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Hilde

Full text: Babel-Berlin / Gruenstein, Josef Rudolf (Public Domain)

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auf den Souffleur schimpfte, er habe immer zu spät 
„angeschlagen“. 
„Ja, kennen Sie denn Ihre Rolle nicht?“ 
„Ach, was! Solchen Quark lernt man nicht so wort— 
getreu!“ Damit war sie in ihre Garderobe geeilt. Sie 
hatte keine Ahnung, zu wem sie sprach; denn sie war, 
ohne daß Prokopius es wußte, im letzten Augenblick für 
eine erkrankte junge Dame eingesprungen, die im ganzen 
vier Zeilen zu sprechen und drei Stichworte „zu bringen“ 
hatte. Prokopius war wie vom Donner gerührt. Da— 
walaghi war jetzt abgegangen, gerade auf Prokopius zu. 
Draußen hörte man von einer Hand Beifall spenden, 
worauf vielfaches Pst, Pst, ertönte. 
„Gemeinheit!“ rief Dawalaghi, „wir haben Kol— 
legen im Saal!“ 
Prokopius verstand mit Freuden. Dawalaghi meinte, 
neidische Kollegen gönnten ihm den Beifall nicht. Wie 
froh war Prokopius, daß das Zischen dem Schauspieler 
und nicht seinem Werke galt. Im Kampf, sei er welcher 
Art immer, tritt der Eigennutz des Erdensohnes unver— 
hüllt hervor und fordert naiv Daseinsberechtigung. „Mag 
der Nächste erliegen, wenn ich nur aufrecht bleibe!“ Das 
ist die brutale Empfindung, die jeden dann beherrscht. 
Und im Kampf um die Gunst des Ehre und Ruhm spen— 
denden Publikums ist es nicht anders. Daher die Ge— 
hässigkeiten in Schauspieler-, Schriftsteller- und Künstler— 
kreisen überhaupt. Der Haß aber wird zum Förderer 
der höchsten Anspannung der Kräfte, und darum zählt 
auch er nach ewigen Gesetzen zu den Förderern der mensch— 
lichen Entwicklung. 
Der erste Akt war unter eisigem Schweigen des 
Publikums zu Ende gegangen. Hilde stand auf der 
Bühne und sah durch das Guckloch des Vorhangs. Pro—
	        
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