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Zweiter Teil. 1874-1877 Fünftes Kapitel. Abkühlung in den französisch-russischen Beziehungen

Full text: Meine Botschafterzeit am Berliner Hofe 1872-1877 / Gontaut-Biron, Élie de (Public Domain)

Herr von Gontaut spricht für Zuwarten. 
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daß Sie nicht, wie England, völlig auf eine Note und auf das 
Konzert zu verzichten beabsichtigen, dadurch würde mir das wei—⸗ 
tere sehr erleichtert werden. Offenbar sind die Leute hier viel 
zu hitzig, aber es ist mir noch nicht gelungen, sie davon zu über— 
zeugen.“ 
Herr von Gontaut versäumte jedoch keine Gelegenheit, dies 
zu erreichen. In allen seinen Unterredungen bemühte er sich, die 
russische Regierung zum Hinhalten zu bestimmen. Zu dem Krei— 
se seines gewöhnlichen Verkehrs gehörte auch der Baron von Jo— 
mini. Dieser ging bereitwilliger und leichter auf die Ideen des 
Herzog Decazes ein, und vermochte durch die Wiederholung der 
Gontautschen Vorschläge auf die Entschließungen des Kanzlers ei— 
nen günstigen Einfluß auszuüben. Das verfehlte auch seine 
Wirkung nicht: man wird plötzlich den Kaiser von Rußland sei⸗ 
nen, den Mächten unterbreiteten unüberlegten Vorschlag zurück— 
ziehen, und einem erneuten Aufschub zustimmen sehen. — 
„Heute morgen,“ schreibt Herr von Gontaut in seinen Auf—⸗ 
zeichnungen unter dem 6. Juni, „hatte ich mit Herrn von Jomini 
eine lange interessante Unterhaltung über die Note und ihre Über— 
sendung an die Pforte. 
„Ich machte alle Einwendungen gegen ein übereiltes Vor— 
gehen geltend, das sicherlich von der öffentlichen Meinung verur— 
teilt und vielleicht zugunsten Englands ausgebeutet werden wür— 
de. Baron Jomini war ohne Zweifel auf diese Einwendungen 
vorbereitet, die teilweise durch den Herzog Decazes dem Fürsten 
Orlow vorgestellt worden waren, und auf den Fürsten Gortscha— 
kow auch einen gewissen Eindruck gemacht hatten. Ich glaube jetzt, 
daß sie auch von dem Grafen Andrassy erhoben worden sind, und 
vielleicht ebenso von Deutschland, so daß die Hartnäckigkeit des 
Kanzlers unzweifelhaft erschüttert ist. 
„Die Besprechung zwischen mir und Jomini endigte mit 
einem Kompromiß zwischen dem Projekt des Kanzlers und dem 
Widerstand der übrigen Mächte: wir kamen dahin überein, daß, 
wenn auch die Überreichung der Note verschoben, und ihre Fassung 
geändert werden sollte, wenigstens die fünf Mächte, — England 
wollte allein bleiben, — erneut die Übereinstimmung ihrer An— 
schauungen über den Zweck der Note aussprechen sollten. Nachdem
	        
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