92 Der Ursprung des Backsteinbaues in den baltischen Ländern.
Rest eines älteren Baues bewahrt hat. Es ist das die aus
Granit hergestellte Ostmauer des Chores. Ihre Ecken, namentlich die
Südecke, sind aus großen, zum Teil kolossalen, gut behauenen und in
richtigem Verbande gelagerten Granitquadern (darunter einige von
über Am Länge und 0,50 bis 0,550 m Höhe) aufgebaut worden,
während der mittlere Teil aus unregelmäßig behauenen aber solid ver—
bundenen Feldsteinen errichtet worden ist. Die zweite Schicht über
dem jetzigen — offenbar angeschütteten — Terrain zeigt in der ganzen
Länge eine Abschrägung zum Beweise, daß sie einst Sockelschicht und
somit der Bau, dem sie einst angehörte, platt geschlossen war. Haupt
(a. a. O. 48) erklärt diesen wichtigen Baurest als Teil einer Restauration
aus spätgotischer Zeit, welche nach Einsturz der Apsis (sic!) erforderlich
geworden sei. Weder der Techniker noch der Kunsthistoriker kann dieser
Auffassung beipflichten. Wo hat man jemals nach dem Einsturze oder
dem Abbruche einer backsteinernen Apsis eine hohe und dicke Granit—
mauer von solcher Solidität und so kolossalen Quadern aufgeführt?
Und obenein in spätgotischer Zeit, in welcher der Backsteinbau sich weit
verbreitet hatte und, wie wir aus mehrfachen Rechnungen wissen, die
Ziegel fast überall sehr billig waren. Nein, diese mächtige Granit—
mauer ist unbedingt älter, als die Backsteinkirche; sie beweist uns, was
Vicelin, durch kaiserliche Gunst gefördert, von 1134 bis 1137 erstrebt
und geleistet hat. Die von ihm damals erbaute Kirche ist ein Granitbau
gewesen wie die anderen monumental behandelten Kirchen im Lande.
Wieviel sie bei dem Verwüstungszuge des Pribizlav im Jahre 1138
gelitten hat, ist unbekannt; fest steht aber kraft dieser monumentalen
Urkunde die Tatsache, daß man unter Erhaltung der Ostmauer an
Stelle der alten Granitkirche später eine Ziegelkirche erbaut hat, welche
der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts angehört. Die sichere Gewiß—
heit, daß der Bau einheitlich als vollständiger Gewölbebau nach dem
gebundenen Systeme ausgeführt worden ist, schließt jeden Gedanken
aus, daß derselbe von 1134 bis 1137 herrühren kann. In jenen
Jahren war man wohl in den Rheinlanden soweit, daß man die ersten
Versuche vollständig gewölbter Kirchen wagen konnte, und an einigen
bevorzugten Punkten bereits gewagt hatte. Aber in Sachsen stand
man damals noch überwiegend bei dem Holzdeckenbau oder erhob sich
im günstigsten Falle hier und dort zur überwölbung der Seitenschiffe.
Der Lieblingsbau Kaiser Lothars, den er für sich und seine Ge—
mahlin zur Grabeskirche bestimmt hatte, die Abteikirche zu Königs—
lutter, ist eins unter vielen Beispielen, um meine Ansicht zu stützen.