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Die Konvention vom 29. Juni 1872.
Der Monat Juni war außerordentlich arbeitsreich. Vom 1.
bis 12. empfing ich bis zu sechs Schreiben von Herrn Thiers und
Herrn von Remusat, die voll Unruhe waren über die kühle, ver—
schlossene und sogar zweideutige Haltung des Grafen Arnim, so—
wie über das Ausbleiben bestimmter Mitteilungen von seiten des
Reichskanzlers, und bedauerten, daß trotz ihrer Bemühungen, die
Verhandlungen nicht von der Stelle zu rücken schienen, gleich einem
Schiffe das aufgebraßt liegt, weil kein Wind in seine Segel bläst.
Von welchem Gesichtspunkt aus betrachtet der Fürst Bismarck
die Verhandlungen? Was sind seine Absichten mit uns? Darüber
suchte Herr von Remusat Klarheit zu erhalten, da die Außerungen
und die Haltung von Arnims sich in ein undurchdringliches Dun—
kel hüllten. Er wünschte, daß ich, ohne den Zutritt zum Reichs—
kanzler zu erzwingen, doch fortwährend darauf bedacht sein sollte,
ihn zu sprechen, und eine ganz direkte Antwort auf diese Fragen zu
erlangen, wobei ich die Gelegenheit benützen könne, ihn unseres
unveränderten Willens für Erhaltung des Friedens zu versichern,
und ihm zu sagen, daß unsere Militärreorganisation in keiner
Weise ihm Veranlassung zu Mißtrauen geben dürfe, daß beinahe
noch nichts darin geschehen sei, und wir noch nicht einmal das Jah—
reskontingent der Friedensstärke ausgehoben hätten. Herr Thiers
seinerseits wünschte, daß ich den König sehe, um ihm dasselbe zu
sagen, und ihn über unsere Absichten zu beruhigen. Allein Herr
von Bismarck war, wie gesagt, in aller Stille, vor mehr als 14 Ta—
gen, aus Berlin abgereist, und man vermutete allmählich, daß er
Varzin nicht mehr verlassen werde. Und was die Bitte um eine
Audienz bei dem König in dieser Angelegenheit betraf, so wäre
ein solcher Schritt zunächst ungewöhnlich, und außerdem nutzlos
gewesen. Denn es war klar, daß Seine Majestät im gegenwärti—
gen Moment, ebenso wie der Staatssekretär, Herr von Thile, jede
Besprechung über Politik mit mir vermeiden wollte. Ich erhielt
dafür einen neuen Beweis auf der Soiree, die der italienische Ge—
sandte am 831. Mai zu Ehren des Prinzen und der Prinzessin
Humbert gab.
Man wußte in Paris nicht, was man von der Haltung des
Grafen Arnim denken sollte; seine Noten an das französische Mi—
nisterium waren kühl, vielleicht sogar, nach Ansicht des Herrn von