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Zweiter Teil. 1874-1877 Zweites Kapitel. Die Krisis des Jahres 1875

Full text: Meine Botschafterzeit am Berliner Hofe 1872-1877 / Gontaut-Biron, Élie de (Public Domain)

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Die Krisis des Jahres 1876. 
scheibe der Forderungen des Reichskanzlers. Belgien begann 
ihnen in gleicher Weise ausgesetzt zu werden. Im Laufe des 
Monat Januar hatte eine katholische Vereinigung in Gent, übri— 
gens ohne jeglichen offiziellen Charakter, sich veranlaßt gefühlt, 
dem Bischof von Paderborn eine Ergebenheits- und Ermutigungs- 
Adresse zu übersenden. Sofort formulierte Fürst Bismarck 
daraus eine Klage gegen die belgische Regierung, und begann eine 
Fehde, die mehrere Monate hindurch die öffentliche Meinung in 
Europa lebhaft beschäftigte. Gleichzeitig griff er eine alte Be— 
schwerde wieder auf und forderte die Verfolgung eines belgischen 
Kupferschmiedes namens Duchesne, der im Zustand der Trunken— 
heit im Dezember 1878 sich dem Erzbischof von Paris angeboten 
hatte, gegen eine entsprechende Geldsumme den deutschen Reichs— 
kanzler zu ermorden. Es kam ihm zweifellos sehr gelegen, einen 
solchen Menschen in seinen Anklagen den Katholiken anzuhängen. 
Die belgische Regierung fand in ihren Gesetzen keine Waffe, 
weder gegen Duchesssne, dem man nur eine verbrecherische Absicht 
ohne die nachfolgende Tat vorwerfen konnte, noch gegen diejenigen 
seiner Untertanen, die öffentlich einen Tadel gegen einen benach— 
barten Staat aussprachen. Zur Verhütung der Wiederholung 
ähnlicher Vorkommnisse verlangte Fürst Bismarck nichts geringe— 
res, als die Abänderung ihrer Gesetzgebung, dahingehend, daß sei— 
ne Person gegen Attentate und seine Politik gegen die auswärtige 
Kritik wirksamer geschützt werde und daß nicht nur den Unter— 
tanen des Kaisers Wilhelm, sondern auch den Fremden, verboten 
werden solle, über die kirchliche Frage in Preußen eine andere Mei— 
nung zu äußern, als diejenige des Kanzlers. Seine Forderungen 
wurden in einer Note vom 3. Februar der belgischen Regierung 
mitgeteilt, und von dieser mit einem gewissen Mut am 26. dessel⸗ 
ben Monats abgelehnt. Aber damit war die Angelegenheit nicht be— 
endigt; die deutsche Presse zeigte eine starke Erregung gegen Bel— 
gien und deutete unverblümt an, daß seine Neutralität es keines- 
wegs vor Repressalien schützen könne, wenn es fortfahre, die aus 
Berlin kommenden Forderungen zurückzuweisen. Eine zweite Note 
ging der Regierung am 16. April zu. Die benachbarten Mächte, 
vor allem England, fühlten sich durch das Vorgehen Deutschlands, 
in dem sie eine Bedrohung der Unabhängigkeit aller Staaten er—
	        
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