bezug: TypengebäudeMFH)6
unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer im Vergleich zu den
allgemeinen Lebenshaltungskosten; Zeitraum: 1. Quartal 2000
bis 3. Quartal 2023 sowie prognostiziert für das 2. Quartal 20237
Kostenentwicklung
Bauwerkskosten 2000 bis 3. Quartal 2022 + Prognose 2. Quartal 2023
Index Januar 2000 = 100
260
250
240
+ 123
230
+ 117 220
210 + 22
+ 96
200 + 5
190
180 + 96
170
+ 57
160
+ 50
150
140
130
120
Q3
110
2022
100
Q2
2023
+ 148
GEG 2020/
EnEV 2002/
2014/ab 2016
EnEV
WSchV
1995/
HeizAnlV
(bis 2002)
+ EEWärmeG
(ab 2009)
zusätzliche
Anforderungen
[KG+27
300/400]
%
Preisentwicklung
Lebenshaltungskosten
Baupreisindex für Wohngebäude (Destatis) - ohne Qualitäts- und Anforderungsveränderungen
Bauwerkskostenindex für Wohngebäude* (ARGE) - mit Qualitäts- und Anforderungsveränderungen
Quelle: Statistisches Bundesamt, Controlling und Datenarchiv ARGE eV und Erhebungen im öffentlichen Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft
* Bezug: (Median-)TypengebäudeMFH
Tatsächlich dramatisch ist die Entwicklung der Bauwerkskosten. Sie kennzeichnen die
Kosten, die zum jeweiligen Zeitpunkt entstehen, wenn ein Quadratmeter Wohnraum in
einem Mehrfamilienhaus nach den gesetzlichen, normativen und sonstigen Mindeststandards, die in Deutschland gelten, geschaffen wird.
Eine Sondersituation stellte der im Betrachtungsjahr 2020 vorhandene „Knick“ in der
Indexentwicklung vom 2. Quartal 2020 zum 3. Quartal 2020 dar. Aus dem Knick war
ein „U“ geworden, weil tatsächlich im Wesentlichen die kurzfristige Senkung der Mehrwertsteuer diesen Effekt erzeugte. Seit März 2022 dominieren die Auswirkungen des
Ukraine-Krieges die zunehmend dynamischere Kosten- und Preisentwicklung im Wohnungsbau. Für den weiteren Verlauf des Jahres 2023 kann von einer weiter ansteigenden Entwicklung bei den Baupreisen und Baukosten ausgegangen werden.
6
Typengebäude, siehe [ARGE 2014]
Datenquellen: Statistisches Bundesamt, Controlling und Datenarchiv ARGE eV, Erhebungen im öffentlichen Auftrag und in Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft
7
23
Abbildung 18: Entwicklung der Bauwerkskosten im Wohnungsneubau (ARGEKostenindex, Bezug TypengebäudeMFH)8 unter Berücksichtigung
der Mehrwertsteuer, differenziert nach übergeordneten Leistungsbereichen unter Nennung der Baunebenkosten; Zeitraum:
1. Quartal 2000 bis 3. Quartal 2022; Kostenangaben in Euro je
Quadratmeter Wohnfläche
Entwicklung in den Leistungsbereichen
Detailbetrachtung
[€/m² Wfl.]
1.200
2000
2014
3.Quartal 2022
2016
1.017
1.000
748
800
527
600
460
430
332
400
211
124
200
0
Rohbau
2000 bis
3. Quartal 2022
+ 93 %
Ausbau (konstruktiv)
+ 125 %
Ausbau (technisch)
+ 247 %
Baunebenkosten
+ 118 %
Ursachen (exemplarisch) für die festgestellten Entwicklungen oberhalb der allgemeinen Baupreissteigerungen
Materialkosten und
Marktprozesse
EnEV/GEG, Barrierefreiheit
Qualitätsansprüche
EnEV/GEG
EEWärmeG
Expertengutachten
Abgaben/Gebühren
Die mittlere Nutzungsdauer im modernen Wohnungsbau hat sich u.a. aufgrund der verschärften
energetischen Anforderungen (anteilig immer mehr und komplexere technische Anlagen) bei steuerrechtlicher Betrachtungsweise auf mittlerweile 36 Jahre reduziert.
Die stärkste Kostenentwicklung ist im Bereich der Bauwerkskosten im technischen
Ausbau festzustellen: Gegenüber dem Basisjahr 2000 wird im 3. Quartal 2022 eine
Kostensteigerung in Höhe von 247 % deutlich. Auch der konstruktive Bereich des Ausbaus weist eine verhältnismäßig hohe Kostenentwicklung in Höhe von 125 % gegenüber dem Jahr 2000 auf. Dies ist unter anderem auf höhere Anforderungen und Ansprüche im Zusammenhang mit der Energieeffizienz9, der Barrierefreiheit sowie den
sich veränderten Qualitätsansprüchen im Wohnungsbau zurückzuführen. Die niedrigste Kostensteigerung mit 93 % entfällt auf den Rohbau. Hier liegt die Entwicklung
zwar über der allgemeinen Teuerung, aber noch unter den Veränderungen bei den
Baupreisen.
Die Tatsache einer sich ändernden Verteilung bei den Bauwerkskosten hat nicht nur
Einfluss auf die Höhe der Rohbau- und Ausbaukosten, sondern auch auf die Nutzungsdauer von Wohngebäuden.10 Die mittlere Nutzungsdauer von Gebäuden ergibt sich
aus den anteiligen Kosten von Bauteilen in Verbindung mit den entsprechenden
8
Typengebäude, siehe [ARGE 2014]
[ARGE 2019b]
10 Definition aus „Nutzungsdauertabellen für Wohngebäude“ (Pfeifer, Bethe, Fanslau-Görlitz, Zedler): „Die Nutzungsdauer
von Bau- und Anlagenteilen von Wohngebäuden ist der Zeitraum der geplanten Nutzung bei gleichbleibend dauernden Ansprüchen, Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Nutzungsgerechtigkeit“, die Nutzungsdauer kann sich somit teilweise deutlich von der Lebensdauer unterscheiden
9
24
Nutzungsdauern und der damit verbundenen Ersatzhäufigkeit und liegt damit heute
bei dieser Betrachtungsart eines repräsentativen (Referenz-)Wohngebäudes nur noch
bei ca. 36 Jahren.
Die Untersuchungen zeigen, dass die Entwicklung von Qualitätsstandards im
Wohnungsbau im Hinblick auf die Bauwerkskosten insbesondere zur Realisierung bezahlbaren Wohnraums inzwischen ausgereizt ist.11
Aktuelle Materialpreisentwicklungen
Mitten in der Corona-Pandemie – seit dem 3. Quartal 2020 - sind die Preise für einiger
Baumaterialien sehr stark gestiegen - die momentane Preisentwicklung für diese Baustoffe zeigt sich extrem volatil.
Damit einhergehend ist auch die Materialverfügbarkeit bei etlichen Baustoffen eingeschränkt. Am deutlichsten sind Bauholz, aber auch Kunststoffe, metallische Materialien und Dämmstoffe von steigenden Rohstoffpreisen betroffen. Mineralische Materialien weisen eher keine extremen Steigerungen in der aktuellen Preisentwicklung auf.
Abbildung 19: Volatile Preisentwicklung von einigen Baumaterialien zwischen
dem 3. Quartal 2020 bis zum 2. Quartal 2021
Entwicklung in den Leistungsbereichen
Prozentanteile der Bauwerkskosten 2000 bis 3. Quartal 2022
3,2
+ 0,1 %
- 0,2 %
+ 0,6 %
- 0,1 %
+ 0,6 %
- 0,5 %
+ 0,8 %
+ 0,3 %
- 0,8 %
- 0,3 %
0,6
023/024 Schließanlage/Baureinigung
4,1
1,1
022 Betonwerkstein
0,0
3,4
021 Küchen
3,7
2,5
020 Bodenbelagsarbeiten
4,4
2,5
019 Estricharbeiten
4,4
2,2
018 Innenputz
3,3
4,3
017 Balkone
1,9
1,7
016 Schlosserarbeiten
3,8
2,7
015 Malerarbeiten
5,1
2,4
014 Trockenbau
36,9
Rohbau 2000: 53,7 %
3,5
- 0,1 %
+ 1,9 %
012 Tischlerarbeiten (außen)
- 1,0 %
5,1
011 Fliesenarbeiten
+ 1,9 %
3,1
010 def. Be- und Entlüftung
+ 2,7 %
1,9
009 Heizungsinstallation
+ 0,8 %
6,4
008 Elektrische Installation
+ 0,7 %
5,2
007 Sanitäre Installation/Obj.
- 0,2 %
Ausbau Q3 2022: 53,7 %
5,1
006 Dachdecker-/abdichtungsarbeiten
+ 0,3 %
3,1
005 Klempner-/Stahlbauarbeiten
- 0,1 %
+ 0,3 %
2,2
004 Zimmer-/Holzbauarbeiten
- 7,6 %
3,7
003 Dämmarbeiten
2,7
5,4
002 Maurer-/Betonarbeiten
001 Erdarbeiten
- 0,1 %
29,3
013 Tischlerarbeiten (innen)
Rohbau Q3 2022: 46,3 %
2,6
3,6
2,7
3,5
1,4
3,5
2,7
1,9
2,6
2,8
1,3
0,5
Ausbau 2000: 46,3 %
Massive Preissteigerungen waren zum Beispiel bei EPS-Dämmstoffen, aber auch bei
Lattholz zu verzeichnen. Diese Erhöhungen machten teilweise bis zu 40 Prozent über
den üblichen Preisen aus. Hierfür gibt es unterschiedliche Gründe. Zum einen war eine
große Produktionsanlage ausgefallen, die die Rohstoffe Styrol und Propylenoxid für
die Produktion von EPS-Dämmstoffen lieferte, dies führte zu Lieferengpässen und damit auch zu Preissteigerungen. Zum anderen hatte der heftige Wintereinbruch in den
11
vgl. [ARGE 2013], [ARGE 2019b], [ARGE 2021ff]
25
USA zu einem drastischen Rückfahren der Holzproduktion geführt, bei zugleich verstärkter Holz-Nachfrage aus Europa und den USA und einem Export-Stopp von Seiten
Kanadas. Schwere Schäden des inländischen Baumbestandes machten es notwendig, Bauholz zunehmend aus internationalen Märkten zu beziehen. Zeitgleich war
China als der größte Containermarkt kurzfristig ausgefallen, somit konnten viele Produkte nicht verschifft werden.
Deutschland hatte einen Überschuss an Holz mit Borkenkäferbefall. Von diesem - sogenanntem Kalamitätsholz - wurde und wird viel exportiert, vor allem nach China und
die USA. Gleichzeitig wurde der Frischeinschlag gedrosselt, da aufgrund des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes derzeit nur noch 85 Prozent der üblichen Menge geerntet werden. Dazu kommen die Waldbrände in den USA und die Streitigkeiten im Welthandel, vor allem zwischen Kanada und den USA. In der Folge haben sich die USA
an Deutschland als Europas größten Holzproduzenten, gewandt, so dass zunehmend
deutsches Holz in die USA exportiert wird. Mit den steigenden Weltmarktpreisen ist
auch in Deutschland der Holzpreis in die Höhe gegangen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich dieser nie wieder auf den Ausgangszustand vor dieser Entwicklung
einpendeln wird, da (Bau-)Holz viele Jahre deutlich zu günstig verkauft wurde. In der
Zukunft wird damit der Einsatz von Holz in der Primärkonstruktion von Wohngebäuden
noch unwirtschaftlicher werden, als es jetzt und in der Vergangenheit bereits der Fall
war.
Abbildung 20: Preisentwicklung von einigen Baumaterialien zwischen August
2021 bis zum August 2022
Erzeugerpreisindizes ausgewählter Baumaterialien im August 2022
Veränderungsrate gegenüber dem Vorjahresmonat
Erzeugerpreise insgesamt
Bitumen aus Erdöl
Betonstahlmatten
Dämmplatten aus Kunststoff wie Polysterol
Gipserzeugnisse für den Bau
Dachziegel
Kies und Sand
Betonstahl in Stäben, warmgewalzt
Mauerziegel
Frischbeton (Transportbeton)
Dachlatten
Bauholz
Konstruktionsvollholz
-50%
-40%
-30%
-20%
-10%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Darstellung
Ein Jahr später: Beim Thema Kostenentwicklung von Holz hat es tatsächlich eine gewisse Beruhigung ergeben, einige Materialpreise aus diesem Segment sind tatsächlich etwas zurückgegangen, allerdings nicht auf das Niveau von vor der Coronakrise.
26
Holz als Baustoff im Wohnungsbau wirkt, absehbar auch dauerhaft als Kostentreiber.
Dagegen sind die mineralischen Baustoffe mit ihren relativ geringen Preissteigerungen
und in ihrer Bedeutung für die Rohkonstruktionen des Wohnungsbaus als Kosten
dämpfend festzustellen. Perspektivisch wird sich dies allerdings ändern, da sich hier
die Energiepreisentwicklungen negativ auf den Herstellungsaufwand auswirken werden.
Gestehungskosten für den Wohnungsbau in deutschen (Groß-)Städten
Das Bewusstsein der Zusammenhänge zwischen Qualität und Kosten ist eine der fundamentalen Voraussetzungen des bautechnischen und kostenoptimierten Bauens.
Bereits bei der Planung ist zu prüfen, ob bestimmte kostenintensive Ausführungen und
Ausstattungen in der vorgesehenen Art und Weise notwendig und bedarfsgerecht sind.
Diesen Betrachtungen stehen allerdings grundsätzliche Trends bei der aktuellen Nachfrageentwicklung entgegen, die sowohl im Eigentums- als auch im Mietwohnungsbau
immer höhere Qualitätsansprüche aufzeigen.
Abbildung 21: Zusammenfassende Darstellung der festgestellten Herstellungskosten in deutschen Großstädten sowie der Grundstückskosten
mit prozentualer Aufschlüsselung nach Kostengruppen (Medianwerte); Bezug: Geschoßwohnungsneubau; Kostenstand 09/2022,
Angaben in Euro je Quadratmeter Wohnfläche, inkl. Mehrwertsteuer (Bruttokosten)
Herstellungs- und Grundstückskosten in dt. Großstädten
Aktuelles Kostenniveau
3.976,43
€/m² Wfl.
Wohnungsneubau
in deutschen Großstädten
3.200,79
€/m² Wfl.
Grundlage: Auswertung fertiggestellter und
abgerechneter Bauvorhaben in dt. Großstädten
Bruttokosten
Kostenstand: 3.
Quartal
2022
882,01
€/m² Wfl.
464,33
146,39
99,72
€/m² Wfl.
€/m² Wfl.
Herstellung
KG 200-700
65,21
€/m² Wfl.
€/m² Wfl.
Kostengruppen gem.
DIN 276 (2018-12)
Grundstück
KG 100
Vorbereitende
Maßnahmen
KG 200
Bauwerk
KG 300/400
Außenanlagen
und Freiflächen
KG 500
Ausstattung
z.B. Küchen
KG 600
2.880,06
von
346,74
15,87
2.513,51
38,57
31,54
277,25
3.976,43
Median
882,01
99,72
3.200,79
146,39
65,21
464,33
7.337,84
bis
(mit 810-890 teilw.)
[€/m² Wfl.]
Baunebenkosten
(Finanzierung teilw.)
KG 700/(800)
3.320,10
757,67
5.937,73
508,31
189,09
938,54
[€/m² Wfl.]
[€/m² Wfl.]
[€/m² Wfl.]
[€/m² Wfl.]
[€/m² Wfl.]
[€/m² Wfl.]
Die vorhandene Kostenspanne bei den Herstellungskosten für den Geschoßwohnungsneubau liegt aktuell zwischen ca. 2.880,- und ca. 7.338,- € je Quadratmeter
Wohnfläche (im Median ca. 3.976,- €) und besitzt in allen deutschen Großstädten eine
ähnliche Größenordnung.
27
Grundsätzlich wird das Kostenniveau im Wohnungsneubau immer direkt durch die Individualität eines Projekts inklusive der vorhandenen projektspezifischen Besonderheiten bzw. primären Kostenfaktoren12 beeinflusst.
Die Verlängerung der Realisierungsdauer von Wohnungsbauvorhaben
Seit mehr als zehn Jahren verlängern sich die Realisierungszeiten („Brutto-Bauzeit“ Beginn konkreter Planung, Erteilung von Planungsaufträgen bis zur Fertigstellung/Bezug) kontinuierlich. Insbesondere der Zeitraum bis zur Erteilung der Baugenehmigung
ist fortlaufend länger geworden, auch durch verzögerte Abwicklung der Bauaufsichtsbehörden. Dazu ist, gerade in den letzten zwei Jahren durch Materialverknappung
oder Lieferschwierigkeiten sowohl bei der Auftragsvergabe als auch bei der Ausführung, ein sich stetig verlängernder Realisierungszeitraum festzustellen.
Weiterhin ist festzustellen, dass sich die Segmente des sozialen/bezahlbaren Wohnraums anders entwickeln als der frei finanzierte, respektive Eigentumswohnungsbau,
der sich ebenfalls über die Jahre zunehmend weiter zeitlich verzögert allerdings im
gesamten Realisierungszeitraum noch deutlich beschleunigter abläuft als die Bauvorhaben des bezahlbaren Segments.
Abbildung 22: Entwicklung der Brutto-Bauzeit - Realisierungsdauer von Bauvorhaben des Sozialen/Bezahlbaren Wohnraums und des Eigentumssektors (“Gehobenes Segment“), Betrachtungszeitraum
2014 bis 2022
Entwicklung der Brutto-Bauzeit
Projektierung bis Baufertigstellung
[Monate]
60
50
40
30
Trendlinie
20
10
0
2014
gehobenes
Segment
2015
bezahlbarer gehobenes
Segment
Wohnraum
bezahlbarer
Wohnraum
2016
gehobenes
Segment
bezahlbarer
Wohnraum
2017
gehobenes
Segment
bezahlbarer
Wohnraum
2018
gehobenes
Segment
bezahlbarer
Wohnraum
2022
gehobenes
Segment
bezahlbarer
Wohnraum
Projektierung, Planung, Genehmigung, Submission
Neu-/Nachverhandlungen, Verschiebung des Baubeginns etc.
Rohbau bzw. Vorfertigung inkl. Montage und Ausbau (Bauzeit)
Quelle: Fördercontrolling und fortlaufende Marktbeobachtung und Auswertungen durch die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. und der Investitionsbank Schleswig-Holstein sowie bundesweite Erhebungen in Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft.)
12
z.B. primäre Kostenfaktoren (Wettbewerbe, Fachgutachten, Planungsvorgaben, Baustellenlogistik, Abbrucharbeiten,
Kampfmittelsondierung/-beseitigung, Dekontamination/Bodenaustausch, Baugrubenverbau, Wasserhaltung, Gründung,
Tiefgarage, Teilkeller/Vollkeller, Balkone/Loggien, Aufzugsanlagen, energetische Standards, Barrierefreiheit, Qualität der
Außenanlagen etc.)
28
➢ Der Median der Gestehungskosten (Investitionskosten) für Wohnraum in deutschen Großstädten liegt aktuell bei ca. 4.900 €/m2.
➢ In Metropolregionen - z.B. Hamburg - wird bei den die Gestehungskosten bereits die Marke von 5.000 €/m2 erreicht bzw. kurzfristig überschritten werden.
➢ Ein aktuell frei finanziert errichteter Wohnungsbau lässt unter wirtschaftlichen
Gesichtspunkten eine Kaltmiete von unter ca. 16,50 € nicht mehr zu.
➢ Besondere Kostentreiber sind aktuell die technischen Anforderungen, die Baulandpreise und regelmäßige zusätzliche, spezifische Standortanforderungen
bei innerstädtischen Bauprojekten. Aktuell wirken zusätzlich die Auswirkungen
der Corona-Pandemie (Störung der Lieferketten und Materialengpässe) sowie
des Ukraine-Krieges (starke Materialengpässe und extreme Energiekostensteigerungen) kosten- und preisprägend.
➢ Der Spielraum für weitere strukturelle Veränderungen und eventuelle Baukosten- treibende Auflagen ist derzeit ausdrücklich im Segment des Bezahlbaren
Wohnraums vollständig ausgeschöpft.
➢ Die Realisierungsdauer von Wohnungsbauvorhaben verlängert sich kontinuierlich seit Jahren. Das Segment des bezahlbaren/sozialen Wohnraums verlängert
sich in seiner Realisierung drastischer als der Eigentumssektor. Der Median der
Realisierungsdauer von Bauvorhaben bezahlbaren/sozialen Segment liegt mittlerweile bei fast 60 Monaten.
➢ Weitere, qualitative Anforderungen für die Erstellung von Wohngebäuden machen die Realisierung von bezahlbarem Wohnraum kaum noch möglich bzw.
erfordern eine wirksame Regulierung der Kostentreiber und spezifischen Förderangebote.
➢ Weiterhin ist festzustellen, dass der wesentliche Kostentreiber im Wohnungsbau nicht die Primärkonstruktion (Rohbau) ist, sondern mit Abstand – und weiter zunehmend - der Technische Ausbau. Weitere qualitative, normative oder
gesetzliche Standardanhebungen werden die Erstellung Bezahlbaren Wohnraums erheblich erschweren.
29
6
Preisentwicklung, Einkommen, Armut
Die Inflationsrate in Deutschland wird für das Gesamtjahr 2022 vorläufig mit 7,9 Prozent angegeben. Getrieben wurde die Preisentwicklung insbesondere von den Energie- und Nahrungsmittelpreisen. Exemplarisch zeigt Abbildung 23 die Preisentwicklung im Energiebereich von Januar 2015 bis September 2022. Die bis Mitte 2021 „gelernte“ Planbarkeit der Energiepreise endete Ende 2021 abrupt, wie die Abbildung
zeigt.
Abbildung 23: Preisindizes für Energieträger von Januar 2015 bis September 2022
Preisindex 2015 = 100
650
Verbraucherpreisindex Erdgas
Erdgas Einfuhrpreise
Verbraucherpreise leichtes Heizöl
Verbraucherpreisindex Strom
Verbraucherpreis Fernwärme
Verbraucherpreisindex
600
550
500
450
400
350
300
250
200
150
100
50
0
2015
2016
2017
2018
2019
2020
2021
2022
Quelle: Statistisches Bundesamt
Die Einfuhrpreise für Erdgas hatten sich von Juni 2021 bis November 2021 bereits fast
verdreifacht. Der Heizölpreis zog sehr schnell nach und erreichte mit einem Spitzenindexwert von 271 im März 2022 nicht ganz das Steigerungsausmaß der Gaseinfuhrpreise. Es zeigt sich aber auch die preisdämpfende Wirkung der nachlaufenden Preisanpassung durch die Energieversorger. So lag der Verbraucherpreisindex Erdgas im
September 2022 bei 196,1, der für Strom bei 134,9 und der für Fernwärme bei 133,0.
Allerdings bedeutet dies auch, dass die bisherigen Gaspreissteigerungen bei den Verbrauchern bei weitem noch nicht in voller Höhe angekommen sind.
Die Gas- und Strompreisdeckel sowie die Entlastungen für andere Energieträger haben lediglich eine temporäre Begrenzung des Energiepreisanstiegs zur Folge.
Insgesamt hat die starke Inflation reale Einkommensverluste der privaten Haushalte
nach sich gezogen, da Lohnsteigerungen 2022 unterhalb der Preissteigerung lagen.
30
Die realen Einkommensverluste wiegen umso schwerer, als gerade die Entwicklung
der Miet- und Kaufpreise das Wohnen in den vergangenen Jahren deutlich teurer gemacht hat und die Steigerung der Energiepreise für eine weitere Erhöhung gesorgt
hat. Damit gewinnt für weite Teile der Bevölkerung das bezahlbare und das soziale
Wohnen immer mehr an Bedeutung, während es gleichzeitig immer weniger verfügbar
ist.
Die Absenkung der Wohnkosten durch einen Umzug ist für die meisten Haushalte derzeit keine Alternative, da ein neuer Mietvertrag in der Regel mit einer deutlich höheren
spezifischen Miete verbunden und ein Einspareffekt nur bei einer drastischen Senkung
der Wohnfläche eintreten würde.
Als armutsgefährdet gelten in Deutschland Haushalte, die weniger als 60 Prozent des
Medianeinkommens aufweisen. Um die Einkommen unterschiedlich großer Haushalte
vergleichbar zu machen, wird das Nettoäquivalenzeinkommen (mit Zahl und Alter der
Haushaltsmitglieder gewichtetes Einkommen) herangezogen. Danach sind in
Deutschland über die Jahre recht stabil um 13 Millionen Personen armutsgefährdet
oder leben in relativer Armut (vgl. Abbildung 24).
Abbildung 24: Sozialwohnungsbestand und armutsgefährdete Bevölkerung in
Deutschland bis 2021
2.100
1.000 Wohnungen
Millionen Personen
14
1.950
13
1.800
12
1.650
11
1.500
10
1.350
9
1.200
8
1.050
7
900
6
750
600
450
5
Sozialwohnungsbestand
armutsgefährdete Bevölkerung
4
3
300
2
150
1
0
0
2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021
Quelle: Statistisches Bundesamt
Bei konstant hohen Zahlen an armen Einwohnern hat sich der Sozialwohnungsbestand in Deutschland halbiert und die Chancen zur Erlangung einer Sozialwohnung
haben sich für einkommensarme Haushalte stetig verringert. Dies gilt auch für
31
bestimmte Gruppen der Gesellschaft, die bei der Anmietung von Wohnraum bereits
bei ausgeglichenen Märkten Probleme haben. Neben einkommensarmen Haushalten
zählen u. a. Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund oder auch Menschen mit Behinderungen zu diesen Gruppen. Weisen einzelne Personen mehrere der
Merkmale auf, wird die Anmietung von Wohnraum ohne externe Unterstützung nahezu
unmöglich.
Die Auswirkung des sogenannten Rentenschocks zeigt Abbildung 25 eindrucksvoll.
Während in der 18- bis unter 65-jährigen Bevölkerung die Armutsgefährdungsquote
bei etwa 15 Prozent liegt, erreicht sie bei den 65-Jährigen und Älteren 19 bis 20 Prozent. Die Altersbezüge liegen in der Regel erheblich unter den Einkommen im Erwerbsleben und ein Teil der Senioren rutscht mit dem Renteneintritt in die Armut ab.
Wenn bereits 2021 rund ein Fünftel der Senioren in relativer Armut lebte, dann muss
davon ausgegangen werden, dass diese Gruppe gerade auch hinsichtlich des Wohnens besonders betroffen ist.
Abbildung 25: Armutsgefährdungsquote der „18- bis unter 65-Jährigen“ und
der „65-Jährigen und Älteren“ in den Jahren 2020 und 2021
in v.H. der jeweiligen Bevölkerung
22
2020
20
2021
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
18- bis unter 65-Jährige
65-Jährige und Ältere
Quelle: Statistisches Bundesamt
32
7
Mietwohnungsförderung
7.1
Betrachtung auf Bundes- und Länderebene
Die Schaffung von Sozialwohnungen durch Neubau, Modernisierung und den Ankauf
von Belegrechten ist in Tabelle 5 ausgewiesen. Zusätzlich wird der Bestand an Sozialwohnungen und seine Veränderung aufgeführt.
Tabelle 5:
Jahr
2017
2018
2019
2020
2021
Schaffung von Sozialwohnungen sowie der Sozialwohnungsbestand und seine Veränderung
Neubau
26.231
27.040
25.565
23.076
21.468
Ankauf von
Modernisierung Belegrechten
18.102
1.257
17.968
1.426
17.775
2.506
4.920
3.080
5.899
3.185
Bestand zum
Jahresende
1.221.767
1.176.057
1.155.214
1.128.875
1.101.506
Veränderung
des Bestandes
-45.710
-20.843
-26.339
-27.369
Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen
Der Neubau von Sozialwohnungen hatte 2018 mit 27.000 Wohnungen eine vorläufige
Spitze. Auch die Zahl der durch Modernisierungsförderung geschaffenen Sozialwohnungen lag damals mit Werten um 18.000 Wohnungen je Jahr weit über den knapp
6.000 Wohnungen, die im Jahr 2021 geschaffen wurden. Der Ankauf von Belegrechten
hat 2021 zwar den höchsten Stand der betrachteten Jahre erreicht, spielt insgesamt
aber nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Auch für 2022 ist für den Neubau im
sozialen Wohnungsbau eher ein noch geringerer Wert zu erwarten, da bei erhöhtem
Förderbedarf keine ausreichenden Mittel verfügbar waren. Das „Förderchaos“ hinsichtlich der Energieeffizienzstandards zu Beginn des Jahres 2022 war kontraproduktiv und
dürfte auch den sozialen Wohnungsbau stark belastet haben.
In keinem der Jahre hat die Zahl der geschaffenen Sozialwohnungen ausgereicht, um die auslaufenden Mietpreisbindungen und Belegrechte auszugleichen. Im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021 hat sich der Bestand an Sozialwohnungen um 30.000 WE je Jahr vermindert. Damit ist der soziale Wohnungsbau weit entfernt vom Regierungsziel des Neubaus von 100.000 Sozialwohnungen je Jahr.
Um den Stand und die Aktivitäten der Länder vergleichbar darzustellen, wurden in den
folgenden Abbildungen die Werte jeweils auf 1.000 Mieterhaushalte bezogen. Mieterhaushalte sind die grundsätzliche Zielgruppe des sozialen Wohnungsbaus und etwa
die Hälfte der Mieterhaushalte liegt unter den Einkommensgrenzen und hat damit den
theoretischen Anspruch, eine Sozialwohnung zu beziehen.
33
Der Gesamtstand der Versorgung mit Sozialwohnungen ist in Abbildung 26 ausgewiesen. Mit deutlichem Abstand an der Spitze steht Hamburg mit knapp 110 Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte. Dies ist mehr als das Doppelte des Bundesdurchschnitts. Es folgen Nordrhein-Westfalen, Berlin, Schleswig-Holstein und Hessen,
die ebenfalls über dem Bundesdurchschnitt liegen. Alle anderen liegen unter dem Bundesdurchschnitt, wobei Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und das
Saarland weniger als 10 Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte aufweisen. Allerdings ist bei den ostdeutschen Bundesländern anzumerken, dass die Wohnungsmarktsituation nicht so angespannt ist wie in Berlin und den meisten westdeutschen Bundesländern und in der Regel die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen einen hohen Marktanteil haben und diese Unternehmen überwiegend zu
ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stehen.
Abbildung 26: Bestand an Sozialwohnungen 2021 nach Bundesländern je 1.000
Mieterhaushalte
Hamburg
Nordrhein-Westfalen
Berlin
Schleswig-Holstein
Hessen
Deutschland
Rheinland-Pfalz
Bayern
Bremen
Niedersachsen
Brandenburg
Thüringen
Baden-Württemberg
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Mecklenburg-Vorp.
Saarland
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
110
Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte
Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen
Bei der Betrachtung der im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 neu geschaffenen
Mietwohnungen (Abbildung 27) liegt wieder Hamburg – hier mit noch größerem Abstand – an der Spitze. Neben Berlin auf Rang 3 liegen aber auch die ostdeutschen
Länder Sachsen-Anhalt (Rang 2), Thüringen (Rang 4) und Mecklenburg-Vorpommern
(Rang 5) auf den vorderen Plätzen. Diese Länder haben über eine starke Modernisierungsförderung vor allem in den Jahren 2017 bis 2019 Belegungsbindungen geschaffen. So hat Sachsen-Anhalt in diesem Zeitraum im Vergleich zu Hamburg über die
Modernisierungsförderung fast die dreifache Zahl an Sozialwohnungen geschaffen.
Neben den bisher genannten Bundesländern liegt nur noch Bayern oberhalb des Bundesdurchschnitts von knapp 1,8 geschaffenen Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte und Jahr. Am unteren Ende finden sich mit weniger als einer geschaffenen Sozialwohnung je 1.000 Mieterhaushalte und Jahr Niedersachsen, Sachsen und das Saarland.
34
Abbildung 27: Schaffung von Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte im
Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021 nach Bundesländern
Hamburg
Sachsen-Anhalt
Berlin
Thüringen
Mecklenburg-Vorp.
Bayern
Deutschland
Nordrhein-Westfalen
Schleswig-Holstein
Hessen
Bremen
Brandenburg
Rheinland-Pfalz
Baden-Württemberg
Sachsen
Niedersachsen
Saarland
0
1
2
3
4
5
6
7
8
geschaffene Sozialwohnungen je 1.000 Mieterhaushalte im Ø von 2017 bis 2021
Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen
Die Förderung erfolgt im sozialen Wohnungsbau klassisch über Zinssubventionen.
Wegen der niedrigen Zinsen waren aber zusätzlich Zuschüsse erforderlich, um den
Investoren einen wirtschaftlichen Anreiz zu bieten. Die Aufteilung der Förderung zeigt
Abbildung 28.
Abbildung 28: Förderung von Sozialwohnungen im Durchschnitt der Jahre 2017
bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt
Hamburg
Bayern
Schleswig-Holstein
Berlin
Deutschland
Baden-Württemberg
Rheinland-Pfalz
Nordrhein-Westfalen
Zuschussförderung
Zinssubvention
Brandenburg
Hessen
Niedersachsen
Sachsen
Thüringen
Sachsen-Anhalt
Mecklenburg-Vorpommern
Bremen
Saarland
0
30
60
90
120
150
180
210
240
270
300
330
360
Zuschussf örderung und Zinssubvention f ür Sozialw ohnungen in € je Mieterhaushalt im Ø von 2017 bis 2020
Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen
35
Die Förderung war in den Bundesländern durchaus differenziert ausgestaltet. Während Hamburg sehr stark mit der Zuschussförderung gearbeitet hat, konzentrierte sich
Schleswig-Holstein auf die Zinssubvention. Auch bei der Höhe der Förderung des sozialen Wohnungsbaus liegt Hamburg mit durchschnittlich 342 € je Mieterhaushalt unangefochten an der Spitze vor dem Freistaat Bayern mit 167 € je Mieterhaushalt.
Schleswig-Holstein und Berlin liegen mit 143 bzw. 112 € je Mieterhaushalt noch über
dem Bundesdurchschnitt von knapp 98 € je Mieterhaushalt. Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und das Saarland liegen mit weniger als 30 € Förderung je Mieterhaushalt am unteren Ende.
In Abbildung 29 sind die von den Ländern ausgewiesenen Fördermittel (Zinssubventionen und Zuschüsse) den empfangenen Bundesmitteln gegenübergestellt. Die
höchsten Anteile eigener Mittel an der Förderung weisen Hamburg, Bayern, Schleswig-Holstein und Berlin auf. Alle Bundesländer, bei denen die empfangenen Bundesmittel über die zugesagten Fördermittel hinausgehen, haben keine eigenen Mittel für
den sozialen Wohnungsbau aufgewendet. Begründet wurde der „Nichteinsatz“ der
Bundesmittel für den aktuellen sozialen Wohnungsbau in der Vergangenheit mit der
„Bedienung von Altverpflichtungen“.
Abbildung 29: Förderung von Mietsozialwohnungen und empfangene Bundesmittel im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt
Hamburg
Bayern
Schleswig-Holstein
Berlin
Deutschland
Baden-Württemberg
Rheinland-Pfalz
Nordrhein-Westfalen
Förderung
empfangene Bundesmittel
Brandenburg
Hessen
Niedersachsen
Sachsen
Thüringen
Sachsen-Anhalt
Mecklenburg-Vorpommern
Bremen
Saarland
0
30
60
90
120
150
180
210
240
270
300
330
360
zugesagte Förderung und empfangene Bundesmittel für
Sozialwohnungen in € je Mieterhaushalt im Ø von 2017 bis 2020
Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen
Zum Schluss der Länderbetrachtung wurden die empfangenen Bundesmittel in Abbildung 30 auf die Mieterhaushalte bezogen. Es ist sicher nicht zu bestreiten, dass von
der gesamten Zuwanderung vor allem auf die Mietwohnungsmärkte betroffen sind, da
Zuwanderer in der Regel zunächst als Mieter auftreten. Damit konzentriert sich die
Wohnungsnachfrage der Zuwanderer auf die 22 Millionen Mietwohnungen. Die in ihrer
36
eigenen Wohnung oder ihrem eigenen Haus lebenden Haushalte haben dagegen
keine Veränderungsnotwendigkeit, da die eigene Immobilie entweder schon vollständig entschuldet oder langfristig finanziert ist. Insofern wäre ein Ausbau des Mietwohnungsmarktes auch im Hinblick auf die längerfristig benötigte Zuwanderung zu forcieren. Eine Verteilung der Bundesmittel nach einem offensichtlich vor allem an der Einwohnerzahl orientierten Schlüssel scheint in dieser Situation wenig hilfreich.
Abbildung 30: Empfangene Bundesmittel für Sozialwohnungen im Durchschnitt
der Jahre 2017 bis 2020 nach Bundesländern in EURO je Mieterhaushalt
Thüringen
Brandenburg
Saarland
Mecklenburg-Vorpommern
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Niedersachsen
Rheinland-Pfalz
Deutschland
Bayern
Hessen
Baden-Württemberg
Schleswig-Holstein
Nordrhein-Westfalen
Berlin
Bremen
Hamburg
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Empfangene Bundesmittel für Sozialwohnungen in € je Mieterhaushalt im Ø von 2017 bis 2020
Quelle: verschiedene Bundestagsdrucksachen; eigene Berechnungen
Insbesondere die Stadtstaaten schneiden in diesem Vergleich wegen der niedrigen
Eigentumsquote besonders schlecht, was die Leistungen Hamburgs und Berlins im
sozialen Wohnungsbau unterstreicht. Dagegen stellt sich durchaus die Frage, warum
etwa das Saarland mit fast 90 € je Mieterhaushalt eine der höchsten Zuweisungen an
Bundesmitteln je Mieterhaushalt bekommt, aber sowohl beim Bestand als auch bei der
Schaffung von Sozialwohnungen eher am Ende der Skala liegt. Hier wäre es an der
Zeit, die Vergabe der Mittel für den sozialen Wohnungsbau zu überdenken.
7.2
Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau
Im Vergleich zu den im Januar und August 2022 ausgewiesenen Werten hat sich durch
die inzwischen weiter gestiegenen Zinsen und die nochmals gestiegenen Baukosten
der Förderungsbedarf im sozialen Wohnungsbau weiter erhöht. Die höheren Zinsen
treiben auch den Anspruch der Investoren an die Eigenkapitalverzinsung nach oben,
37
was die Wirtschaftlichkeit zusätzlich belastet. Eine Aktualisierung der damaligen Berechnungen zeigen die Tabelle 6 und 7. Bereits in der Vergangenheit wurde ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz für den sozialen Wohnungsbau diskutiert. Die Wirkungen dieser Maßnahme auf den Subventionsbedarf zeigt die Tabelle 7.
Je nach angestrebtem Energieeffizienzlevel werden heute zwischen 125.000 und
149.000 Euro je Wohnung benötigt. Für 100.000 Sozialwohnungen werden entsprechend Fördermittel in einer Größenordnung von 12,6 bis 14,9 Milliarden Euro benötigt.
Gemäß der Verwaltungsvereinbarung über den sozialen Wohnungsbau stellen die
Länder für die Förderung im Bereich des sozialen Wohnungsbaus Landesmittel im
Umfang von mindestens 30 Prozent der in Anspruch genommenen Bundesmittel bereit. In Ländern, die auf dieser Basis sozialen Wohnungsbau betreiben, finanziert der
Bund knapp 77 % des sozialen Wohnungsbaus.
Insgesamt müsste der Bund, wenn die Länder 30 Prozent der Bundesmittel bereitstellen, zwischen 9,7 und 11,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau pro Jahr
bereitstellen, um 100.000 Neubausozialwohnungen realisieren zu können.
Tabelle 6:
Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau bei unterschiedlichen Energieeffizienzstandards
Herstellkosten (€/m²)
zzgl. Grundstückskosten (€/m²-Wohnfläche)1)
notwendige Kaltmiete (€/m²*Monat)
Kosten für Energieeffizienztechnik (€/m²*Monat)
soll-Miete (€/m²*Monat)
Zielmiete (€/m²*Monat)
Differenz soll-Miete - Zielmiete (€/m²*Monat)
Subventionsbedarf (€/m²)
bei 60 m² insgesamt (€ je Wohnung)
insgesamt bei 100.000 Wohnungen in Mrd. €
Quelle: ARGE Kiel; eigene Berechnungen
Tabelle 7:
GEG
3.257
450
23,00
0
23,00
6,5
16,50
2.092
125.529
12,6
EFF 70
3.329
450
23,44
0
23,44
6,5
16,94
2.147
128.835
12,9
EFF 55
3.451
450
24,18
0,5
24,68
6,5
18,18
2.304
138.237
13,8
EFF 40
3.597
450
25,06
1,0
26,06
6,5
19,56
2.479
148.740
14,9
Subventionsbedarf im sozialen Wohnungsbau bei ermäßigtem
Mehrwertsteuersatz (7%) und unterschiedlichen Energieeffizienzstandards
Herstellkosten (€/m²)
zzgl. Grundstückskosten (€/m²-Wohnfläche)1)
notwendige Kaltmiete (€/m²*Monat)
Kosten für Energieeffizienztechnik (€/m²*Monat)
soll-Miete (€/m²*Monat)
Zielmiete (€/m²*Monat)
Differenz soll-Miete - Zielmiete (€/m²*Monat)
Subventionsbedarf (€/m²)
bei 60 m² insgesamt (€ je Wohnung)
insgesamt bei 100.000 Wohnungen in Mrd. €
Quelle: ARGE Kiel; eigene Berechnungen
GEG
2.929
450
21,03
0
21,03
6,5
14,53
1.841
110.478
11,0
EFF 70
2.993
450
21,41
0
21,41
6,5
14,91
1.890
113.415
11,3
EFF 55
3.103
450
22,08
0,5
22,58
6,5
16,08
2.038
122.265
12,2
EFF 40
3.234
450
22,87
1,0
23,87
6,5
17,37
2.201
132.081
13,2
38
Die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes auf sieben Prozent reduziert den Subventionsbedarf auf gut 110.000 € bei Gebäuden nach dem Gebäudeenergiegesetz und
132.000 € beim Gebäude nach dem Effizienzhausstandard 40. Bei 100.000 Sozialwohnungen reduzieren sich die notwendigen Mittel für Bund und Länder auf 11,0 bis
13,2 Milliarden € je Jahr. Dies ist deutlich mehr, als in der laufenden Legislaturperiode
für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen ist.
Geht man davon aus, dass im Jahr 2022 etwa 20.000 Sozialwohnungen im Neubau
errichtet wurden, so beträgt die Differenz zum Ziel der Koalition allein für dieses Jahr
rund 80.000 Wohnungen. In den Jahren 2023 bis 2025 müssten somit 380.000 Sozialwohnungen gebaut werden, um das Ziel der Koalition zu erreichen. Den Subventionsbedarf zeigt Tabelle 8 für den Rest der Legislaturperiode.
Tabelle 8:
Subventionsbedarf zur Erreichung des Ziels der Bundesregierung
des Neubaus von 400.000 Sozialwohnungen in der laufenden Legislaturperiode
Subventionsbedarf für 100.000
Wohnungen in Mrd. €
Subventionsbedarf der für die
laufende Legislaturperiode
noch fehlenden 380.000 Sozialwohnungen in Mrd. €
GEG
EFF 70
EFF 55
EFF 40
12,6
12,9
13,8
14,9
47,7
49,0
52,5
56,5
Quelle: eigene Berechnungen
Geht man bei der Variante nach dem (bisherigen) GEG von einer Preissteigerung von
3 % je Jahr aus, so erhöht sich der Subventionsbedarf für die fehlenden 380.000 Sozialwohnungen und gleichmäßiger Verteilung auf die Jahre 2023 bis 2025 auf 50,8
Milliarden €. Wenn politisch ein höherer Effizienzstandard gewünscht wird, müssten
die zusätzlichen Mittel aus dem zuständigen Wirtschaftsministerium kommen. Allerdings hat eine aktuelle Untersuchung13 aufgezeigt, dass ausgehend vom gegenwärtig
hohen Niveau der Energiepreise selbst bei einer realen Verdopplung der Energiepreise bis zum Jahr 2045 Gebäude nach dem Gebäudeenergiegesetz (mit den bisherigen Anforderungen) sowohl individuell als auch volkswirtschaftlich eine höhere Wirtschaftlichkeit aufweisen.
Um wichtige gesellschaftliche Projekte dem jährlichen Feilschen um Mittel zu entziehen, hat sich die Einrichtung von Sondervermögen bewährt, wie etwa bei der Bundeswehr oder dem Klimaschutz. Auch dem sozialen Wohnungsbau kommt aktuell eine
sehr hohe Bedeutung zu. Neben dem Abbau der aktuellen Defizite brauchen wir Perspektiven für die hier lebenden Mieterhaushalte und für die, die in den kommenden
Jahren zur Milderung unseres demografischen Problems zu uns kommen sollen. Auch
das Thema Inklusion bedarf einer großen Initiative im Rahmen des sozialen
13
Hrsg.: DGFM -Service GmbH: Wohnungsneubau, THG-Emissionen, Energieverbrauch und Kosten im Lebenszyklus; Berlin, Dezember 2022
39
Wohnungsbaus. Und nicht zuletzt brauchen Bauwirtschaft und Baustoffhersteller Signale, dass der Staat an einer Kontinuität des Wohnungsbaus auf hohem Niveau interessiert ist.
Insgesamt wäre es deshalb sinnvoll, dass Bund und Länder für die restliche Legislaturperiode ein Sondervermögen „Sozialer Wohnungsbau“ mit einer Ausstattung von 50
Milliarden € auflegen.
7.3
Wohngeld
Zwar können auch Wohnungseigentümer Wohngeld (dann Lastenzuschuss genannt)
beziehen, in erster Linie ist das Wohngeld aber eine Unterstützungsleistung für Mieter.
So waren zum Jahresende 2021 knapp 94 Prozent der Bezieher von Wohngeld Mieter.
Bisher bezogen knapp 600.000 Haushalte Wohngeld, was einer Quote von 1,5 Prozent
aller Haushalte oder 2,7 Prozent aller Mieterhaushalte entspricht.
Die Wohngeldreform soll die Zahl der Empfängerhaushalte auf 2 Millionen erhöhen
und gleichzeitig auch das durchschnittlich bezogene Wohngeld individuell erhöhen.
Nach den Angaben des Bauministeriums soll das Wohngeld bei den bisherigen Wohngeldbeziehern von durchschnittlich 180 € je Monat auf 370 € je Monat steigen. Daraus
errechnen sich bereits für die bisherigen Wohngeldbezieher Mehrkosten in Höhe von
gut 1,26 Milliarden €. Wenn die 1,4 Millionen zusätzlichen Wohngeldempfänger im
Durchschnitt 200 € je Monat bekommen, belaufen sich die Kosten hierfür auf 3,36 Milliarden €. Insgesamt ist deshalb wohl eher mit einer Kostensteigerung von 1,4 auf rund
6 Milliarden € je Jahr zu rechnen. Bleibt es bei den Mehrkosten von 4,6 Milliarden €
auch in den Jahren 2024 bis 2026, so belaufen sich diese „Konsumsubventionen“ in
den vier Jahren 2023 bis 2026 auf insgesamt 18,4 Milliarden € - ohne dass dadurch
eine neue Wohnung gebaut wird. Für den sozialen Wohnungsbau – der für den Neubau von Wohnungen steht - sind für diesen Zeitraum Bundesmittel von 12,5 Milliarden
€ vorgesehen.
So wichtig die Wohngeldreform auch ist, gerade in einer Zeit hoher Wohnungsdefizite
und absehbar weiterhin hoher Zuwanderungen benötigt Deutschland zusätzliche Wohnungen. Der Wohnungsbau insgesamt und vor allem der soziale Wohnungsbau ist in
diesen Zeiten zu stärken.
Bei einer unmittelbaren Konsumförderung des Wohnens (Kosten der Unterkunft in den
Bereichen SGB II und Grundsicherung sowie das Wohngeld) in Höhe von künftig deutlich über 20 Milliarden € je Jahr sind die ab 2025 vorgesehenen Bundesmittel von 3,5
Milliarden € je Jahr für den sozialen Wohnungsbau geradezu bescheiden. Aber nur der
soziale Wohnungsbau sorgt für Investitionen in neue Wohnungen. Die Konsumförderung geht letztlich an die Eigentümer bereits bestehender Wohnungen.
40
8
Fazit
Die Bevölkerungsentwicklung war im Gegensatz zu den Erwartungen in den vergangenen 10 Jahren stark positiv und zum Jahresende 2022 werden in Deutschland rund
84,5 Millionen Menschen leben. Die starke Zuwanderung aus der Ukraine wurde begleitet von einem Wiederaufleben auch der Zuwanderungen aus anderen Krisengebieten wie Afghanistan, dem Irak, Syrien und inzwischen wohl auch dem Iran. Kurzfristige Rückwanderungen sind nicht zu erwarten. Erste Befragungen haben ergeben,
dass zum aktuellen Stand etwa 30 Prozent der Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland bleiben wollen und die Erfahrungen aus den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien haben gezeigt, dass zwischen dem Hauptzuzug und der verstärkten Rückkehr
in die Heimat etwa sechs Jahre lagen. Bei der Menschenrechtlage in vielen Ländern
ist auch für die nähere Zukunft eher von einem hohen Niveau der Zuwanderung auszugehen.
Eine hohe Zuwanderung ist mit Blick auf die Aufnahmefähigkeit unserer Arbeitsmärkte
und dem absehbaren Ausscheiden der Baby-Boomer aus dem Erwerbsleben auch
grundsätzlich kein Problem, sondern eher eine Notwendigkeit. Hier sind dringend Maßnahmen zur Qualifizierung und Integration der Zuwanderer, die bleiben wollen, erforderlich. Die Zuwanderung der vergangenen 15 Jahre hat zusammen mit der deutlichen
Ausweitung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht nur unseren aktuellen Wohlstand erhöht, sondern auch unser „Rentenproblem“ ein Stück weit entschärft.
Der Wohnungsbedarf basiert demografisch auf der Entwicklung der Zahl an Erwachsenen und dem Haushaltsbildungsverhalten. Gegenwärtig ist von einer weiteren Zunahme der erwachsenen Bevölkerung und einer, wenn auch abgeschwächten, weiteren Reduzierung der durchschnittlichen Haushaltsgröße auszugehen. Entsprechend
wird die Zahl der Haushalte weiter zunehmen. Die zweite Komponente des Wohnungsbedarfs liegt im Abbau der gegenwärtigen Wohnungsdefizite, die gerade im Jahr 2022
wieder auf etwa 700.000 Wohnungen angestiegen sind. Der dritte Aspekt des Wohnungsbedarf ist der qualitative Bedarf. Rund 10 Prozent des Wohnungsbestandes gelten als technisch/wirtschaftlich nicht sanierungsfähig und sollten bis 2045 ersetzt werden. In der Summe ergibt sich bis zum Jahr 2045 ein Wohnungsbedarf in einer Größenordnung von 350.000 bis 400.000 Wohnungen je Jahr. Das Wohnungsbauziel der
Bundesregierung von 400.000 Wohnungen je Jahr ist zu unterstützen, da die Defizite
auch im Hinblick auf benachteiligte Gruppen möglichst schnell abgebaut werden müssen.
Nicht nur, aber besonders ist hier das Thema Inklusion hervorzuheben. Es reicht nicht,
die UN-Behindertenrechtskonvention zu unterschreiben. Der Inklusionsgedanke muss
beim Wohnen auch mit konkreten Maßnahmen hinterlegt werden.
Gegenwärtig wird insbesondere ab 2024 ein erheblicher Einbruch beim Wohnungsbau
befürchtet. Wenn dies eintritt, besteht die Gefahr, dass abgebaute Kapazitäten und
Fachkräfte nicht wieder aufgebaut bzw. eingestellt werden können. Dem gilt es
41
angesichts der Aufgaben auch beim Klimaschutz entgegenzuwirken. Die Verstetigung
des Wohnungsbaus muss als staatliche Aufgabe verstanden werden.
Die Gestehungskosten (Investitionskosten) für Wohnraum in deutschen Großstädten
liegen aktuell im Median bei ca. 4.900 €/m². Ein aktuell frei finanziert errichteter Wohnungsbau lässt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Kaltmiete von unter ca.
16,50 € nicht mehr zu. Besondere Kostentreiber sind die technischen Anforderungen,
insbesondere für die Energieeffizienz, die Baulandpreise und regelmäßig zusätzliche,
spezifische Standortanforderungen bei innerstädtischen Bauprojekten. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie (Störung der Lieferketten und Materialengpässe) sowie des
Ukraine-Krieges (starke Materialengpässe und extreme Energiekostensteigerungen)
wirken ebenfalls kosten- und preistreibend.
Die Realisierungsdauer von Wohnungsbauvorhaben verlängert sich kontinuierlich seit
Jahren. Das Segment des bezahlbaren/sozialen Wohnraums verlängert sich in seiner
Realisierung drastischer als der Eigentumssektor. Der Median der Realisierungsdauer
von Bauvorhaben bezahlbaren/sozialen Segment liegt mittlerweile bei fast 60 Monaten.
Die Realeinkommen sind im Jahr 2022 gesunken und auch für 2023 gehen viele Experten von einer leichten Absenkung aus. Auch für die Jahre danach wird sich die
Ausweitung der Konsummöglichkeiten in Grenzen halten, da die Investitionserfordernisse zur Erreichung der Klimaziele, aber auch zur Anpassung an bereits eingetretene
Folgen des Klimawandels enorm sein werden. Trotz aller Entlastungspakete hat die
Preisentwicklung gerade Haushalte mit niedrigen Einkommen stark belastet.
Im Zuge dieser Entwicklung ist von einer weiteren Verteuerung des Wohnens auszugehen. In den kommenden Jahren werden sich bei einem weiteren Anstieg der Preise
und Verschiebungen der relativen Preise möglicherweise auch die Konsumpräferenzen der Bevölkerung verändern. Trotz aller Belastungen ist Deutschland nach wie vor
eines der reichsten Länder der Welt, in dem eine Zunahme der relativen Armut kaum
hinnehmbar ist. Wenn heute rund jeder fünfte im Seniorenalter weniger als 60 Prozent
des Medianeinkommens hat, werden damit auch Grundbedürfnisse wie das Wohnen
und der Nahrungskauf für diesen Teil der Senioren tangiert.
Die Dringlichkeit der Schaffung von sozialen und bezahlbaren Wohnungen hat angesichts der demografischen Entwicklung und der Einkommensentwicklung nochmals
zugenommen. Die Gefahr des sozialen „Abrutschens“ vieler Haushalte ist akut und die
Versorgung mit Wohnraum nicht mehr zu gewährleisten, wenn sich der Staat – und
damit sind Bund, Länder und Kommunen gemeint – nicht stärker engagieren. Das
Dach über dem Kopf ist zentral für gesellschaftliche Teilhabe und diese ist vom Staat
für alle hier lebenden Menschen sicherzustellen. Nur wenige Bundesländer, hervorzuheben sind Hamburg, Bayern, Schleswig-Holstein und Berlin, haben ihre Aufgaben in
diesem Bereich bisher vorbildlich wahrgenommen. Die stark an der Einwohnerzahl orientierte Verteilung der Bundesmittel ist zu hinterfragen.
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Wegen der Bedeutung des Wohnens zur Wahrung des sozialen Friedens wie auch zur
Steigerung der Attraktivität für die weiterhin dringend benötigten Zuwanderer wäre die
Initiierung eines Sondervermögens von zunächst 50 Milliarden € für den Rest der Legislaturperiode zu empfehlen. Mit diesem von Bund und Ländern zu finanzierenden
Sondervermögen kann der Bau von 380.000 Sozialwohnungen – vom den 400.000 als
Ziel der Bundesregierung gesetzten neuen Sozialwohnungen in der laufenden Legislaturperiode dürften bisher erst rund 20.000 Wohnungen errichtet sein – erreicht werden, wenn nach dem Standard des Gebäudeenergiegesetzes gebaut wird. Jede Erhöhung der Anforderungen an die Gebäude und Wohnungen erhöht auch den Subventionsbedarf.
Dies wäre ein starkes Signal für alle Wohnungssuchenden. Aber auch die Bauwirtschaft benötigt die Sicherheit eines Mindestmaßes an Kontinuität, um die vorhandenen
Kapazitäten und Fachkräfte zu halten.
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