Der Rückgang.
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Pud in der Gestalt eines perversen Gassenbuben. Diese
Shakespeare-Aufführungen brachten alles mögliche zum
Ausdruck mit einziger Ausnahme dessen, was Shakespeare
gewollt hat. Selten ist Shakespeare so viel gespielt und
von den Theatern, die ihn spielen, so wenig verstanden
worden.
Auch sonst ist es bei den modernen Klassikeraufführungen
fast immer gerade die Dichtung, welche zu kurz kommt. Und
die Hoffnung, man könnte die Verirrungen des Theaterlebens
der Gegenwart bekämpfen, indem man die Geister der großen
Dichter der Vergangenheit heraufbeschwor, mußte zuschanden
werden, weil eben durch die modernen Klassikeraufführungen
die Geister der großen Dichter nicht heraufbeschworen wur—
den, weil in fast keiner Aufführung eines klassischen Dramas
auch nur ein Hauch vom Geiste seines Dichters lebte.
Selbst der Reinhardtismus ist in den literarischen Kreisen
als künstlerische Errungenschaft gefeiert worden. Erst jetzt be—
ginnt die „literarische“ Kritik sich von Max Reinhardt und
seinen Klassikeraufführungen abzuwenden.
So findet man bei der Betrachtung der Mißstände in
unserem heutigen Theaterleben immer wieder, daß diese Miß—
stände von den literarischen Kreisen entweder gebilligt wer—
den oder geradezu ihren Ursprung in diesen Kreisen haben.
Und die Schlußfolgerung drängt sich auf, daß am Rücgang
der deutschen Bühne zum großen Teil die „Literatur“
schuld ist.
Unter „Literatur“ werden hier die literarischen
Koterien und dasjenige, was von diesen Koterien für allein
literarisch ausgegeben wird, verstanden. Die moderne Bewe—
gung nun hat der „Literatur“ in einem Grade zur Macht
verholfen, wie dies kaum je zuvor der Fall gewesen ist. Das