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Der Rückgang

Full text: Vom Rückgang der deutschen Bühne / Goldmann, Paul (Public Domain)

Der Rückgang. 
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Pud in der Gestalt eines perversen Gassenbuben. Diese 
Shakespeare-Aufführungen brachten alles mögliche zum 
Ausdruck mit einziger Ausnahme dessen, was Shakespeare 
gewollt hat. Selten ist Shakespeare so viel gespielt und 
von den Theatern, die ihn spielen, so wenig verstanden 
worden. 
Auch sonst ist es bei den modernen Klassikeraufführungen 
fast immer gerade die Dichtung, welche zu kurz kommt. Und 
die Hoffnung, man könnte die Verirrungen des Theaterlebens 
der Gegenwart bekämpfen, indem man die Geister der großen 
Dichter der Vergangenheit heraufbeschwor, mußte zuschanden 
werden, weil eben durch die modernen Klassikeraufführungen 
die Geister der großen Dichter nicht heraufbeschworen wur— 
den, weil in fast keiner Aufführung eines klassischen Dramas 
auch nur ein Hauch vom Geiste seines Dichters lebte. 
Selbst der Reinhardtismus ist in den literarischen Kreisen 
als künstlerische Errungenschaft gefeiert worden. Erst jetzt be— 
ginnt die „literarische“ Kritik sich von Max Reinhardt und 
seinen Klassikeraufführungen abzuwenden. 
So findet man bei der Betrachtung der Mißstände in 
unserem heutigen Theaterleben immer wieder, daß diese Miß— 
stände von den literarischen Kreisen entweder gebilligt wer— 
den oder geradezu ihren Ursprung in diesen Kreisen haben. 
Und die Schlußfolgerung drängt sich auf, daß am Rücgang 
der deutschen Bühne zum großen Teil die „Literatur“ 
schuld ist. 
Unter „Literatur“ werden hier die literarischen 
Koterien und dasjenige, was von diesen Koterien für allein 
literarisch ausgegeben wird, verstanden. Die moderne Bewe— 
gung nun hat der „Literatur“ in einem Grade zur Macht 
verholfen, wie dies kaum je zuvor der Fall gewesen ist. Das
	        
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