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Einiges über Max Reinhardts Direktionsführung

Full text: Vom Rückgang der deutschen Bühne / Goldmann, Paul (Public Domain)

Einiges über Max Reinhardts Direktionsführung. 229 
einer Komödie zu erfreuen, in der man unter anderem sieht, 
wie von der Leiche des Vaters, der sich wegen seiner Geliebten 
erschossen hat, der Sohn diese Geliebte wegholt, um sie selbst 
zur Maitresse zu nehmen. Hofmannsthals „Elektra“ erlebte 
in demselben Theater eine lange Reihe von Aufführungen; 
und das Publikum lernte, unter literarischer Führung, die 
tragische Kunst einer Bearbeitung bewundern, die aus der 
erhabenen und ergreifenden Elektra des Sophokles eine sa— 
distische Megäre und aus des Sophokles lieblicher Chrysothemis 
ein mannstolles Frauenzimmer macht. 
Eine gehörige Dosis von Perversität ist allen diesen 
Stücken beigemischt. Und da ihr künstlerischer Wert nicht 
ausreicht, um die so ungewöhnlich günstige Aufnahme zu er— 
klären, die ihnen zuteil geworden, so bleibt nichts übrig, als 
anzunehmen, daß es gerade die Perversität in diesen Stückeen 
gewesen ist, an der das Publikum Gefallen gefunden hat. 
Perversität ist also heutzutage ein Grund zum Erfolg auf 
der Bühne. Die Franzosen pflegen in solchen Fällen das 
resignierte Wort zu äußern: „C'est un vent de folie qui 
souffle,“ 
Es gibt übrigens auch ein französisches Zitat, das spe— 
ziell auf diesen Fall paßt. Molières Misanthrop sagt: 
„Trop de perversité règne au siècle. oà nous sommes.“ 
Einst, in der guten alten Zeit, gab es Idealisten, welche 
meinten, es sei die Aufgabe des Theaters, den Geschmack zu 
bilden. Der wirklich moderne Theaterdirektor läßt es sich 
angelegen sein, das Publikum in seinen Geschmacksverirrungen 
zu bestärken. Es ist unverkennbar, daß Max Reinhardt in 
seinem Theaterbetrieb mit dieser seltsamen Perversitätsmode 
gerechnet hat. Eine Künstlerin, deren Spezialität die Dar— 
stellung perverser Frauenrollen ist, wurde der Star des Rein— 
hardtschen Theaters. Ihr zuliebe wurden sogar Stücke aus
	        
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