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Das Moskauer Künstlerische Theater

Full text: Vom Rückgang der deutschen Bühne / Goldmann, Paul (Public Domain)

Das Moskauer Künstlerische Theater. J 303 
lingen. Es steckt Wahrheit in dem Paradoxon, daß man 
keine Energie braucht, um Heldentaten zu verrichten. An 
diesen hat es der russischen Revolution auch nicht gefehlt. 
Aber es hat ihr an der Energie, an der auf das Ziel stetig 
hinarbeitenden Kraft gefehlt, die nötig gewesen wäre, um 
die revolutionären Bestrebungen zu organisieren, und darum 
ist sie bisher erfolglos geblieben. In jenen Tagen, als in 
den Straßen der Aufruhr tobte, ist wohl auch Satin aus— 
gezogen zum Kampf gegen die Polizisten und die Soldaten 
des Zaren. Und wenn er nicht in ein Gefängnis geschleppt 
oder mit zerschossener Stirn in ein Massengrab geworfen wor— 
den ist, so ist er wahrscheinlich in das Nachtasyl zurückgekehrt 
und liegt jetzt wieder den ganzen Tag, Hohnreden führend, 
auf der Pritsche. 
Wie Satin die russische Energielosigkeit, so verkörpert 
Luka, der Pilger, die russische Güte. In der Rolle des 
Pilgers, der eine der schönsten Figuren ist, welche die mo— 
derne Bühnendichtung geschaffen hat, finden wir Herrn 
Moskwin wieder, den Darsteller des Zaren Feodor. Dieser 
Luka des Moskauer Theaters ist ein ganz anderer als der 
der deutschen „Nachtasyl“-Aufführung. In Deutschland hat 
man das Wort „Pilger“ in unserem Sinne interpretiert und 
hat dem Luka etwas Religiöses, etwas Feierliches gegeben, 
hat ihn als eine Art Apostel gespielt. Durch die russische 
Aufführung erfahren wir, daß Luka ganz einfach ein Land— 
streicher ist, ohne jeden religiössen Anklang. Der Dichter hat ja 
auch kein frommes Wunder schildern wollen, sondern den Segen 
der echten Menschenliebe. Darum ist Luka kein auf Erden 
pilgernder Apostel, sondern ein Mensch, ein armer Mensch, 
ganz wie die anderen Insassen des Nachtasyls. Das Große, 
das er spricht und tut, wirkt um so mehr, da er es so gar 
nicht pathetisch, sondern so einfach, so menschlich tut und
	        
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