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Zweiter Teil. 1874-1877 Drittes Kapitel. Die Krisis 1875 (Fortsetzung). Das Eingreifen Europas

Full text: Meine Botschafterzeit am Berliner Hofe 1872-1877 / Gontaut-Biron, Élie de (Public Domain)

Orlows Besprechung mit dem Marschall. 
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gesetzt werden? Würde es unseren Interessen entsprechen, auch 
England an seine Seite zu stellen? Müßte man verlangen, dazu 
auch noch Italien und selbst Österreich heranzuziehen? Damit 
wäre allerdings der Kongreß fertig. Ich habe den Eindruck, daß 
Deutschland nicht geneigt ist, ihn anzunehmen, und ich verkenne 
nicht, daß er auch für uns nicht ohne Unbequemlichkeiten wäre. 
Darum ist es vielleicht doch zweckmäßiger, sich Rußland gegen— 
über auf den Vertrauensstandpunkt zu stellen, und daraus Nutzen 
zu ziehen. Ich kann darüber erst klar sehen, wenn ich im Besitz 
Ihrer Eindrücke von der Berliner Zusammenkunft bin. (Desprez 
hat in einem uns dieser Tage mitgeteilten Telegramm ausgespro— 
chen, daß man Deutschland oder sogar den drei Mächten die Ab— 
sicht beilegt, die Zustimmung ganz Europas zu den Berliner Ab— 
machungen des Jahres 1872 herbeizuführen.) Das wäre auch 
nichts anderes als eine Art Kongreß.) 
„Ich bin in meinem Schreiben durch Orlow unterbrochen 
worden, der soeben dem Kaiser Alexander über seine Besprechung 
mit dem Marschall ungefähr in folgendem Sinne berichtet hat: 
„Der Marschall sagte mir, daß er sich in seinem Herzen über 
das Mißtrauen, mit dem man ihn verfolgte, und das weder durch 
sein persönliches Verhalten noch seine Regierungsakte gerecht- 
fertigt sei, tief verletzt fühle. Er verlangt vom Kaiser weder eine 
Vermittelung noch ein Schiedsgericht, aber er rechnet auf sein 
energisches und, wie er vertraut, entscheidendes Eintreten für den 
Frieden.“ 
„Orlow faßt die Situation in Berlin dahin zusammen: „Der 
Feldmarschall Moltke will den Krieg; Fürst Bismarck will ihn nur, 
wenn er möglich ist, ohne unserem Anathema zu verfallen; Feld— 
marschall Manteuffel ist entschieden für den Frieden.“ 
„Und Kaiser Wilhelm?“ fragte ich. Darauf gab der Kaiser 
keine Antwort. 
„Die Frage der Abrüstung hat Orlow in seiner Depesche bei— 
seite gelassen, um die Gedanken seines Herrn nicht darauf hin zu 
lenken; er bezeichnet sie ohne weiteres als den Interessen Ruß⸗ 
land entgegenstehend, und wollte die Vermutung nicht aufkommen 
JF *) Zusammenkunft der Kaiser von Deutschland, Rußland und Osterreich im— 
September 1872.
	        
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