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Die Krisis des Jahres 1875.
sind, unwiderstehlich zum Krieg gegen Deutschland treiben wer—
den? Und wenn wir Frankreich wieder erwachen und erstarken
lassen, haben wir nicht alles zu fürchten? Wenn aber der innerste
Gedanke Frankreichs die Revanche ist, — und es kann kein an—
derer sein, — warum dann mit dem Angriff warten, bis es wie—
der seine Kräfte gewonnen und Bündnisse geschlossen hat? Sie
müssen in der Tat zugeben, daß diese Schlußfolgerungen vom po—
litischen, philosophischen und selbst vom schristlichen Stand—
punkt aus berechtigt und ähnliche Erwägungen wohl geeignet sind,
Deutschland den Weg zu zeigen.“
„Auch der österreichische Botschafter hatte mich erst vor kur—
zem auf die Perspektive bezüglich unserer Situation hingewiesen,
aber nie sind mir die Gedanken des Reichskanzlers so unverhüllt,
so klar und so überzeugend dargestellt worden; denn man kann
darüber nicht im unklaren sein, daß, wenn die von Herrn von Ra—
dowitz hier entwickelten Anschauungen einige Male dem Fürsten
Bismarck von den Parteiführern vorgetragen werden, — und
nichts ist natürlicher als das, — mit Sicherheit anzunehmen ist,
daß er sie zu seinen eigenen macht, und sich die Logik daraus ganz
von selbst ergibt.
„Eine Erwiderung war nicht leicht; nicht daß ich etwa im ge—
ringsten in Verlegenheit gewesen wäre, Herrn von Radowitz über
unsere derzeitigen Gesinnungen zu beruhigen; — das hatte ich be—
reits getan und auch Glauben bei ihm gefunden, — allein er ging
weiter: er unterwarf auch die Zukunft einer Beurteilung, er
forschte mich darüber aus und konnte aus meinen Antworten
Schlüsse ziehen, die meinen Gedanken ferne lagen, oder für uns
gefährlich werden konnten. Was ich jedoch deutlich herausfühlte,
das war jene Absicht, die die Köpfe der deutschen Staatsmänner
beherrscht: Frankreich, das nur an die Revanche denken kann, an—
zugreifen, ehe es seine Kräfte wiedergewonnen hat, und diesmal,
um es unheilbar zu vernichten.
„Herr von Radowitz ließ sich im Laufe des Gespräches, ähn⸗
lich wie Herr von Bülow, nur noch bestimmter als dieser, zu dem
Geständnis herbei, daß Frankreichs Politik dem Ausland gegen—
über einwandfrei sei, und daß Deutschland nicht nur die Korrekt-
heit unserer Haltung seit länger als einem Jahr anerkennen, son—