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Abkühlung in den französisch-rufsischen Beziehungen.
weiter auseinandersetzen. Ich verkenne die Richtigkeit Ihrer Be—
merkungen keineswegs: wir haben Rußland gegenüber eine Schuld
des Dankes abzutragen und andererseits seine ernsten Inter—
essen für die Gegenwart und die Zukunft zu schonen. Allein wir
dürfen ihm einerseits nicht blindlings und sogar auf seinen Irr⸗
wegen folgen; so geht man z. B. jetzt viel zu hastig vor, und läßt zu
sehr seinen Ärger mitsprechen; und andererseits können wir, ohne
die Gefahr, unsere jetzige und künftige Stellung zu schädigen, uns
nicht dem aussetzen, die öffentliche Meinung uns zu entfremden
und gegen Rußland und seine Politik eine lärmende, unüberlegte
Kundgebung heraufzubeschwören, die zweifellos in der Luft liegt.
„Herr Thiers hat dieser Bewegung durch seine Sprache, durch
die Äußerungen seiner Zeitungen und durch den Eifer, mit dem er
vor allem das Bündnis mit England zu verteidigen sucht, bedeu—
tenden Vorschub geleistet. Wenn ich versuchen würde, dieser
Strömung schroff entgegenzutreten, würde ich vielleicht Erfolg ha—
ben, aber jedenfalls wären Auseinandersetzungen und mißliebige
Erklärungen unvermeidlich, die später zwischen uns eine Miß—
stimmung zurücklassen würden. Den krankhaften Zustand der
öffentlichen Meinung, dem die 21 Panzerschiffe der Engländer in
der Levante nicht fern stehen, muß man schonen und vorsichtig be—
handeln. Damit England wieder Vertrauen gewinnt, und mich
handeln läßt, muß ich meine Unabhängigkeit behaupten können,
ich muß vor allem den Erfolg haben, wenigstens den Schein einer
Annäherung zwischen den Kabinetten von Sankt James und Pe—
tersburg erreicht zu haben. Es ist augenblicklich nur von einem
angeblichen Bündnis zwischen London und Berlin die Rede, nach
Nachrichten aus Wien sogar von unterzeichneten geheimen Ver—
trägen; man folgert daraus, daß wir allein und lediglich auf den
Schutz des ohnmächtigen Rußland angewiesen dastehen. Man
muß also diese unnützen Besorgnisse fallen lassen und Zeit ge—
winnen.
„Andererseits tritt mir diese Vorliebe Rußlands für ein be—
waffnetes Eingreifen Österreichs zum ersten Mal entgegen. Ich
hatte schon seit August für unser Einvernehmen mit Rußland die
Bedingung gestellt, daß weder von einer Intervention noch Okku—
pation die Rede sein dürfe. Vor kaum zwei Monaten fragte mich