Ritter Blaubart.
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einige musikalisch gestimmte Seelen, die das, was sie emp—
fanden, durch Pfiffe auf Hausschlüsseln zum Ausdruck brachten.
In „literarischen“ Kreisen — selbstverständlich genießt
der durchgefallene Autor die Gunst der „literarischen“ Kreise
— herrschte große Entrüstung über das Verhalten des Publi—
kums. Gewiß, es ist nicht schön, wenn die Zuschauer im
Theater einem Werke geistiger Arbeit gegenüber gleichsam die
rohe Gewalt zur Anwendung bringen. Aber wer die letzten
Berliner Theaterjahre miterlebt hatte, konnte es dem Publi⸗
kum nicht verdenken, daß ihm endlich einmal die Geduld riß.
Das Berliner Publikum, das in dem Rufe steht, allzu
kritisch zu sein, ist nämlich in Wirklichkeit das gutmütigste,
das langmütigste Publikum der Welt. Wieviel unerträgliche
Stücke hat es nicht in diesen Jahren ruhig ertragen — ja
sogar noch freundlich aufgenommen und applaudiert! Die
schönste Eigenschaft dieses Publikums ist seine fortschrittliche
Gesinnung, sein ehrliches Streben, mit der Zeit mitzugehen
und dem Neuen gerecht zu werden. Das ist natürlich auch eine
Geistesverfassung, in welcher der Snobismus gedeiht, — der
Snobismus, der sich für das Neue erklärt, nicht weil es künst—
lerisch wertvoll, sondern weil es neu ist. Das Berliner Publi—
kum ist das Publikum einer Stadt, die mit verblüffender
Schnelligkeit sich zur Weltstadt entwickelt hat, die daher einst⸗
weilen nur ein Heute und noch kein Gestern hat. Es fehlen
dem Publikum infolgedessen die künstlerischen Traditionen, von
denen der Kunstgeschmack sicher geleitet wird. Nicht selten ist
es vorgekommen, daß die alte Kunststadt Wien anders geurteilt
hat als Berlin, daß in Wien Stücke abgelehnt wurden, die
in Berlin eine gute Aufnahme gefunden hatten, und um—
gekehrt — und fast immer hat sich das Wiener Urteil als
das richtige erwiesen.
Kein Publikum bedürfte demgemäß so sehr der Führung
Goldmann, Rückgang.
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