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Die Eltern

Full text: Aus acht Jahrzehnten / Schultze, Karl (Public Domain)

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ihr dunkles Auge war stets voller Leben und brachte ihre innere 
Stimmung zum Ausdruck. Sie war mit den klassischen Dich— 
tern vertraut, musikalisch gebildet und sang mit Vorliebe Kör⸗ 
nersche Lieder. Auch größere Stücke, wie die Balladen von 
Zumsteeg, trug sie uns Kindern vor; und es ist kein Zweifel, 
daß wir alle nicht bloß eine gewisse musikalische Begabung von 
ihr geerbt haben, sondern daß durch sie frühzeitig der Tonsinn 
in ihren Kindern geweckt und gepflegt worden ist. Von mir 
selber muß ich bemerken, daß ich ihrer Einwirkung und der Ab— 
stammung von ihr ein reges Phantasieleben zu verdanken 
habe, das mich bis in mein Alter nicht verlassen hat. — Arbeit, 
Sorge und Kummer haben frühzeitig in der Mutter die Lebens⸗ 
freudigkeit geknickt und die Eigentümlichkeit ihres Temperamentes 
zerstört. Seit den Tagen von Reitwein haben wir sie nur selten 
noch singen hören, und in Königsberg niemals mehr. Nachdem 
ihr drei Kinder durch den Tod genommen waren, und als die 
tägliche Sorge um die Gesundheit des Mannes sie niederdrüchte, 
sprach ihr sonst so lebens- und liebevolles schwarzes Auge nur 
von Herzenskummer und blickte trübe in die Welt. Und als sie 
zur Witwe geworden war und die Zukunft der sieben Kinder, 
von denen das jüngste Jahre hindurch krank war, ihr täglich 
schwer auf dem Herzen lag, da siechte sie auch dahin und starb 
drei Jahre nach dem Tode des geliebten Mannes am 30. Ja⸗ 
nuar 1843. Sie wurde neben ihm bestattet, und wir sieben 
waren nun zwiefach verwaist. — An ihrem Grabe redete der 
Archidiakonus Liers uns an und schloß mit den Worten, die 
sich mir tief eingeprägt haben: „Ihr lieben Kinder solcher Eltern, 
wie sie hier nebeneinander ihre Ruhe von der Arbeit gefunden 
haben, euch kann und wird Gott nicht verlassen; ja ich sehe 
schon im Geiste die Hände, die sich nach euch ausstrecken wer⸗ 
den, um euch zu helfen und zu leiten.“ Der edle Mann, später⸗ 
hin Pastor in Bechlin bei Neu-Ruppin, hatte schon nach dem 
Tode des Vaters die Vormundschaft für uns übernommen und 
hat, Dank sei ihm auch noch im Grabe, mit Opferfreudigkeit 
Schultze. Aus acht Jahrzehnten. 2
	        
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