202
keinen treffenderen Ausdruck, als den, womit Paul Gerhardt in jenem
Liede sein von Dank übervolles Herz immer und immer wieder aus⸗
tönen läßt:, Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit!.
Alles Ding währt seine Zeit! Fürwahr ein passendes
Wort, beherzigenswert überall, wo Menschen oder Menschen⸗
werke, menschliche Gründungen und Einrichtungen gefeiert werden,
beherzigenswert auch in dieser Stunde, wo wir die Gründung
und das fünfzigjährige Bestehen einer Lehrerbildungsanstalt
feiern, beherzigenswert für die Greise unter uns mit weißem
Haar, wie für die Jünglinge mit den Jugendlocken. — Aber
das Wort enthält noch eine besondere Bedeutung im Hinblick
auf die fünfzigjährige Geschichte dieser Anstalt, die vielleicht
mehr als alle anderen die Unbeständigkeit und den stetigen
Wechsel menschlicher Geistesrichtungen und Zeitströmungen zeigt. —
Fünfzig Jahre Geschichte! Wie klein und bedeutungslos er—
scheint diese Spanne Zeit gegenüber der Geschichte unseres Vater⸗
landes, wie klein auch im Vergleich mit der Entwickelung anderer
Lehranstalten, die nach Jahrhunderten zählen. Aber dennoch
sind sie bedeutungsvoll, diese fünfzig Jahre, ja gerade des—
halb so bedeutungsvoll, weil sie die ersten fünfzig Jahre
—D00
tag dieser Anstalt, wie der erste Geburtstag eines Menschen—⸗
kindes, den ja auch die Eltern deshalb ganz besonders feiern,
weil die schwersten Gefahren für das Kindesleben gerade in der
ersten Zeit seiner Entwickelung liegen. Gestatten Sie mir einen
Blick zu tun in die Entwickelungsphasen dieser fünfzig Jahre.
Versetzen wir uns zwei Menschenalter zurück! Da brachte
die politische Neugeburt unseres Staates auch neue Gebilde auf
dem Gebiete der Volkserziehung, und unter diesen stand die
Gründung zahlreicher Lehrerseminare obenan. Pestalozzi hatte
gebrochen mit der traditionellen Unterrichtsmethode und den
Schaden aufgedeckt, der in der bisherigen Trennung von Unter⸗
richt und Erziehung lag. Der Unterricht sollte nicht länger ein
Aufklärungsmittel des Verstandes, sondern Entwickelungsmittel