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Schauspieler Clara Ziegler

Full text: Causerien über Theater / Fontane, Theodor (Public Domain)

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Wir haben also einen vollständigen Sieg zu ver— 
zeichnen; Erscheinung, Haltung, Stimme nahmen Parkett 
und Parterre im Sturm. Von den Montagnards ganz 
zu schweigen. Ein solcher Sieg kann nie und nimmer 
ein bloßer Zufall sein oder gar ein Irrtum der Welt— 
geschichte, wie die Franzosen unsere siebziger Siege an— 
zusehen belieben; eine Kraft ist nötig, um derartig 
über die Herzen zu triumphieren. Aber so groß und so 
unzweifelhaft diese Kraft ist, die Frage ist nicht zurück— 
zudrängen, ob die vorhandene reiche Begabung richtig 
verwandt wird, ob sie die richtigen Wege geht. Und 
die Antwort lautet: nein! 
Wenn vor dreißig Jahren und mehr mit einiger 
gedanklicher Kühnheit über Fanny Elsler geschrieben 
wurde: sie tanzt Goethe, so darf man füglich von 
Fräulein Ziegler aus München sagen: sie spielt Kaul— 
bach. Ihr ganzes Auftreten wirkt wie die Treppenhausbilder 
im Museum. Rechts zieht die Chriftengemeinde Palmen 
tragend und Psalmen singend in die Freiheit, links ent— 
flieht der ewige Jude, im Hintergrunde brennt Jerusalem, 
und der Hohepriester zückt das Dolchmesser zum Stoß 
in die eigene Brust. Die Ähnlichkeit ist frappant. Liegt 
es an München? Ist dies die Stätte, wo nach einem 
erst noch zu findenden Entwicklungsgesetz eine blendende, 
aber in die Irre gehende Kunst geboren werden mußte, 
jene Kunst, die das Auseinanderfallen von Schönheit und 
Wahrheit bedeutet? Der Mensch soll nicht arabeskenhaft 
verbraucht werden, bloß mit Rücksicht darauf, ob die 
Form an sich gefällig wirkt. Es kommt nicht darauf 
an, ob dieser vor⸗ oder zurückgebeugte Körper, ob diese 
Kopf- oder Armhaltung rein äußerlich innerhalb der 
Schönheitslinie liegt, sondern darauf, ob diese Linie dem 
innerlichen Hergang entspricht, ob sie wahr ist. Diese
	        
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