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Die Zeit der Erfüllung. 1858-1888.
lagerungszustand — wurden zuerst über Berlin verhängt, in den folgen—
den Jahren auch über einige andere Städte: Hamburg, Altona, Leipzig,
Frankfurt a. M., Hanau und Stettin. Das Gesetz wurde mit großer
Strenge angewendet, namentlich waren die zahlreichen Ausweisungen eine
Maßregel von furchtbarer Härte. Diejenigen allerdings, welche weder sozial—
demokratische, noch sozialistische oder kommunistische Neigungen bekundeten,
wurden nicht davon betroffen und merkten kaum die Beschränkungen des
kleinen Belagerungszustandes. Nur machte die genaue Befolgung der volizei—
lichen Vorschriften einige Unbequemlichkeiten, wenn man die Ankunft aus—
wärtigen Besuches oder den Zuzug von auswärts kommender Dienstboten
anzumelden hatte, auch wenn man Waffen besaß und diese zu irgend einem
Zwecke über die Straße getragen werden mußten.
Als der Kaiser durch seine Kur in Teplitz und Gastein, dann durch
weiteren Erholungsaufenthalt am Bodensee und in Wilhelmshöhe gesundet
war und wieder die Regierung übernehmen konnte, kehrte er am 5. Dezember
nach Berlin zurück. Hier hatte man große Vorbereitungen zu seinem Emp—
fange getroffen. Die Ausschmückung der Straßen trug diesmal einen anderen
Charakter als bei früheren Einzügen, wo kriegerische Taten verherrlicht
wurden, während es sich jetzt darum handelte, Freude, Mitgefühl, Dank
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an der ersten Stelle des Empfangs, am Potsdamer Platz, der von den
Baumeistern Kyllmann und Heyden aufgeführte Obelisk. Durch glückliche
Wahl der Stellung, durch Schönheit der Form, reichen Schmuck und durch
die Verbindung mit laufenden Brunnen, die bis dahin in Berlin beinahe
ganz fehlten, fand er allgemeinen Beifall. Der Wunsch wurde laut, daß
er in festem Material hergestellt als ein Zeichen der Erinnerung und als
Schmuck erhalten werde. Leider ließ sich dieser Plan nicht ausführen, weil
ein großes Denkmal an dieser Stelle den Verkehr allzu sehr behindert. Die
Linden waren wieder mit großen Velarien, die Akademie mit Bildwerken
und Transparent-Gemälden geschmückt, unter denen Paul Meyerheims:
Berlin mit dem Kreuzbergdenkmal besondere Aufmerksamkeit erregte.
Auf dem Potsdamer Platz war eine Parade-Abteilung der Feuer—
wehr aufgestellt. Vom Pariser Platz bis zum Palais standen auf beiden
Seiten der Linden die Studierenden der Hochschulen, die Turner, die Mit—
glieder der Kriegervereine und die Invaliden des Berliner Invalidenhauses.
Der Kaiser, wieder in Uniform mit Helm aind Mantel, sah frisch
und rüstig aus, freundlich grüßte er nach allen Seiten, aber mit der linken
Hand, denn der rechte Arm ruhte noch in der Binde. Vieltausendstimmiger
Jubelruf erscholl überall, als man ihn erblickte. Auf dem Pariser Platze
klangen auch die Schläger der Chargierten gegeneinander, die Musikkorps
schmetterten darein, Fahnen, Banner, Tücher wehten, Tauben mit flattern—