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Hauslehrerleben

Full text: Aus acht Jahrzehnten / Schultze, Karl (Public Domain)

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86 jähriger Vater, der seinen Wohnort in Potsdam bei einer 
dort verheirateten Tochter hatte, kam im Sommer jedes Jahres 
auf längere Zeit nach Grimnitz und wußte viel aus alter Zeit 
zu erzählen, namentlich aus der Franzosenzeit. Die beiden Brü— 
der, die damals ein Haus in der Dorotheenstraße besaßen, dort, 
wo jetzt der Hegelplatz ist, müssen eifrige Patrioten gewesen sein. 
Nls Napoleon 1806 seinen Einzug in Berlin hielt, wo „Ruhe 
als erste Bürgerpflicht“ von oben her befohlen war, illuminierte 
ganz Berlin, und die Dorotheenstraße desgleichen. Der unver⸗ 
heiratete Bruder war ausgegangen, um die Stadt zu besehen 
und die Franzosen zu beobachten. Als er ganz empört über 
die feigen Berliner nach Hause zurückkehrte und sein eigenes 
Haus auch illuminiert sah, stürmte er zornig erregt hinein und 
löschte die Lichter aus. Und nun erhob sich ein heftiger Streit 
zwischen den Brüdern, indem der eine sein Haus und seine Fa— 
milie vor den Franzosen sichern wollte und deshalb die Kerzen 
wieder anzündete, der andere, seinem patriotischen Gefühl fol— 
gend, sie immer wieder auslöschte, bis der Familiensinn über 
den Patriotismus die Herrschaft erlangte. Echter Familiensinn 
und vaterländische Gesinnung herrschten auch auf Amt Grimnitz 
Die Frau meines Prinzipals, Pauline, war eine geborene Baath 
aus Sachsendorf im Oderbruch, wo ihr Vater als hervorragen⸗ 
der Landwirt eine angesehene Stellung neben Thaer u. a. ein⸗ 
nahm. Auf Thaers Denkmal am Schinkelplatz in Berlin ist 
sein Bild als Relief am Sockel deshalb dargestellt. Pauline 
Zarnack geb. Baath war das Musterbild einer deutschen Haus— 
frau und Mutter. Mit einem tiefen, treuen Gemüt verband sie 
einen klaren, hellen Verstand, einen festen Willen und eine Um— 
sicht, der im Hause nichts verborgen blieb. Die Leute im Hause 
und im Dorfe sagten von ihr: „Die kiekt durch en eechen Brett“ 
(eichenes Brett). Mit rührender Zärtlichkeit war sie um das 
leibliche Wohl und um die geistige Entwickelung der Kinder be— 
müht. Ein zu früher Tod hat sie in ihrem 53. Lebensjahre dem 
Gatten und den Kindern im Jahre 18858, auch mir entrissen.
	        
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