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Hilde

Full text: Babel-Berlin / Gruenstein, Josef Rudolf (Public Domain)

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er von ihrem Wesen, von ihrem Talent sei, und wie er es 
nicht zu denken wage, daß er sie nicht oft wieder sehe, 
denn sie habe einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn 
gemacht. 
Hilde war bewegt und weinte. 
Er nahm ihr Köpfchen in seine Hände und küßte 
ihr Haar. 
„Was wird Mama zu dem allen sagen?“ sprach 
Hilde wie vor sich hin. 
„Mama weiß, daß Sie unter Mitschülern, daß Sie 
Gast eines Dichters waren, mehr soll sie ja nicht wissen. 
Gönnen Sie mir es, mit Ihnen, die ich anbete, ein Ge— 
heimnis zu teilen!“ 
„Was für ein Geheimnis?“ fragte Hilde halb naiv 
und halb mit instinktiver, bewußter Zurückweisung. 
Prokopius biß sich auf die Lippen. „Sie haben 
recht,“ sagte er kleinlaut, „denn daß ich Sie liebe, soll 
ja kein Geheimnis bleiben.“ 
„Aber Sie kennen mich doch noch gar nicht, wie 
kommt es, daß Sie mich lieben?“ 
Prokopius nahm darauf wieder ihren Kopf in beide 
Hände, küßte ihre Augen und sagte: „Heilige! Um sich 
zu lieben genügt ein Augenblick.“ 
Hilde überlegte. Es war doch schön, gefeiert, ge— 
liebt zu sein, in einem so eleganten Wagen zu fahren. 
Sollte sie den Mann, der ihr dies alles bot, beleidigen, 
von sich stoßen? Hat sie denn im Leben schon etwas 
Gutes gehabt? Weiß sie überhaupt etwas von der Schön— 
heit des Daseins? Jetzt kommt ihrer Unerfahrenheit 
das Glück entgegen; soll sie's von sich weisen, weil sie 
den Mann, der's brachte, nicht auf den ersten Blick lieben 
kann? Vergibt sie sich etwas damit, wenn sie sich wie 
einen Götzen verehren lasse?
	        
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