324 Die Regierung des Marschall Mae Mahon und Deutschland.
sie sagen mir, daß man im allgemeinen den Klerikalismus in
unserer Regierung fürchte, daß man sie der Unduldsamkeit beschul—
digt, und nicht sicher sei, ob diese nicht auch bei der Frage der
bürgerlichen Begräbnisse eine Rolle spielte,“) daß man die zahl—
reichen Wallfahrten tadelt, um so mehr, als man überzeugt ist,
daß sie mehr politischen als religiösen Zwecken dienen; endlich
befürchte man, daß das Wiederaufleben des religiösen Geistes
damit endigen werde, die Regierung in Abenteuer, besonders in
einen Krieg mit Italien zu stürzen usw.
„In letzterer Beziehung lenkte eine, mit maßgebenden und
hochstehenden Männern der Politik in Verbindung stehende Per—
sönlichkeit meine Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen
Italien und Deutschland, und glaubt an ein zwischen beiden
Mächten abgeschlossenes Bündnis. Bestimmtes läßt sich dar—
über nicht sagen, denn was heute noch nicht ist, kann morgen ein—
treten. Doch glaube ich nicht, daß es der Fall ist, wenn auch seit
dem 24. Mai zwischen den Kabinetten von Berlin und Rom eine
Annäherung stattgefunden hat.
„Auf dem Rückweg von Paris stattete ich der Kaiserin in
Koblenz einen Besuch ab. Sie wünschte über meine in Frank—
reich gewonnenen Eindrücke, die sie interessierten, etwas Näheres
zu hören. Auch sie sprach mit mir über Thiers, für den sie keine
besondere Neigung hat. Sie bemerkte, daß man in Deutschland
nicht an seinen Sturz geglaubt habe, und daß man über die Ge—
sinnung, welche diese Anderungen in der Regierung herbeigeführt
haben, mißtrauisch und über deren Politik noch nicht aufgeklärt
sei, was die Zurückhaltung von Deutschland verständlich mache.
„Ich erwiderte, diese Zurückhaltung sei mir nicht entgangen,
sie wundere mich aber von einer Regierung, die sich für konservativ
ausgebe, und mir stets ihre Besorgnisse über das Umsichgreifen
des Radikalismus zu erkennen gegeben habe, fügte auch noch bei,
daß dieses Ereignis für Europa ebenso vorteilhaft sei, wie für
*) Der Präfekt von Lyon hatte, um kurzerhand die Kundgebungen aus An—
laß der bürgerlichen Begräbnisse abzuschneiden, am 18. Juni eine Verordnung er—⸗
lassen, durch welche die ohne Beteiligung eines staatlich anerkannten Kultus statt-
findenden Begräbnisse im Sommer auf morgens 6 Uhr, im Winter auf 7 Uhr fest—
gesetzt wurden.