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modischste Modistin zur zehnten Muse machen möchten.
Es hat mir an dieser „Grille“ keineswegs alles gefallen,
aber gerade der Umstand, daß ich — trotz mannigfachem
Unbefriedigtsein im einzelnen — im ganzen nicht bloß
befriedigt, sondern geradezu hingerissen wurde, gilt mir
als Beweis einer weit über das Alltägliche hinausgehenden
Begabung.
Das Organ der jungen Käünstlerin (ich sage absicht—
lich nicht: ihre Stimme) läßt zu wünschen übrig; ebenso
gebricht es ihrer Sprechweise an Korrektheit, an Schönheit
und selbst an Deutlichkeit. In ihrer ersten Szene mit
dem „dummen Didier“ war sie zu renommistisch forciert,
im zweiten Akt im Moment ihres Erscheinens auf dem
Tanzplatze zu karikiert und im vierten Akt in ihrer
Szene mit Vater Barbeaud zu sentimental, zu klein—
städtisch-konventionell. UÜberhaupt vermittelte sie nicht
genug zwischen der leidenschaftlichen, unbändigen Grille
der ersten drei Akte und der durch Liebe Bekehrten der
letzten zwei. Das Bekehrungswunder überschlägt sich
ein wenig und bricht nicht bloß eine stürmische Natur,
sondern produziert auch im Umsehen ein Muster-Menschen-
kind, in dem sich seur grise und Pensionsfräulein die
Wage halten. Es geziemt sich aber an dieser Stelle
den durch die Dichtung vorgezeichneten Kontrast zu
mildern, statt ihn zu verschärfen.
Dies die Mängel und Fehler im Spiel der jungen
Künstlerin, die glücklicherweise neben ihren Vorzügen
verschwinden. Sie hat Feuer, Leidenschaft, Selbstvergessen.
Sie vergißt ihr Ich und geht in ihrer Rolle arf.
Sie hat eine Seele; und ihr an und für sich nicht be—
vorzugtes Organ empfängt dadurch einen Beisatz von
Edelmetall und erhebt sich zum Rang einer Stimme.