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Zweites Buch. Ruth Fünftes Kapitel

Full text: René Richter / Brieger, Lothar (Public Domain)

246 — 
Fünftes Kapitel. 
Um diese Zeit geschah es, daß Frau Richter 
plötzlich erkrankte. Es waren keine Schmerzen, son⸗ 
dern ihre Glieder versagten ihr einfach den Dienst. 
Ihr Körper war mit den Jahren und mit wachsender 
Fülle immer phlegmatischer geworden, und auch ihr 
Geist war allmählich verfettet, und im engen Zirkel 
der Haushaltungssorgen eingefangen, hatte er müde 
resigniert, nachdem er in den ersten Jahren der Ehe 
noch krampfhaft unter Flügelschlagen sich zu befreien 
versuchte. Schon in den letzten Jahren war ihre 
Trägheit auffallend und beunruhigend gewesen. Sie 
empfand keinen Hang mehr, sich gut anzuziehen, son⸗ 
dern lief zum Entsetzen ihrer Familie tagsüber un— 
frisiert und im schmutzigen Schlafrock in der Woh— 
nung herum. Nur, wenn es Besuch gab oder Ge—⸗ 
sellschaft bei ihnen war, erwachte plötzlich in ihr das 
stolze und prunklustige Richtersche Blut, so daß sie 
in ihrem Seidenkleid und mit kunstvoll frisiertem 
Haar durch die Räumlichkeiten rauschte, wobei man 
zugeben mußte, daß Frau Richter auch trotz ihrer 
Jahre noch immer eine schöne Frau zu nennen war, 
deren distinguierte Erscheinung mit Ehren neben den 
jungen Mädchen bestand. 
Das behagliche Hinleben des Alltags ohne Lei⸗ 
denschaften, ja mit krankhafter Scheu vor jeder Auf⸗ 
regung hatte sich gerächt. Das Blut war unrein 
und stagnierend geworden. Und nun war es so weit 
gekommen, daß die Organe zeitweise beängstigend
	        
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