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Fünftes Kapitel.
Um diese Zeit geschah es, daß Frau Richter
plötzlich erkrankte. Es waren keine Schmerzen, son⸗
dern ihre Glieder versagten ihr einfach den Dienst.
Ihr Körper war mit den Jahren und mit wachsender
Fülle immer phlegmatischer geworden, und auch ihr
Geist war allmählich verfettet, und im engen Zirkel
der Haushaltungssorgen eingefangen, hatte er müde
resigniert, nachdem er in den ersten Jahren der Ehe
noch krampfhaft unter Flügelschlagen sich zu befreien
versuchte. Schon in den letzten Jahren war ihre
Trägheit auffallend und beunruhigend gewesen. Sie
empfand keinen Hang mehr, sich gut anzuziehen, son⸗
dern lief zum Entsetzen ihrer Familie tagsüber un—
frisiert und im schmutzigen Schlafrock in der Woh—
nung herum. Nur, wenn es Besuch gab oder Ge—⸗
sellschaft bei ihnen war, erwachte plötzlich in ihr das
stolze und prunklustige Richtersche Blut, so daß sie
in ihrem Seidenkleid und mit kunstvoll frisiertem
Haar durch die Räumlichkeiten rauschte, wobei man
zugeben mußte, daß Frau Richter auch trotz ihrer
Jahre noch immer eine schöne Frau zu nennen war,
deren distinguierte Erscheinung mit Ehren neben den
jungen Mädchen bestand.
Das behagliche Hinleben des Alltags ohne Lei⸗
denschaften, ja mit krankhafter Scheu vor jeder Auf⸗
regung hatte sich gerächt. Das Blut war unrein
und stagnierend geworden. Und nun war es so weit
gekommen, daß die Organe zeitweise beängstigend