Die höhere Tochter
Tiergartens oder auf der Eisbahn am Neuen
See, oft auch wenn sie etwas abgespannt aus der
obersten Klasse der Schule kommt, Lehrerinnenexamen—
pläne im klugen Kopfe. Dort steht er an der Ecke.
Und diese Anbetung und Verehrung gilt — ihr! Sie
kann ihm solche Gefühle und „süße Regungen“ nach—
fühlen ... sie weiß was „unglückliche Liebe“ be—
deutet! Empfindet sie die ganze Klasse doch jetzt eben
für Doktor ..., den Lehrer der Litteraturgeschichte.
Ein Opfer solcher Schwärmerei muß jede höhere
Tochter einmal werden, dazu ist sie gewissermaßen
amtlich verpflichtet. Es ist eine Phase ihres Daseins,
der sie sich nicht entziehen kann. Aus diesen schwär—
menden Gefühlen entwickelt sich später oft eine treue
dankbare Zuneigung für den Ahnungslosen, dem diese
reinen Neigungen galten. Während der Schulzeit
ist sein Einfluß auf die jungen Geschöpfe von höchster
Bedeutung. Sie lernen mit Liebe aus Liebe! Seine
Gedanken, seine Anregungen strömen auf empfängliche
Seelen über und ein geistiges Fluidum stellt zwischen
dem Lehrenden und den Lernenden eine innige Zusam—
mengehörigkeit her, die oft weit ins Leben hinausreicht,
wenn die Zeiten holder Jugendfreuden längst dem
Daseinsernste gewichen sind. Ich kenne einen Lehrer
aus einer der höheren Töchterschulen des Westens,
der mit einem Teil seiner Schülerinnen, von denen
mehrere schon verheiratet sind, andere, verschiedene
selbständige Lebenswege eingeschlagen haben, in steter
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