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Zweiter Teil. 1874-1877 Fünftes Kapitel. Abkühlung in den französisch-russischen Beziehungen

Full text: Meine Botschafterzeit am Berliner Hofe 1872-1877 / Gontaut-Biron, Élie de (Public Domain)

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Abkühlung in den französisch-rufsischen Beziehungen. 
weiter auseinandersetzen. Ich verkenne die Richtigkeit Ihrer Be— 
merkungen keineswegs: wir haben Rußland gegenüber eine Schuld 
des Dankes abzutragen und andererseits seine ernsten Inter— 
essen für die Gegenwart und die Zukunft zu schonen. Allein wir 
dürfen ihm einerseits nicht blindlings und sogar auf seinen Irr⸗ 
wegen folgen; so geht man z. B. jetzt viel zu hastig vor, und läßt zu 
sehr seinen Ärger mitsprechen; und andererseits können wir, ohne 
die Gefahr, unsere jetzige und künftige Stellung zu schädigen, uns 
nicht dem aussetzen, die öffentliche Meinung uns zu entfremden 
und gegen Rußland und seine Politik eine lärmende, unüberlegte 
Kundgebung heraufzubeschwören, die zweifellos in der Luft liegt. 
„Herr Thiers hat dieser Bewegung durch seine Sprache, durch 
die Äußerungen seiner Zeitungen und durch den Eifer, mit dem er 
vor allem das Bündnis mit England zu verteidigen sucht, bedeu— 
tenden Vorschub geleistet. Wenn ich versuchen würde, dieser 
Strömung schroff entgegenzutreten, würde ich vielleicht Erfolg ha— 
ben, aber jedenfalls wären Auseinandersetzungen und mißliebige 
Erklärungen unvermeidlich, die später zwischen uns eine Miß— 
stimmung zurücklassen würden. Den krankhaften Zustand der 
öffentlichen Meinung, dem die 21 Panzerschiffe der Engländer in 
der Levante nicht fern stehen, muß man schonen und vorsichtig be— 
handeln. Damit England wieder Vertrauen gewinnt, und mich 
handeln läßt, muß ich meine Unabhängigkeit behaupten können, 
ich muß vor allem den Erfolg haben, wenigstens den Schein einer 
Annäherung zwischen den Kabinetten von Sankt James und Pe— 
tersburg erreicht zu haben. Es ist augenblicklich nur von einem 
angeblichen Bündnis zwischen London und Berlin die Rede, nach 
Nachrichten aus Wien sogar von unterzeichneten geheimen Ver— 
trägen; man folgert daraus, daß wir allein und lediglich auf den 
Schutz des ohnmächtigen Rußland angewiesen dastehen. Man 
muß also diese unnützen Besorgnisse fallen lassen und Zeit ge— 
winnen. 
„Andererseits tritt mir diese Vorliebe Rußlands für ein be— 
waffnetes Eingreifen Österreichs zum ersten Mal entgegen. Ich 
hatte schon seit August für unser Einvernehmen mit Rußland die 
Bedingung gestellt, daß weder von einer Intervention noch Okku— 
pation die Rede sein dürfe. Vor kaum zwei Monaten fragte mich
	        
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