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Full text: Café Größenwahn / Austerlitz, Rose (Public Domain)

selbst die spröde Miez war nach unendlichen Gedulds⸗ 
proben im Bilde festgehalten. Nun verzögerte Eva ab⸗ 
sichtlich die Fertigstellung der Porträts. Die Baronin 
hatte sie so lieb gewonnen, daß sie Eva überhaupt nicht 
mehr fortlassen wollte, und auch den kleinen Mädchen 
war sie eine interessante Abwechselung gewesen. 
Es wurde jetzt nur noch jeden zweiten Tag gemalt, 
und Eva dachte mit Unbehagen an die Rückkehr nach 
Berlin, die doch einmal erfolgen mußte. Halb und halb 
faßte sie den Entschluß, nach München zurückzukehren. 
Marie, die am ersten Sonntag bei ihr gewesen war, hatte 
erzählt: „Er war gestern da.“ — Eva unterdrückte 
einen Aufschrei. Marie fuhr fort: „Das Gesicht hättest 
du sehen sollen, er hätte dir wirklich leid getan. Kreide⸗ 
bleich, mit zusammengebissenen Zähnen stand er da 
und starrte zu Boden. Ich ließ ihn eintreten, er blieb 
eine volle Stunde, um von mir deinen Aufenthaltsort 
zu erfahren. Ich war feige, Eva, ich traute mich nicht, 
ihm zu sagen, daß ich es wüßte. Er glaubte es zwar 
nicht, aber ich blieb dabei. In allen Tonarten bat und 
forderte er Auskunft und war außer sich. Wenn ich dir 
nicht mein Ehrenwort gegeben hätte, so hätte ich es ihm 
gesagt, wo du bist. Schließlich wurde er kalt und bös. 
Als er ging, fragte ich ihn ganz schüchtern, ob ich dir 
etwas bestellen sollte, falls du schriebest. „Nein, ich 
dankel“, sagte er kurz und ging.“ 
Eva hatte Marie schweigend angehört und zitterte 
vor verhaltener Erregung. Sie hätte es nie für möglich 
gehalten, daß sie so in tiefster Seele getroffen werden 
konnte, und des Nachts weinte sie verzweifelte Tränen. 
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