Ein idealer Gatte. J 333
setzte er uns die schrecklichste aller Philosophien, die Philosophie
der Macht, auseinander; er predigte uns das wunderbarste
aller Evangelien, das Evangelium des Goldes. Er sagte,
daß die Macht, die Macht über andere Männer, das einzige
sei, was des Besitzes wert sei, die einzige Freude, deren man
nie satt würde, und daß in unserem Jahrhundert dies alles
nur die Reichen besäßen.“ Und weiter sagt Sir Robert: „Um
vorwärts zu kommen, bedarf man des Reichtums. Was dieses
Jahrhundert anbetet, ist Reichtum. Und jeder Mann von
Ehrgeiz muß sein Jahrhundert mit dessen eigenen Waffen
bekämpfen.“
Lord Goring weiß keinen Rat. Das einzige, das er
für seinen Freund zu tun vermag, ist, daß er versucht, dessen
Frau vorzubereiten und nachsichtig zu stimmen. Die Szene,
in der dies geschieht, ist eine der zartesten und anmutigsten
des Dramas, und der schöne Gedanke, den es ausdrücken will,
wird hier zum erstenmal in Worte gekleidet. „Niemand ist
unfähig, etwas Unrechtes zu begehen, selbst der Rechtschaffenste
nicht,“ sagt Lord Goring im Laufe des Gesprächs. — „Sind
Sie Pessimist?“ fragt die Lady. — „Ich weiß kaum, was
Pessimismus eigentlich heißt,“ antwortet Lord Goring. „Alles,
was ich weiß, ist nur, daß das Leben nicht ohne viel Nach—
sicht verstanden und nicht ohne viel Nachsicht gelebt werden
kann. Liebe ist es und nicht deutsche Philosophie, welche
die wahre Erklärung des irdischen Lebens liefert.“
Das also ist der edle, der echt dichterische Kern dieses
Dramas: eine Mahnung zur Liebe. Und zwar eine Mahnung
zur Liebe — in der Liebe. Ihr Frauen, sagt der Dichter,
solltet uns Männer, wenn ihr uns liebt, mit mehr Liebe
lieben. Eure Liebe ist zumeist nur Anbetung. Ihr macht
Ideale aus uns und liegt vor diesen auf den Knien. Aber
keiner von uns, auch der Beste nicht, ist ein Ideal. Wir