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er von ihrem Wesen, von ihrem Talent sei, und wie er es
nicht zu denken wage, daß er sie nicht oft wieder sehe,
denn sie habe einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn
gemacht.
Hilde war bewegt und weinte.
Er nahm ihr Köpfchen in seine Hände und küßte
ihr Haar.
„Was wird Mama zu dem allen sagen?“ sprach
Hilde wie vor sich hin.
„Mama weiß, daß Sie unter Mitschülern, daß Sie
Gast eines Dichters waren, mehr soll sie ja nicht wissen.
Gönnen Sie mir es, mit Ihnen, die ich anbete, ein Ge—
heimnis zu teilen!“
„Was für ein Geheimnis?“ fragte Hilde halb naiv
und halb mit instinktiver, bewußter Zurückweisung.
Prokopius biß sich auf die Lippen. „Sie haben
recht,“ sagte er kleinlaut, „denn daß ich Sie liebe, soll
ja kein Geheimnis bleiben.“
„Aber Sie kennen mich doch noch gar nicht, wie
kommt es, daß Sie mich lieben?“
Prokopius nahm darauf wieder ihren Kopf in beide
Hände, küßte ihre Augen und sagte: „Heilige! Um sich
zu lieben genügt ein Augenblick.“
Hilde überlegte. Es war doch schön, gefeiert, ge—
liebt zu sein, in einem so eleganten Wagen zu fahren.
Sollte sie den Mann, der ihr dies alles bot, beleidigen,
von sich stoßen? Hat sie denn im Leben schon etwas
Gutes gehabt? Weiß sie überhaupt etwas von der Schön—
heit des Daseins? Jetzt kommt ihrer Unerfahrenheit
das Glück entgegen; soll sie's von sich weisen, weil sie
den Mann, der's brachte, nicht auf den ersten Blick lieben
kann? Vergibt sie sich etwas damit, wenn sie sich wie
einen Götzen verehren lasse?